Warum wir unsere Mitarbeiter wie Leistungssportler behandeln müssen
Viele Mitarbeiter leiden an Rückenschmerzen, Verspannungen oder Knieproblemen. Betriebssport und Stehtische sollen Abhilfe verschaffen, nur leider machen die im Einzelfall alles nur noch schlimmer. Warum pauschale Maßnahmen nichts bringen und so manche Berufsgruppen genauso so viel leisten wie Spitzensportler.
Woran denken Sie, wenn ich Ihnen den Begriff Leistungssportler nenne? Bestimmt an wochenlange Wettkämpfe, hartes Training, einen strikten Ernährungsplan und eine Menge Disziplin. An jemanden, der jeden Tag über den Fußballplatz rennt, kilometerweit schwimmt, Berge erklimmt oder von Skischanzen springt. An jemanden, dessen Leben sich von morgens bis abends nur um den Sport dreht. Und ja: oft sind solche Menschen Leistungssportler. Aber die wahren Leistungssportler unserer Gesellschaft sitzen mitten unter uns.
Ich rede nicht von professionellen Spitzensportlern, die nebenbei normalen Bürotätigkeiten nachgehen, sondern von Menschen wie meinen Eltern. Menschen, die morgens ganz selbstverständlich zu Arbeit gehen, obwohl sie seit Wochen der Bandscheibenvorfall plagt, das Herz Probleme macht oder die Knie schmerzen. Menschen, die jeden Tag elf, zwölf Kilometer zurücklegen, weil sie Handwerker sind, als Hausmeister arbeiten oder im Restaurant von morgens bis abends Gäste bedienen. „Normale“ Berufstätige also, die von der Belastung her genauso viel arbeiten wie Spitzensportler und ihren Körper durch ihre tagtägliche Arbeit stark beanspruchen. DAS sind die wahren Leistungssportler unserer Gesellschaft – die leider kaum Beachtung finden.
Ursache statt Symptome
Durch meine Zeit als Fußball-Profi weiß ich, wie man sich als Leistungssportler optimalerweise fit hält: ich hatte Trainer, die mir gesagt haben, wie ich meine Leistung verbessere, Köche, die mir die besten Mahlzeiten zubereitet haben und Ärzte, die mich nach einem anstrengenden Tag wieder aufgepäppelt haben. Jedes Wochenende habe ich Beifall dafür bekommen, dass ich 90 Minuten lang ein paar Kilometer über den Rasen laufe. Den Handwerker, den Hausmeister oder den Kellner beklatscht nach einem anstrengenden Arbeitstag allerdings keiner.
Berufsgruppen wie diese legen dabei zum Teil die gleichen Strecken zurück wie Bundesligaspieler. Natürlich nicht in 90 Minuten, aber über den Tag verteilt ist die Belastung ähnlich. Zehn, elf, zwölf Kilometer stehen da am Ende auf dem Tacho und am nächsten Tag geht es direkt wieder von vorne los. Von Regeneration, Kompression, Massagen, Physiotherapie oder Einlagen wie bei uns Fußballern ist da keine Rede. Stattdessen werden Knieprobleme mit Schmerzmitteln bekämpft, Tabletten gegen die Schlafstörungen genommen und auch noch der zweite und dritte Job angenommen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Symptombekämpfung statt Ursachenforschung also. Und irgendwann streikt der Körper.
Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Die mangelnde Gesundheit vieler Mitarbeiter führt inzwischen dazu, dass wir Deutschen im Schnitt 16,7 Tage pro Jahr krank sind. Das Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin beziffert den daraus entstehenden volkswirtschaftlichen Schaden für deutsche Unternehmen allein in 2017 auf rund 76 Milliarden Euro. Kosten, die um einiges geringer sein könnten, wenn die gesundheitlichen Probleme vieler Mitarbeiter endlich erkannt und mehr aufgeklärt würden. Schmerzen in Rücken, Knien und Bandscheiben sind nämlich die häufigste Ursachen für Fehltage.
Sicher: wohlgemeinte Versuche für mehr Gesundheit sind ja da – nur leider wird oft an den falschen Enden angesetzt. Beispiel Betriebssport: Klar ist der grundsätzlich richtig und sinnvoll, aber doch bitte nicht für Leute, die sowieso schon jeden Tag zwölf Kilometer laufen, weil sie als Kellner arbeiten oder als Page im Hotel. Nach einem anstrengenden Bundesligaspiel früher bin ich ja abends nicht auch noch mit meinen Jungs kicken gegangen. Das hält der Körper einfach nicht durch.
