© Pixabay

Warum stehen wir morgens auf? Ein Weckruf

Nicht was wir tun, sondern warum wir etwas tun ist entscheidend für den Erfolg unserer Handlungen, schreibt der Marketingexperte Simon Sinek in seinem Buch „Start with Why“ (2009). Erfolgreiche Menschen, Unternehmen und Organisationen stellen das Warum in den Mittelpunkt und verlieren niemals diesen Zielmagnetismus aus den Augen.

Alles, was sie tun, basiert auf der Frage: Warum stehe ich morgens auf? Im Oktober 2014 gab der Sänger Phil Collins der britischen Zeitung „Mirror“ ein Interview, in dem er sagte, dass er nicht weiß, warum er morgens aufstehen soll, obwohl er auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken kann: über 250 Millionen verkaufte Tonträger, sieben Grammys und ein Oscar. Er litt in den vergangenen Jahren unter Depressionen und versuchte, seine Einsamkeit und die drei gescheiterten Ehen mit Alkohol zu bekämpfen. Sein Arzt erklärte ihm schließlich: „Ich kann Sie vom Trinken wegbringen. Aber ich kann Ihnen keinen Grund geben, morgens aufzustehen.“ Wer sein Warum kennt, ist auch in der Lage, die Realität um ihn herum mit bestechender Klarheit wahrzunehmen und richtige Entscheidungen zu treffen: selbstbewusst und sich der Folgen bewusst.

Doch gerade sie machen heute die „Neuerfindung des Erfolgs“ aus, die Arianna Huffington in ihrem gleichnamigen Buch beschreibt. Sineks Modell des Golden Circle besteht aus drei konzentrischen Kreisen mit WHY im Innersten, HOW in der Mitte und WHAT außen. Die Antwort auf die Frage, „Warum man tut, was man tut?“, ergibt nichts anderes als den Sinn, der in einer Sache gesehen wird. Wer sein Warum kennt, ist nachweislich glücklicher und kann andere dazu bewegen, ein Teil seines Handelns zu sein. Für Unternehmen bedeutet das, zu formulieren, woran die Menschen hier glauben, und damit beurteilen zu können, welche Marktteilnehmer dasselbe glauben. In dieser Gemeinsamkeit liegt laut Sinek der Schlüssel zum nachhaltigen Geschäftserfolg ("People don't buy WHAT you do, but WHY you do it"). Dabei werden von ihm auch biologische Erklärungsversuche herangezogen, indem er die Struktur des Gehirns mit seinem Golden Circle in Beziehung setzt: Das WHY ist deshalb so schwer zu artikulieren, weil die emotionalen und intrinsischen Prozesse in einem Teil des Gehirns kontrolliert werden, der nicht für die Sprachsteuerung verantwortlich ist. Das WHAT dagegen ist einfach zu kommunizieren, weil es in der Regel rational gesteuert wird.

Doch das Produkt (WHAT) ist nur das Ergebnis einer Aktion (HOW) – diese wiederum kann nur aus dem Antrieb des Unternehmens resultieren (WHY). Mit „Warum“ mein Sinek nicht Profit, denn dieser kann immer nur ein (wünschenswertes) Ergebnis einer Handlung sein. „Es geht darum, eine langlebige Institution aufzubauen, die nicht nur wirtschaftliche Ziele im Blick hat, sondern auch einen Kontext für humanitäre und gesellschaftliche Entwicklung bietet. Der wirtschaftliche Gewinn ist die Grundvoraussetzung dafür“, sagt der Unternehmer Matthias Krieger. Der Baudienstleister und Projektentwickler existiert, „um durch den Bau wohngesunder Lebensräume die Gesundheit der Menschen und den Planeten, auf dem wir leben, generationsübergreifend zu schützen“, so Krieger. Der Auftrag des Unternehmens sieht er auch darin, mit dem Wohnungsbau individuellen Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden. Was für den Unternehmenszweck konkret getan wird, ist dann die Vision. Und wie sie erreicht wird, ist die Mission. Unternehmenszweck und die gelebten Werte stellen für Krieger einen Mehrwert für das gesamte Eco-System des Unternehmens dar. Der Unternehmenszweck ist für ihn „das Herz, die Seele, die Lebensader der Organisation. Er ist der Sinn, den Menschen in ihrer Aufgabe im Unternehmen erkennen – jenseits der puren Notwendigkeit, mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Das übergeordnete Ziel ist dabei, die Welt abseits ökonomischer Betrachtungen zum Guten zu verändern.“

Die Fragen nach dem Geschäftszweck und den Glaubensgrundsätzen der Organisation stellt Matthias Krieger auch in seinem Buch „Werte. Das Fundament unserer Leistungskultur“, in dem er zeigt, dass der Unternehmenszweck allen Beteiligten eine gemeinsame Richtung gibt. Mit ihm ist die Verpflichtung verbunden, die Gesellschaft positiv zu beeinflussen und eine gemeinsame lebenswerte Zukunft zu schaffen. Auch wird den Mitunternehmern hier fernab der finanziellen Rendite eine sinnstiftende Möglichkeit geboten, gesellschaftlich relevante Ziele zu erreichen. Dieses Versprechen entsteht von innen heraus, wird von allen Beteiligten „ehrlich, authentisch und individuell“ getragen. Der Unternehmenszweck muss allerdings immer wieder überprüft werden, um zu sehen, ob die eigenen Versprechen einhalten wurden. Das macht heute gute Arbeit aus.

