Warum Persönlichkeitstests problematisch sind
Aus dem Handelsblatt-Archiv: Viele Unternehmen nutzen Persönlichkeitstests, um die Eignung von Top-Kandidaten zu prüfen. Experten warnen: Viele dieser Tests sind dafür ungeeignet.
Düsseldorf. „Hired for Skills, Fired for Personality“ – mit solchen Slogans werben einige Anbieter von Persönlichkeitstests. Will sagen: Die Fähigkeiten und Erfahrungen eines Bewerbers sind allein nicht ausschlaggebend dafür, ob er für eine Stelle geeignet ist. Rüdiger Hossiep, Wirtschafts- und Personalpsychologe von der Ruhr-Universität Bochum, hat selbst einen Persönlichkeitstest entwickelt und erklärt das Problem so: Wenn Mitarbeitende und Unternehmen sich trennen, liegt das oft nicht am fachlichen Können des Mitarbeiters – sondern daran, dass es auf persönlicher Ebene nicht passt.
Persönlichkeitstests sollen hier Abhilfe schaffen und Hinweise geben, ob ein Kandidat zum Beispiel durchsetzungsfähig genug ist, um Verhandlungen mit Mitarbeitern zu führen, oder ausreichend Empathie für einen Führungsjob mitbringt. Unternehmen erhoffen sich davon eine objektive Einschätzung, ob ein Kandidat in ihr Team und auf die ausgeschriebene Stelle passt.
75 Prozent der Firmen im deutschsprachigen Raum setzen im Recruiting und bei der Personalentwicklung auf solche Persönlichkeitstests. Das ergab eine Umfrage unter 115 Unternehmen, deren Ergebnisse 2021 im Onlinemagazin „Wirtschaftspsychologie heute“ veröffentlicht wurden.
Doch was taugen die genutzten Tests? Lassen sie ein belastbares Urteil über Persönlichkeit und Eignung eines Bewerbers zu? Entsprechen sie wissenschaftlichen Standards? Das Handelsblatt hat mit renommierten Experten der Wirtschaftspsychologie über gängige Tests gesprochen.
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„persolog“, „DiSG“ und „Insights MDI“: Das taugen Tests auf Basis des DISG-Modells
Laut der Umfrage von „Wirtschaftspsychologie heute“ gehören die Persönlichkeitstests „persolog“, „DiSG“ und „Insights MDI“ zu den fünf meistgenutzten Tests bei der Personalauswahl oder -entwicklung. Die Tests basieren auf dem sogenannten DISG-Modell, das die Persönlichkeit von Menschen in vier Farben und damit in einen von vier Typen einteilt: Rot für dominant, Gelb für initiativ, Grün für beständig und Blau für gewissenhaft. Je nach Test können die Farben auch variieren.
Der Ablauf ist simpel: Bewerber wählen aus Kurzsätzen eine Aussage aus, die am ehesten oder am wenigsten auf sie zutrifft. Nach diesem Schema bewerten Job-Kandidaten mehrere Aussagen, die ein Personaler im Nachgang auswertet und daraus ein Persönlichkeitsprofil erstellt.
Der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning sieht solche Tests kritisch. Er forscht an der Universität Osnabrück unter anderem zu Leistungsbewertung und unseriösen Methoden in der Personalarbeit. Seiner Meinung nach sind vier Typen deutlich zu wenig, um der menschlichen Persönlichkeit gerecht zu werden.
Jeder Mensch, so Kanning, besitze eine Mischung aus vielen Eigenschaften in unterschiedlicher Ausprägung. „Das kann ein Typentest gar nicht abbilden“, sagt er. „Millionen von Menschen zu unterstellen, dass sie sich in ihrer Persönlichkeit nicht unterscheiden, ist schlicht absurd.“
Ein weiterer Nachteil: Solche Persönlichkeitstests können der späteren Zusammenarbeit schaden. „Sie stigmatisieren“, sagt Armin Dempewolf. Der Psychologe ist Experte für Managementdiagnostik. Persönlichkeitstests, sagt er, könnten schnell zu Vorurteilen führen, weil sie dazu verführen, Menschen in Schubladen zu stecken. Mitarbeiter A ist laut Test ein Perfektionist? Ein Chef, der das weiß, neigt womöglich dazu, ihm ständig zu raten, einen Gang herunterzuschalten. Bei Mitarbeiterin B ergibt der Test, dass sie eine Teamplayerin ist? Es besteht die Gefahr, dass ihre Vorgesetzte bald annimmt, dass sie nichts allein könne. „Diesen Rahmen zu setzen ist eher schädlich“, so Managementexperte Dempewolf.
