Warum sich ein deutsches Robotik-Start-up aus China zurückzieht
Durch KI und intelligente Sensoren können Roboter von Neura Robotics mit Menschen interagieren. Jetzt verlagert das Jungunternehmen die Produktion von China nach Deutschland – trotz hoher Energiepreise.
Metzingen. Tobias Gerlach, Entwickler beim Start-up Neura Robotics, fragt den Roboter vor sich: „Mipa, bitte antworte auf Schwäbisch. Wie geht es dir?“ Die Roboterstimme antwortet: „Mir gohds guad!“ Mipa erinnert etwas an R2D2 aus der Weltraum-Saga Star Wars, ist aber mit nur einem Arm schlanker und durch das weiße Design moderner.
Und anders als R2D2 mit seiner Blechstimme kann Mipa dank Künstlicher Intelligenz (KI) fließend 70 Sprachen und auch Dialekte verstehen und sprechen.
Außerdem kann der Assistent auf Rädern zum Beispiel eine Schale Erdbeeren bringen, das Kinderzimmer aufräumen oder Koffer ans Gepäckband befördern. Auch in Laboren und Krankenhäusern kann Mipa helfen, etwa beim Transport von Reagenzgläsern oder bei der Tablettenportionierung.
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Neura Robotics: Nur noch „Made in Germany“
Zwar wurde Mipa bei Neura Robotics in Metzingen entwickelt, aber bisher fast ausschließlich in China gefertigt – genauso wie seine Roboterkollegen Maira, Lara und Mav. Damit soll noch in diesem Jahr Schluss sein, wie das Handelsblatt exklusiv erfuhr.
Das 2019 gegründete Start-up will die Produktion komplett in die Bundesrepublik verlagern. Firmengründer und Chef David Reger sagt: „Wir gehen trotz der hohen Energiepreise und anderer Herausforderungen mit der Produktionsverlagerung nach Deutschland in Vorleistung, um unser Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland zu beweisen.“ „Made in Germany“ sei ein weltweites Gütesiegel.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Neura Robotics der Volksrepublik abwendet. Einen ähnlichen Weg ging Reger bereits mit seinem früheren Mehrheitseigner Han’s Robot aus China. Der zahlungskräftige Investor, der zum Milliardenkonzern Han’s Laser Technology gehört, und das deutsche Start-up kamen nicht zusammen.
Für Finanzierungsgespräche war Reger sogar während der Coronakrise nach China gereist, musste drei Wochen in Quarantäne verbringen. Aber die Metzinger kamen an versprochene Gelder nicht heran, die für das Verluste schreibende Start-up essenziell waren.
„Wir hatten ein gefülltes Bankkonto in China und mussten trotzdem schauen, wie wir überleben“, erinnert sich Reger, der damals sogar seine eigene Immobilie belieh. „Das war ein ziemlicher Kampf und in meinem Leben wohl die bisher schwierigste Zeit.“
Letztlich konnte Reger gemeinsam mit neuen Investoren die Anteile von Han’s Robot übernehmen. Seine Sonderrechte ließ er im Gesellschaftervertrag festhalten. Inzwischen sind nur noch westliche Geldgeber an Bord: vom deutschen Deeptech-Investor Primepulse über Lingotto, dem Investmentarm der italienischen Agnelli-Familie, bis hin zu Vsquared Ventures und HV Capital.
Deutscher Standort ermöglicht EU-Standards
Fabian Gruner von HV Capital begrüßt die Entscheidung des Start-ups, nur noch in Deutschland zu produzieren: „Dies sichert nicht nur die technologische Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf dem globalen Markt, sondern fördert auch den Wissenstransfer, die lokale Wirtschaft und die Schaffung hochqualifizierter Arbeitsplätze.“ Die jetzigen Investoren könnten sicherstellen, dass die Werte und Ziele im Einklang mit den lokalen und europäischen Standards stehen.
Spätestens seit der umstrittenen Übernahme von Kuka durch den chinesischen Midea-Konzern wird auch aufseiten der Investoren ein größerer Wert auf Souveränität gelegt. Das Roboterunternehmen aus Augsburg befindet sich inzwischen komplett in chinesischen Händen. Damals änderte die Bundesregierung sogar ihr Außenwirtschaftsgesetz, um Firmen von außerhalb der Europäischen Union (EU) solche Deals zu erschweren.
Denn China treibt das Thema Robotik stark voran. Die Entwicklung sei aus deutscher Sicht bedenklich, sagt Frank Konrad, CEO von Hahn Automation und Vorsitzender des Fachverbands Robotik und Automation beim Branchenverband VDMA. Deutschland müsse sowohl bei Automatisierung der Fertigung – also dem Einsatz von Robotern – als auch bei der Förderung der Robotikbranche mehr tun. Länder wie China stärkten ihre Robotik-Champions durch staatliche Subventionen, Wagniskapital und Industriepolitik, heißt es in einem Strategiepapier des VDMA.
