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Warum professionelles On- und Offboarding wichtiger denn je sind

Neben dem Dauerbrenner-Thema Recruiting stellen sich HR zwei weitere Herausforderungen, die auf den ersten Blick wenig mit Personalgewinnung zu tun haben. Auf den zweiten Blick hingegen hängen aber auch professionelles Onboarding und Offboarding eng damit zusammen. Praxiseinblicke von Persoblogger Stefan Scheller.

Die neudeutschen Begriffe „Onboarding“ und das Pendant „Offboarding“ haben längst Eingang gefunden in die Sprache von HR-Verantwortlichen. Allerdings werden sie häufig inhaltlich deutlich verkürzt und zu kurz bzw. zu separat gedacht.

Was bedeutet Onboarding bzw. Offboarding?

Erfolgreiches Onboarding ist mehr als nur das häufig mit dem Begriff assoziierte „Einarbeiten“. Es geht vielmehr um einen mehrstufigen Prozess des „An-Bord-Holens“ neuer Mitarbeitenden in einer Organisation. Häufig gliedert sich Onboarding in ein sogenanntes Pre-Boarding, einen Welcome-Teil sowie die klassische (fachliche) Einarbeitung.

Professionelles Offboarding ist ebenfalls mehr als nur Kündigung oder Aufhebungsvertrag. Auch hier lassen sich mehrere Phasen unterscheiden, beginnend mit der klassischen Trennungsentscheidung, bis hin zu Prozessen der Vorbereitung eines ReHirings sogenannter Bumerang-Mitarbeitender.

Aber fangen wir ganz am Anfang an.

Pre-Bording verhindert vorzeitige Fluktuation und Ghosting

Die Pre-Bording-Phase startet in der Regel bereits mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags. Das ist der Zeitpunkt, der den Endpunkt der HR-KPI „time-to-hire“ darstellt. Eine Anstellung ist erfolgt, der Recruiting-Prozess mithin abgeschlossen. Und genau hier lauert die größte Gefahr für die Organisation: Wenn Recruiting-Verantwortliche aus dem Prozess aussteigen und sich niemand mehr aktiv um die Neueinstellungen kümmert.

Denn bis zum tatsächlichen Beginn der vertraglich vereinbarten Tätigkeit am ersten Arbeitstag können häufig mehrere Monate vergehen. Je nach Kündigungsfristen sogar schnell mal drei oder gar vier Quartale. Recruiting fühlt sich in dieser Zwischenphase nicht mehr zuständig, Fachbereiche umgekehrt oft noch nicht zuständig.

Natürlich gilt der alte juristische Satz „pacta sunt servanda“ – Verträge müssen eingehalten werden. Allerdings erleben Unternehmen immer häufiger, dass Neuanstellungen überraschend doch noch absagen oder gar nicht am ersten Arbeitstag auftauchen. Das Phänomen des Ghostings tritt insbesondere in dieser Phase auf und vor allem dann, wenn die Kommunikation zwischen Unternehmen und neuen Mitarbeitenden abreißt beziehungsweise es kein systematisches Pre-Bording gibt.

Wir erinnern uns: Der Trend hin zum Arbeitnehmermarkt ist in vielen Branchen allgegenwärtig. Das bedeutet aber auch, dass gerade stark gesuchte Fachkräfte jederzeit attraktiv sind für eine Ansprache durch Personaldienstleister/Headhunter oder auch andere Arbeitgeber via Active Sourcing.

Trotz unterschriebenem Arbeitsvertrag (in denen häufig eine Regelung fehlt für ein Ghosting-Verhalten oder eine „Kündigung vor Arbeitsantritt“) kann die Verlockung, ein zwischenzeitlich eingegangenes neues Arbeitsangebot anzunehmen, sehr hoch sein.

Pre-Boarding, Welcome und Einarbeitung als durchgängiges Erlebnis

Deutlich sicherer sind Arbeitgeber unterwegs, die bereits beginnend mit Vertragsunterschrift und bis hin zum tatsächlich geplanten Arbeitsantritt konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen.

Besonders wertvoll ist dabei die Kommunikation mittels fachlicher Informationen (die z.B. das Wissen über das Unternehmen vergrößern) sowie emotionaler Botschaften (Ausblick auf die Einbindung in das soziale System im Unternehmen, mögliche Communities usw.).