Anderes Beispiel: Stehtische. Die schießen ja momentan überall aus der Erde, obwohl der medizinische Nutzen für viele Mitarbeiter fragwürdig ist. Wer jahre- oder gar jahrzentelang im Bürostuhl saß und plötzlich stehen soll, der setzt sich einer immensen körperlichen Belastung aus, die er gar nicht gewohnt ist. Wer dann stundenlang mit Knick-Senk-Spreiz-Fuß in ausgelatschten Schuhen vor dem Tisch steht, die Schultern hochzieht, weil die Höhe falsch eingestellt ist und vielleicht auch noch im Hohlkreuz arbeitet, dem geht’s abends sicherlich nicht besser, obwohl er doch jetzt den vielversprechenden Stehtisch nutzt. Weil keiner gelernt hat, wie man daran steht und wie der Tisch eingestellt werden muss. So funktioniert das nicht, das ist nicht durchdacht.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Betriebssport ist super als Ausgleich oder um das Teamgefühl zu stärken und auch Stehtische erfüllen oft ihren Zweck. Beides würde ich nie in Abrede stellen, nur muss immer der individuelle Fall betrachtet werden. Alle Mitarbeiter mittags zum Joggen zu schicken ist genauso unsinnig wie Menschen mit einer krummen Statik an den Stehtisch zu stellen, in der Hoffnung, die gesundheitlichen Probleme würden sich damit in Luft auflösen. Da muss man genauer hinsehen: alle Mitarbeiter brauchen eine Einführung, wenn sie das erste Mal am Stehtisch stehen und wenn es gar nicht geht, na dann sitzen sie halt wieder. Am Ende ist ja auch nicht das Sitzen allein Gift für den Körper, sondern die mangelnde Bewegung und die stundenlange Belastung. Und die wird durch Stehen am Stehtisch sicherlich nicht weniger.
Kompression für jedermann
Viel wichtiger als solche pauschalen Maßnahmen ist deshalb die individuelle Aufklärung. Mein Papa litt jahrelang an Bandscheibenvorfällen und hat sich immer nur darum bemüht, die Schmerzen irgendwie zu lindern, statt die Ursachen zu bekämpfen. Durch meine Betreuung als Leistungssportler wusste ich zum Glück, dass ihm Einlagen helfen können oder Kompressionsstrümpfe, weil er abends immer dicke Knöchel hatte. Aber von allein wäre er sicherlich nie auf die Idee gekommen, sich mal um seine Statik zu kümmern oder mal in ein Sanitätshaus zu gehen. Stattdessen hieß es: „Kompressionsstrümpfe? Das sind doch diese Stützstrümpfe für alte Menschen, diese hautfarbenen Dinger.“ Und genau die wollen viele nicht.
Doch was viele nicht wissen: Kompression kann wirklich jeder gebrauchen, vor allem Leute in Stehberufen, unabhängig vom Alter. Ich trage Kompressionstrümpfe seit ich 19 Jahre alt bin und das hat nichts mit verkalkten Venen oder Rheuma zu tun. Viel eher geht es darum, dass sich keine Ablagerungen bilden, die Lymphe unterstützt wird und die Socke abends nicht schon wieder am Knöchel einschneidet, weil die Beine vom Laufen komplett überlastet sind. Kompressionsstrümpfe sind da wie ein kleiner Physiotherapeut to go, die dem Körper helfen, in Gang zu bleiben.
Statt Stehtische hinzustellen oder überfordernden Betriebssport anzubieten sollten sich viele Firmen deshalb lieber um Hilfe direkt AM Mitarbeiter bemühen: wie können wir Belastungen erträglicher machen? Wie können wir Krankheiten vorbeugen? Und wie können wir die Leistung der Angestellten optimieren? So wie bei Spitzensportlern, Leichtathleten und Fußballern, die rund um die Uhr versorgt werden, damit sie eine gute Performance erzielen. Und genauso muss es auch endlich für Mitarbeiter laufen – die wahren Leistungssportler unserer Gesellschaft.
Eingreifen statt zusehen
Glücklicherweise wächst inzwischen eine Ärztegeneration nach, die Knieschmerzen oder Rückenprobleme nicht direkt operieren will, sondern auch mal über ganz einfache Mittel wie Einlagen nachdenkt. Mediziner, die aufklären, statt direkt zu operieren und genau da müssen wir alle hinkommen! Arbeitgeber müssen ihren Angestellten ganz selbstverständlich Tipps und Mittel an die Hand geben, abseits von Stehtischen und Betriebssport, die zwar durchaus ihren Sinn haben, aber eben nicht allen helfen. Führungskräfte müssen ihren Angestellten die Freiheit geben, sich ärztliche Hilfe zu suchen und vor allem auch die Zeit, mittags mal zum Arzt zu gehen. Denn wie viele Menschen gehen schlicht nicht zum Arzt, weil sie keine Termine bekommen oder Angst haben, im Büro zu fehlen? Und dann werden Schmerzen kleingeredet und die Beschwerden schlimmer und schlimmer – und dann ist das Kind tatsächlich irgendwann in den Brunnen gefallen und alles zu spät!
Deshalb: behandelt eure Mitarbeiter endlich wie Leistungssportler. Fußballer lässt man doch auch nicht ewig laufen, bis sie ausfallen. Da muss man vorher ran! Nicht nur, weil wir damit Kosten sparen, sondern Leistungen steigern, die Gesundheit fördern und mehr Zufriedenheit erreichen. Und was können Unternehmen mehr wollen als gesunde, glückliche und motivierte Mitarbeiter?