In der Branche gibt es daher auch Sorgen wegen der Vorwürfe gegen einen Wettbewerber von Neura Robotics, Agile Robots aus München. Die Unternehmerbrüder Christoph und Martin Schoeller vermuteten China-Verbindungen bei Agile. „Wir müssen davon ausgehen, dass es sich bei Agile faktisch um ein durch in China ansässige Gesellschaften und Institutionen kontrolliertes Unternehmen handelt“, schrieben sie in einem Brief an das Bundeswirtschaftsministerium.
Dennoch erhielt Agile Robots im November den Zuschlag für den insolventen Münchener Roboterbauer Franka Emika, für den zwischenzeitlich auch Neura geboten hatte. Neura zog sein Angebot allerdings frühzeitig zurück. „Da wurden Dinge versprochen, die am Ende nicht da waren“, sagt Reger. Für Neura hätte ein Deal aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn mehr ergeben. Weitere Details nannte Reger nicht.
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US-Investor steigt bei Neura Robotics ein
Bei Neura kam kürzlich der Private-Equity-Investor Interalpen aus den USA mit einer Investition über 15 Millionen Euro mit an Bord. „Ich würde gern eine Zukunft sehen, in der Deutschland und Unternehmen wie Neura Robotics wirklich zum Synonym für fortschrittliche Roboterentwicklung und -produktion werden“, schrieb Interalpen-Partner Stephen George.
Neura Robotics setzt sich selbst hohe Ziele. „Wir wollen nicht nur Roboter für die Industrie bauen, sondern für alle Bereiche des Lebens“, sagt Reger. Standards will er vor allem in der kognitiven Robotik setzen, also bei den sogenannten Cobots. Dabei handelt es sich um Roboter, die durch den Einsatz von KI, intelligenten Sensoren und Softwaresystemen in der Lage sind, mit ihrer Umgebung zu interagieren und zu lernen. Sie sollen es letztlich ermöglichen, dass Roboter und Menschen Seite an Seite arbeiten können.
Neuras Roboter Maira kann beispielsweise je nach Ausstattung zum Schrauben, Schweißen oder Lackieren eingesetzt werden und bis zu 35 Kilogramm heben oder palettieren. Er erkennt es, wenn ein Finger auf einem Blechteil entlangfährt, und kann dann eine exakte Schweißnaht setzen.
Automation: Markt wächst trotz Wirtschaftsschwäche
Das Marktpotenzial in der kollaborativen Robotik ist enorm: Die Marktforscher von Statista schätzten die Größe des weltweiten Cobot-Marktes im Jahr 2020 auf 475 Millionen Dollar. 2030 sollen es dann bereits acht Milliarden Dollar sein. Auch die gesamte Robotik- und Automationsbranche in Deutschland prognostiziert für das laufende Jahr trotz der Wirtschaftsschwäche einen Umsatzanstieg um vier Prozent.
Neura-Gründer Reger geht noch einen Schritt weiter und prognostiziert, dass der Robotermarkt größentechnisch mit dem Automarkt oder dem Bedarf an Smartphones gleichziehen wird.
Dieses Potenzial will Reger nutzen: „Wir wollen so schnell wie möglich profitabel werden.“ Noch schreibt Neura rote Zahlen. In diesem Jahr peilt die Firma, deren Wert auf eine halbe Milliarde Dollar geschätzt wird, einen Umsatz von 50 Millionen Euro an. Zu den Kunden zählt der japanische Traditionskonzern Kawasaki. Auch der Schweißtechnik-Spezialist Binzel setzt auf Neura. Zu den größten Konkurrenten gehört Universal Robots aus Dänemark, die unter anderen Siemens, Continental und BMW als Kunden haben.
Letztlich zieht es Reger an den Aktienmarkt: „Wir wollen ganz klar einen Börsengang hinlegen.“ Jeder, auch die derzeit 180 Mitarbeiter, solle am Erfolg von Neura teilhaben können.
Neura Robotics setzt auf White-Label-Lösung
Um möglichst schnell skalieren und möglichst viele Roboter in den Markt zu bringen, setzt Neura auf eine White-Label-Strategie. Die Produkte von Neura können also von anderen Herstellern unter anderen Marken verkauft werden.
„Das Aufbauen eines Markennamens dauert Jahre. Die Zeit gibt es auf dem Markt nicht mehr“, begründet der Firmenchef die Entscheidung. Wichtiger seien namhafte große Kunden. Mit den Erlösen aus diesen Aufträgen könne Neura schneller neue Technologien entwickeln. Das sei zumindest bei den industriellen Anwendungen wichtiger als der Aufbau eines Markennamens.
In der Fertigung in Metzingen zeigt sich bereits die neue Strategie: Die meisten Teile werden vor Ort montiert. Die Intelligenz kommt aus der Softwareabteilung in einem Nachbarbau. Das, was für viele Jungunternehmen eine der größten Hürden ist, scheint für die Schwaben kein Problem zu sein: der Sprung vom Start-up zum Scale-up.
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