Was bleibt: Was DAS BUCH mit uns und unserer Gesellschaft zu tun hat
Vor 33 Jahren erschien von Alfons Schweiggert ein Roman mit dem Titel DAS BUCH, der nach seinem Erscheinen von der Kritik hochgelobt wurde. Nach drei Jahrzehnten erinnert sich allerdings kaum noch jemand daran, was sehr bedauerlich ist, denn es ist ein Meisterwerk deutscher Literatur: amüsant, ideenreich, sprachgewaltig und tief an der Oberfläche. Es erzählt auch von uns selbst, wenn wir lesen und lieben, uns selbst vergessen und in etwas anderem aufgehen. Für die Hauptfigur Biblis „waren Bücher im Komfort des Lebens ein notwendiger Hausrat und das papierne Gedächtnis der Menschheit, wodurch ihm nicht nur Reisen in der Gegenwart verstattet waren, sondern sogar in die Vergangenheit und Zukunft und in real nicht existierende Dimensionen.“ Um den nachhaltigen Wert dieses Buches zu erkennen, muss es auch zugänglich sein. Doch es erlebte den Lebens- und Leidensweg so vieler Bücher: nach Erscheinen von der Kritik hochgelobt und für kurze Zeit ein Bestseller, danach Abtauchen in die Backlist und vielleicht noch eine TB-Ausgabe, dann nur noch in Buch-Antiquariaten zu finden und schließlich ein Versinken in völliges Vergessen. Es braucht einen nachhaltigeren Umgang mit guter Literatur. Vor diesem Hintergrund entstand das folgende Interview.
1991 erschien DAS BUCH kurioserweise sogar in Südkorea. Doch dann breitete sich mit den Jahren auch über meinen Roman, wie über so viele Bücher der Mantel des Vergessens und heute ist nur noch eine TB-Ausgabe im Allitera Verlag München erhältlich. Auf dem Titel dieser Ausgabe fand eine Zeichnung von mir Verwendung.
Ja, im Juli 2011 legte Barbara Bayer-Schur eine interessante Dissertation zur Erlangung des philosophischen Doktorgrades an der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen vor mit dem Titel „Das Buch im Buch. Untersuchungen zu einem Motiv in der gegenwärtigen literarischen Kommunikation“ vor, in dem die Autorin u.a. auch auf meinen Roman DAS BUCH eingeht.
Das Schicksal der Buchwerdung ereilt in meinem Roman den Büchernarren Herrn Bibli, den bei einer zufälligen Begegnung auf dem Flohmarkt DAS BUCH erwählt. Er kann sich trotz düsterer Vorahnung der Faszination nicht entziehen und liefert sich damit der qualvollen Verwandlung in ein Buch aus. Der einstige Mensch Bibli existiert danach nur noch als Buch und durchläuft die üblichen Stationen im Werdegang eines Buches. Stellvertretend für ungezählte Leidensgenossen rächt er sich am verständnislosen Leser, an der Verlagslektorin, am Kritiker, am Bibliomanen, der nichts im Sinn hat, als Bücher zu horten und dem lebendigen Gebrauch zu entziehen, und seine Rache ist fürchterlich. Seine Odyssee endet auf demselben Büchermarkt, auf dem sein Abenteuer einst begann: Ein neues Opfer wartet. Und wer sich auf DAS BUCH einlässt, den lässt es nicht mehr los. Der Leser des Romas ist gewarnt!
Angeregt wurde ich durch ein ähnliches Traumerlebnis, das ich im Roman beschreibe. Ich habe mich im Traum in einer Bibliothek gesehen, in der sich plötzlich einige Bücher aus den Regalen entfernten, sozusagen also lebendig wurden. Ich notierte diesen Traum. Obwohl ich die Notiz mehrfach vergaß, der Traum ließ mich nicht mehr los. Fast schien es, als ob er mich verfolgt.
Der Grund war, dass ich zum zweiten Mal von den in der Bibliothek zum Leben erwachenden Büchern träumte. Da nahm die Traumverwandlung dann Gestalt an, bei der es um die Buchwerdung des Menschen und umgekehrt die Menschwerdung eines Buches geht, aber auch um das Ausgeliefertsein eines Buchautoren an den literarischen Zirkus.
Der Verlag und ich entschieden uns für einen hautfarbenen bräunlichen Einband. Für den Schutzumschlag durften wir ein eindrucksvolles Kunstwerk mit dem Titel „Muschelbuch“ des Schweizer Künstlers Martin Schwarz verwenden. Das Bild zeigt ein Buch, das von einer Muschel förmlich aufgesogen wird und mit ihm verschmilzt.
Ja, da wird dem Leser suggeriert, dass er Biblis Schicksal teilt und selbst das neue Opfer des Buchs wird. Bei der Verschmelzung mit dem Buch verschwimmt die Schrift vor Augen. Die letzten Zeilen des Buchs im Buch − ein Zitat aus den Merseburger Zaubersprüchen – sind in verblassender Type abgedruckt, so dass der Leser in den beginnenden Verwandlungsprozess förmlich eingesogen wird.
Ich bin im eigentlichen Sinn kein Romanautor, auch wenn ich immer wieder mal Erzählungen verfasst habe. Doch dieser kleine Roman DAS BUCH ist ein Solitär in meinem literarischen Schaffen, aber ein durchaus wichtiges Mosaiksteinchen darin.
Lesen und Nachhaltigkeit: Interview mit dem Buchautor Alfons Schweiggert
Alfons Schweiggert: Das Buch. Roman. Ehrenwirth Verlag , München 1989 – TB-Ausgabe, Allitera München, 2001.