Neben vorab versendeten Pre-Boarding-E-Mails oder sonstigen Nachrichten spielt insbesondere der persönliche, nicht digitale Kontakt eine große Rolle. Die Einladung zu Jahresauftaktmeetings, Teamworkshops, aber auch Teambuilding-Events oder halb privaten Feierabendaktivitäten erweist sich als idealer „sozialer Kit“, um neue Mitarbeitende weiter für das Unternehmen zu begeistern.

Da bekannt ist, dass klassische Einarbeitung häufig mit einer Informationsflut einhergeht, die schnell überfordernd wirken kann, nutzen Arbeitgeber Pre-Boarding-Aktivitäten gezielt, um bereits weit im Vorfeld Informationen häppchenweise zu kommunizieren. Es ist fast ein wenig wie bei einem Adventskalender, der in regelmäßigen Zeitabständen immer wieder die Vorfreude auf den „großen Tag“ neu entfacht.

Gefordert sind dabei HR-Verantwortliche und Fachbereiche gleichermaßen.

Während der sich anschließenden Welcome-Phase, bei der in der Regel HR im Lead ist, wird vor allem auf emotionale Botschaften im Sinne eines „Du bist willkommen“ oder „Schön, dass Du bei uns bist“ fokussiert. Sogenannte „Welcome-Days“ zahlen auf den menschlichen Zusammenhalt sowie die psychologische Sicherheit ein. Aufgrund der bei größeren Unternehmen in der Regel fachbereichsübergreifend stattfindenden Zusammenführung neu beginnender Mitarbeitender wird zusätzlich das persönliche Netzwerk gefördert, das später für den typischen „kurzen Dienstweg“ höchst relevant werden kann.

Auch kann durch systematisch angesetzte Aktivitäten (z.B. Stadterkundungen oder auch Escaperooms) bereits ein erstes „Wir-Gefühl“ erzeugt werden. Unterstützend wirken können liebevoll zusammengestellt Welcome-Packages mit kleinen Willkommensgeschenken, die ebenfalls markenbildend sind (Stichwort: Sinnhaftigkeit, Regionalität, Nachhaltigkeit usw.). Es geht nicht um Allerwelts-Werbegeschenke!

Die Bedeutung von Welcome-Maßnahmen ab dem ersten Arbeitstag gilt umso mehr, als aufgrund des Fachkräftemangels Unternehmen immer häufig auch Mitarbeitende aus dem Ausland bzw. nicht muttersprachlich Deutsch-sprechende Menschen einstellen. Hier ist sind Pre-Boarding und Welcome-Phase nochmals deutlich bedeutender.

Schließlich wird in der dritten Phase des professionellen Onboardings die klassische Einarbeitung vorgenommen. Hier sind regelmäßig die betroffenen Fachbereiche gefragt, die neuen Mitarbeitenden gut an den jeweiligen Job heranzuführen. Dabei setzen erfolgreiche Führungskräfte auch auf sogenannte Einarbeitungspaten oder neudeutsch „Buddies“, die über einen gewissen Zeitraum hinweg zur Seite stehen und Hilfestellung leisten, v.a. beim Zurechtfinden in der neuen Organisation.

Digitale Onboarding-Helfer

Wollen Unternehmen in allen drei Phasen des Onboardings erfolgreich sein, gibt es eine Menge zu tun. Allerdings bietet der Markt zwischenzeitlich eine Reihe von digitalen Tools, die vor allem im Bereich Pre-Bording und fachliche Einarbeitung sowie Vernetzung mit Automatisierung aufwarten. Damit müssen HR-Verantwortliche nicht länger mit manuell versendeten zeitversetzen E-Mails arbeiten, sondern können je nach Rollengruppe (z.B. Vertrieb oder Controlling) Onboarding-Pfade definieren.

Das bedeutet, dass zu definierten Zeiten vorgedachte Informationen zugespielt werden, Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen erfolgt (sogenannten Workdates) oder auch Fachinformationen zugänglich gemacht werden. Insbesondere jüngere Zielgruppen können mit mobilen App-Varianten entsprechender Software modern und spielerisch An-Bord-geholt werden; und das auch noch ressourcenschonend – gerade in mittelgroßen Unternehmen.

Wie Offboarding, Recruiting und Onboarding zusammenspielen

Derzeit wird in den Medien immer häufiger darüber berichtet, dass Unternehmen einen Einstellungsstopp vornehmen oder auch Menschen entlassen. Besonders bei arbeitgeberbedingten Kündigungen können dabei – unabhängig von der arbeitsrechtlichen Abwicklung der Prozesse – eine Menge Fehler passieren.