Für den Marketinexperten Tim Leberecht ist es an der Zeit, dass wir uns mit Leib und Seele in unsere Arbeit einbringen: „Verschreiben Sie sich dem Dienst an der Sache. Verschreiben Sie sich einem Leben in dem Raum zwischen Autonomie und Hingabe. Vor allem aber: Verschreiben Sie sich der Arbeit. Zwei Minuten, vier Minuten, acht, sechzehn, zweiunddreißig. Ein Leben lang." Weil wir die meiste Zeit unseres Lebens mit Arbeit verbringen, sollte dafür gesorgt werden, dass Führungsverantwortlichen und Unternehmen bewusst ist, warum sie das tun, was sie tun: „Wichtig ist die Erkenntnis, wieso machen wir es? Wieso haben wir eine Existenzberechtigung?"

Wenn er sich als unverbesserlichen Business-Romantiker bezeichnet, so heißt das nicht, dass er ein Tagträumer oder Idealist ist. Wie alle, die sich als Business-Romantiker begreifen, ist auch er nicht immer mit der Gegenwart einverstanden und sieht die Zukunft oft klarer. Das gelingt ihm deshalb, weil ihn jene Spannungsfelder, die das eigene Blickfeld wesentlich erweitern, schon immer angezogen haben: Geld und Geist, Sinngehalt, Kommerz und Kultur, Transaktion und Transzendenz. Es muss neben dem Erklärbaren auch Raum für das Unerklärliche geben und für das Implizite neben dem Expliziten, schreibt er in seinem Buch „Business Romantiker“. Denn Führungskräfte brauchen diese Weite im Denken, um die „unvermeidliche Unordnung des Wirtschaftslebens begreifen zu können". Ein verwandter Geist ist für ihn der 2005 verstorbene Managementtheoretiker Peter Drucker, der das Konzept des „purpose-driven business" etabliert hat. Demnach brauchen Unternehmen einen Daseinszweck, ein höheres Ziel, um im Wettbewerb bestehen zu können.

Wenn nur Profit und Shareholder im Fokus stehen, geht die „Rechnung“ nicht auf. Organisationen mit Purpose weisen um 42 Prozent bessere Finanzierungsergebnisse auf (Global Leadership Forecast 2018, Ernst & Young). Heute wird von der gesellschaftlichen Akzeptanz von Unternehmen gesprochen. Wo sie fehlt, manifestiert sich dies in einem schleichenden Verlust der unternehmerischen Kooperationsfähigkeit, infolgedessen die unternehmerische Wertschöpfung erschwert wird (Wirtschaftslexikon Gabler). Sie kann damit auch als die Basis der unternehmerischen Wertschöpfung bezeichnet werden. Ihr Management ist Bestandteil von Corporate Social Responsibility (CSR). Als Leberecht Betriebswirtschaft studierte, hatte es für seine Seele immer etwas Tröstendes, Drucker zu lesen, weil seine Bücher „menschlich und warm" klangen. Drucker prägte den Begriff vom sinngeleiteten Business, widmete sich der Bedeutung von Werten für die Wirtschaft an und verband Management und Geisteswissenschaften miteinander. Für Leberecht war er ein Vorbote der Möglichkeiten und der Verantwortung, „die ein modernes Großunternehmen dafür hat, Gemeinschaften aufzubauen und Sinn zu schaffen.“

Die Bücher von Leberecht und Krieger erbringen den Nachweis, dass mehr als sechzig Jahre nach Erscheinen von Viktor Frankls wichtigem Werk „Der Mensch auf der Suche nach Sinn" der größte gemeinsame Nenner einer ganzen Generation heute „Sinn" ist.

  • Richtig navigieren: Vom Wertewandel zum Kulturwandel

  • Der Mensch auf der Suche nach Sinn: Zur Aktualität von Viktor Frankl

  • Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler. Heidelberg, Berlin 2021.

  • Arianna Huffington: Die Neuerfindung des Erfolgs. Weisheit, Staunen, Großzügigkeit – Was uns wirklich weiterbringt. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Mallett und Karin Schuler. Riemann Verlag, München 2014.

  • Matthias Krieger: Werte. Das Fundament unserer Leistungskultur. Dingelstedt 2022.

  • Visionäre von heute – Gestalter von morgen - 2018 Inspirationen und Impulse für Unternehmer. SpringerGabler Verlag. Berlin, Heidelberg 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen