Warum wir unseren Fokus auf den Fokus setzen sollten
Der Bindestrich zwischen den Daten auf unserem Grabstein ist das, „was wir unserer kosmischen Unwichtigkeit entgegenzusetzen haben“, schreibt der britische Journalist und Autor Simon Garfield in seinem Buch „Zeitfieber“. Darin erzählt er, wie es dazu kommen konnte, dass wir alle unter Zeitdruck stehen, warum wir die Zeit messen, kontrollieren, verkaufen, filmen und auf Zeitmanagement-Ratgeber verzichten können.
Verfolgt werden damit zwei Ziele: Es sollen aufschlussreiche Geschichten erzählt und die Frage gestellt werden, „ob wir alle völlig durchgeknallt sind.“ Und es richtet unsere Aufmerksamkeit auch auf Kunsthandwerker wie Uhrmachermeister, die auch in unserer verpixelten Welt noch immer einen hohen Stellenwert haben.
Die Idee zum Buch hatte er nach einem Fahrradunfall. Die Armbanduhr, die er im Augenblick des Unfalls trug, wurde in den 1950er-Jahren gefertigt und ging täglich zwischen vier und zehn Minuten nach, abhängig davon, wie oft er sie aufzog. Er liebte sie, weil sie alt war und er diesem Produkt vertrauen konnte, „weil sie seit Jahren dasselbe macht“. Vor allem gefiel ihm das Analoge, die Federn sowie Zahn- und Schwungräder, die ohne Batterie auskamen.
Uhren sagen viel über unser Verhältnis zum Leben aus, in dem das Ansagen der Zeit heute oft wichtiger geworden ist als das Verständnis für das Uhrwerk. Damit geht der Zeitbegriff als Dimension des Lebens immer mehr verloren und führt zugleich in große Zeitbedrängnis, die mit einer beschleunigten Lebenszeit bezahlt wird, die das Leben durch Geschäftigkeit tötet. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unserer Zeit achtsam umgehen. Dies zu können bedeutet nicht nur, Prioritäten zu setzen, sondern auch zu entscheiden, welche Aufgaben von der eigenen To-do-Liste gestrichen werden können, um sich auf die richtigen Maßnahmen zu konzentrieren.
Das funktioniert, wenn wir schädliches Multitasking vernachlässigen und lernen, uns auf das eigene Potenzial und die damit verbundenen Möglichkeiten zu konzentrieren und Störfaktoren ausblenden. Ein bisschen „Notarztgeist“ würde er sich für jede Firma wünschen, denn in vielen Unternehmen haben Mitarbeitende und Führungskräfte das Gefühl, dass der Arbeitstag nicht genug Stunden, um alle Aufgaben auszuführen. „Ihnen fehlt das nötige Zeitmanagement, um alle Anforderungen im vorgegebenen Zeitraum zu erledigen“, heißt es im Blog der Neumüller Unternehmensgruppe, der zeigt, wie Zeitmanagement zu Selbstmanagement wird und auch gleich einige Tipps mitliefert, die dabei helfen, nicht überfordert zu sein und mit der Erfüllung der Aufgaben. Um das Zeitmanagement richtig zu gestalten, eignet sich beispielsweise die ALPEN-Methode:
A: Aufgaben aufschreiben
L: Länge einschätzen
P: Pufferzeit einplanen
E: Entscheidungen treffen
N: Nachkontrollieren.
Etwa 40% der vorgesehenen Zeit für eine Arbeit zusätzlich als Zeitpuffer eingeplant werden sollte. Entscheidungen zu treffen, ist der wahrscheinlich wichtigste Schritt der ALPEN Methode. Hier gilt es zu entscheiden, welche Aufgaben Priorität haben. Dabei können folgende Strategien helfen. Bei der ABC-Strategie werden alle Aufgaben nach drei Kategorien sortiert:
A: Sehr wichtige Aufgaben, die zuerst erledigt werden müssen.
B: Projekte, die eine hohe Priorität haben.
C: Diese Aufgaben können noch warten und sind nicht sehr relevant.
Es sollte darauf geachtet werden, nicht zu viele Aufgaben in die A-Kategorie zu legen, weil damit Stress verbunden ist. Es sollten hier nur Aufgaben sortiert werden, die sofort erledigt werden müssen. Auch bei der Kanban-Strategie (auch Signalkarten-Strategie) werden die Aufgaben in drei Bereiche unterteilt:
zu erledigen
in Bearbeitung
erledigt.
Alle Aufgaben werden über den Tag hinweg in die drei Kategorien unterteilt. Ist eine Aufgabe erledigt, wird sie im entsprechenden Bereich abgelegt. Verwiesen wird auch auf Ivan Blatter, Personal Trainer für neues Zeitmanagement aus Basel, der in der Süddeutschen Zeitung bemerkte: „Die hohe Kunst eines guten Zeitmanagements ist, sich möglichst oft und möglichst lange auf die wichtigen Dinge zu fokussieren.“ Malu Dreyer, seit 2013 Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, bemerkte im Interview mit dem Psychologen und Coach Louis Lewitan: „Du kannst eine Akte nur einmal in die Hand nehmen. Wenn Du einen Extrahaufen anlegst für alles, was du nicht direkt entscheiden willst, dann wirst du nie fertig.“
Allerdings verweist er auch darauf, dass wir Freiräume brauchen und unseren Geist in bestimmten Situationen nicht durch Zeitdruck „beschneiden“ sollten. Es widmet sich in diesem Kontext auch Themen wie TED-Vorträgen, die nur 17 Minuten dauern sollten. Dies lasse dem Sprecher genügend Zeit für seinen Beitrag und die Verdichtung seiner Aussagen und sei nach Ansicht der Organisatoren die ideale Zeitspanne, „damit ein Referat online zum Renner werde, denn sie sei etwa so lang wie eine Kaffeepause“. Garfields Erfahrungsbericht aus Toronto gibt jedoch zu denken: Sobald man sein 17-Minuten-Limit erreichte, erschien jemand der Verantwortlichen am Rand des Podiums. Wurde der Vortrag um eine Minute überschritten, näherte er sich langsam, und falls man noch weiter überzog, rückte er immer näher heran, „bis er neben einem stand, bereit, mit einer geistreichen Bemerkung dazwischen zu gehen.“
„Aber 17 Minuten sind gnadenlos; es darf keine Längen geben, keine Rückblicke, keine Exkurse. Außerdem hatte das Publikum 5000 kanadische Dollar pro Nase bezahlt, um da zu sein, also sieh besser zu, dass du Spitze bist.“ Dieses Erlebnis hat ihn begreifen lassen, wie destruktiv es sein kann, sich übermäßig auf die Zeit zu konzentrieren. In diesem Fall war sie darauf ausgelegt, einen Rahmen bzw. Aufmerksamkeitsfokus zu bieten, aber sie schaffte es nur, die Teile seines Gehirns einzuengen, „die mit freiem Denken und Vorstellungskraft zu tun haben“. Das TED-Erlebnis war für ihn so, als fiele er ein zweites Mal von seinem Rad, während sein Gehirn automatisch alle Verbindungen (außer den lebenswichtigen) abschaltete.
Ausführliche Geschichten und das geistige Flanieren sind heute unverzichtbar, wenn es darum geht, unsere Möglichkeiten zu stärken, einsichtig zu handeln, unsere Intelligenz zu trainieren und uns den Optimismus von Aristoteles zunutze zu machen: „Wir leben in Taten, nicht in Jahren, in Gedanken, nicht Atemzügen, in Empfindungen, nicht in Zahlen auf einer Sonnenuhr. Wir sollten die Zeit in Herzschlägen messen.“
Schlechtes Zeitmanagement und Selbstmanagement – Der Karriere Killer
Tickendes Understatement: Nachhaltigkeit in der Uhrenbranche
Interview mit Malu Dreyer. In: DIE ZEIT DOCTOR 9/2016, S. 18
Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
Simon Garfield: Zeitfieber. Warum die Stunde nicht überall gleich schlägt, die innere Uhr täuschen kann und Beethoven aus dem Takt gerät. Aus dem Englischen von Jörg Fündling. Theiss Verlag, Darmstadt 2017.
Hermann Scherer: Fokus! Provokative Ideen für Menschen, die was erreichen wollen. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2016.