Das Problem ist: Gibt es nur wenige Möglichkeiten zur Einordnung, werden komplexe Persönlichkeiten in einfache, extreme Kategorien eingeteilt. Menschen, die auf der Skala zwischen introvertiert und extrovertiert eher in der Mitte liegen, werden einem der Extreme zugeordnet. Vermeintliche Persönlichkeitsmerkmale können so laut Experten in ihrer Bedeutung überschätzt werden. Zudem, kritisiert Kanning, sei der DISG-Ansatz veraltet: „Er stammt aus den 1920er-Jahren und gilt in der Psychologie seit Jahrzehnten als überholt.“
Stellt sich die Frage: Warum halten sich die Tests dann trotzdem so hartnäckig? Kanning sieht einen Grund in ihrer Einfachheit: „Wenn eine Führungskraft zehn Mitarbeiter differenziert betrachten muss, ist die Aufgabe viel größer, als wenn sie fünf rote und fünf grüne Mitarbeiter im Team hat.“
Ähnlich sieht es der Bochumer Psychologe Rüdiger Hossiep. Er hat selbst ein Persönlichkeitstestverfahren entwickelt. „Die Typenmodelle arbeiten sehr stark mit dem Barnum-Effekt“, sagt er. Dieser Effekt beschreibt die menschliche Tendenz, positive und vage Aussagen über die eigene Person als zutreffend wahrzunehmen.
Der Trick bei den Tests: Die Typenbeschreibungen sind so allgemein und positiv gehalten, dass die Leser ihr eigenes Persönlichkeitsprofil darin wiederzuerkennen glauben – ein ähnlicher Effekt wie etwa bei Horoskopen. „Drei von vier Personalern oder Geschäftsführern finden sich dann darin wieder, und schon wird der Test für Bewerbungsgespräche übernommen“, sagt Hossiep.
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Recruiting: So aussagekräftig sind Persönlichkeitstests anhand der „Big Five“
Statt in Typen stellen Psychologen die menschliche Persönlichkeit heute oft in der Ausprägung einzelner Eigenschaften dar. Etabliert hat sich das Modell der „Big Five“. Hier wird die Persönlichkeit in fünf Hauptdimensionen unterteilt:
Offenheit
Gewissenhaftigkeit
Extraversion – also wie nach außen gerichtet und sozial sich ein Mensch verhält
Verträglichkeit
Neurotizismus – also die emotionale Stabilität einer Person
Für jede der Dimensionen misst der Test eine Ausprägung, das Spektrum reicht dabei von einem Extrem bis zu ihrem Gegensatz. Anders als das DISG-Modell bietet das Big-Five-Modell eine breitere Sichtweise und kann bis zu 60.000 verschiedene Persönlichkeitsprofile abbilden.
In der Umfrage von „Wirtschaftspsychologie heute“ belegt der Persönlichkeitstest „Reflector Big Five“, der auf den großen fünf Dimensionen basiert, den sechsten Platz. Doch auch hier mahnt Experte Uwe Kanning zur Vorsicht. Zwar hält er die Big-Five-Struktur für deutlich aussagekräftiger als das DISG-Modell. Allerdings sieht er auch hier nur eine sehr geringe Vorhersagekraft, ob sich ein Kandidat für eine Stelle eignet. Denn Menschen passen sich Situationen an. Sie verhalten sich im Beruf laut Kanning oft anders als etwa im Privatleben.
„Bei den Big Five handelt es sich um allgemeine Persönlichkeitsmerkmale, die auf jeden Menschen in den unterschiedlichsten Alltagssituationen zutreffen", sagt auch der Eignungsdiagnostiker Armin Dempewolf. „Im beruflichen Kontext sollten dagegen nur berufsbezogene Persönlichkeitsmerkmale gemessen werden.“
Ein Beispiel für dieses Problem: Manche der Tests enthalten Aussagen wie: „Manchmal esse ich, bis mir schlecht wird.“ Ihnen sollen die Kandidaten zustimmen oder widersprechen. Mit Verhalten im Beruf hat das wenig zu tun, findet auch Experte Rüdiger Hossiep: „Im wirtschaftlichen Kontext kann man mit den klassischen Big Five wegen der mangelnden Berufsnähe der Fragen überhaupt nichts anfangen.“
Welche Persönlichkeitstests im Recruiting zuverlässig sind
Der von Rüdiger Hossiep selbst entwickelte Test heißt Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP). Er führt die Rangliste der am häufigsten eingesetzten Persönlichkeitstests von „Wirtschaftspsychologie heute“ an.
Experte Uwe Kanning hat auch diesen Test auf seine Anwendbarkeit geprüft. Der Test beschreibt die Persönlichkeit anhand von 14 Merkmalen. Diese Vielfalt an Eigenschaften, auch wenn sie nicht immer klar voneinander trennbar sind, sieht Kanning positiv. „Der Vorteil des BIP ist, dass es sich explizit auf berufliche Situationen bezieht“, sagt Kanning. Zudem wurde das BIP inzwischen in mehr als 30 Sprachen übersetzt und von Psychologen in den jeweiligen Ländern erprobt.
Allerdings hat auch das BIP ein typisches Problem von Persönlichkeitstests: „Der Nachteil ist wie bei jedem Fragebogen dieser Art, dass er das Selbstbild einer Person erfasst“, sagt Kanning. Das Problem: Viele Menschen haben ein verzerrtes Selbstbild.
Und auch Rüdiger Hossiep empfiehlt, Entscheidungen nicht allein auf Persönlichkeitstests zu stützen. Diese lieferten lediglich zusätzliche Informationen, die Widersprüche zur Stellenbeschreibung aufdecken könnten.
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