Gerade diese Phase des Employee Life Cycles ist meist der Angstgegner für HR. Das liegt auch daran, dass eine Trennung (egal ob arbeitnehmer- oder arbeitgeberseitig) zu oft als „Kampfansage an die Gegenseite“ aufgenommen wird. Enttäuschungen sind an der Tagesordnung, die Kommunikation vielfach hilflos und unsystematisch. Ja, auch nicht immer ehrlich.

Dabei wird dann seitens der Personalverantwortlichen sogar verkannt, dass zwar einerseits Kündigungen vorgenommen werden, andererseits aber weiterhin für andere Zielgruppen Recruiting-Bemühungen laufen. Das im Trennungsprozess vor allem emotional „zerschlagene Porzellan“ wirkt jedoch sofort über Arbeitgeberbewertungsportale destruktiv auf die Arbeitgeberwahrnehmung und damit den Recruitingerfolg.

Professionelles Offboarding bedeutet darüber hinaus, einen kühlen – oder genau genommen eher herzlichen – Blick in die Zukunft zu wagen. Denn die in einer Krisensituation von den Unternehmen gekündigten Zielgruppen sind oftmals diejenigen, die zu einem späteren Zeitpunkt nach der Krise wieder händeringend gesucht werden. Offboarding ist damit letztlich kein final abschließender Prozess, sondern mündet gedanklich bereits wieder in ein Recruiting, beispielsweise mittels sogenanntem Rehiring. Dabei kann gekündigten Mitarbeitenden – oder auch Mitarbeitenden, die ihrerseits kündigen – schon ein Signal gegeben werden, das man sie zu einem späteren Zeitpunkt gerne wieder als Bewerbende begrüßen möchte.

Dabei handelt es sich (vorzugsweise bei arbeitnehmerbedingten Kündigungen) teilweise sogar um mehr oder minder verbindliche „Wiedereinstellungszusagen“ (bei variablen Positionen). Ganz so weit muss man als Arbeitgeber aber überhaupt nicht gehen. Eigentlich entscheidend ist das gesendete Signal, ob die auf Unternehmensseite agierenden Personen eine feindselige endgültige Trennung ausstrahlen oder sich erkennen lässt, dass das Unternehmen aufrichtig um das Wohlergehen der Gekündigten besorgt ist.

In einigen Unternehmen werden deshalb im Offboardingprozess proaktiv die Bemühungen der Mitarbeitenden unterstützt, bei anderen Arbeitgebern unterzukommen. Oder es werden zusätzlich Weiterbildungen oder sonstige Qualifizierungen durchgeführt beziehungsweise extern bezahlt, die die gekündigten Menschen leichter „arbeitsmarktfähig“ machen. Wobei Arbeitsmarktfähigkeit selbst bei langjähriger Unternehmenszugehörigkeit -trotz großer Expertise- leider keine Selbstverständlichkeit ist.

Ob professionelle On- und Offboarding sogar ein Trendthema ist, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut, kann man durchaus diskutieren. Fakt ist, dass Arbeitgeber an dieser Stelle systematisch Chancen liegen lassen und es meistens besser ginge.

Arbeiten HR-Verantwortliche und Fachbereiche Hand-in-Hand und haben ein ganzheitliches Verständnis von Recruiting, Onboarding, Offboarding und Rehiring, sind sie definitiv anderen Arbeitgebern voraus. Und Arbeitgeberattraktivität hat eben nichts mit wagen Versprechungen im Recruitingprozess zu tun, sondern zeigt sich auch und vor allem dann, wenn es mal schwieriger in der Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Arbeitgeber bzw. Offboarding ein Thema wird.

Legen Sie daher rechtzeitig den Grundstein für systematische und ganzheitlich gedachte Prozesse in den genannten Bereichen.

Nutzen Sie dazu auch unseren Praxisaustausch im PERSOBLOGGER CLUB - der Community-basierten HR-Lernplattform. Infos unter https://club.persoblogger.de

Stefan Scheller schreibt über Job & Karriere, Personalwesen, Wirtschaft & Management, Marketing & Werbung

Top HR Influencer auf PERSBLOGGER.DE, mehrfacher Fachbuchautor und Keynote-Speaker, Betreiber der PERSOBLOGGER CLUB Lernplattform sowie HR-Manager in einem großen deutschen IT-Unternehmen. Schwerpunkte: Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, New Work und digital HR.

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