Was Coding-Bootcamps für Quereinsteiger taugen
Nahezu jede Branche sucht nach Programmierern. Coding-Bootcamps sollen in wenigen Monaten den Quereinstieg in IT-Jobs erleichtern. Wie die Ausbildung gelingt und was Sie damit verdienen können.
Berlin. Fünfeinhalb Jahre hat Nathan Westerink in einer freien evangelischen Gemeinde als Pastor gearbeitet. Dann änderte sich sein Umfeld und auch er selbst, und er beschloss, etwas völlig anderes zu machen. Im Sommer 2023 ließ sich der Theologe 16 Wochen lang zum Low-Code-Entwickler ausbilden. „Mit Anfang 30 konnte ich es mir nicht leisten, noch einmal zu studieren, wollte aber unbedingt etwas Neues lernen“, sagt er.
Er entschied sich für ein IT-Bootcamp des Anbieters „Academic Work“ – und damit für den Quereinstieg in ein Berufsfeld, in dem die Karrierechancen blendend sind. Laut Branchenverband Bitkom fehlten im vergangenen Jahr 137.000 IT-Fachkräfte. Coding-Bootcamps wie „Academic Work“ wollen Abhilfe schaffen – mit Ausbildungen im Eilverfahren für Quereinsteiger.
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Doch was taugen die Expressprogramme wirklich? Welche Schulen sind die besten, und wie bekommt man dort einen Platz? Welche Voraussetzungen muss man mitbringen? Und sind die Karriere- und Gehaltsaussichten wirklich so gut?
Coding-Bootcamp: Diese Angebote gibt es, um Programmieren zu lernen
Wie viele Coding-Bootcamps es genau gibt, darüber liegen laut Branchenverband Bitkom keine genauen Daten vor. Zu den etabliertesten zählen laut Branchenexperten Anbieter wie „Neue Fische“, die „Academic Work Academy“ oder „Le Wagon“.
Die Schulen haben vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln Standorte und bieten ihre Programme in der Regel auch online an. Der Bedarf ist groß: „Neue Fische“ etwa startete 2018 in Hamburg mit rund 60 Absolventen. Im Jahr 2023 hat die Schule laut eigenen Angaben insgesamt 1500 Menschen ausgebildet.
Der Ablauf ist bei den meisten Anbietern ähnlich: Die Ausbildung dauert in der Regel nur wenige Wochen bis Monate. Wer sich zum Beispiel für die Coding-Ausbildung bei „Neue Fische“ entscheidet, bekommt drei Monate Intensivtraining. Bei „Le Wagon“ dauert das Bootcamp in Vollzeit neun, in Teilzeit 24 Wochen.
Das Kursprogramm umfasst je nach Schule unterschiedliche Schwerpunkte. Die Nachfrage variiert: So war laut einem Sprecher von „Le Wagon“ in den vergangenen Jahren vor allem das Web-Development-Bootcamp sehr beliebt. Mittlerweile hätten die Entwicklungen in den Bereichen Big Data, Cyber Security und KI aber zu einer deutlich stärkeren Anfrage nach Data-Science- und Data-Analytics-Bootcamps geführt.
Programmieren lernen: Für wen eignen sich Coding-Bootcamps?
Francesco Panzica leitet den Bereich IT bei der Personalberatung Hays, und er sagt: „In erster Linie eignen sich solche Bootcamps für Menschen, die das Coden als ihr Hobby entdeckt haben und sich in diesen Bereich professionell hineinentwickeln möchten.“ Sinnvoll seien solche Schulen zudem für IT-Fachkräfte, die eher aus der klassischen Ausbildungsschiene kommen und sich projektbezogen in einen neuen Bereich einarbeiten oder eine neue Programmiersprache lernen wollen.
„Ein Bootcamp kann einen hilfreichen Startpunkt darstellen“, sagt auch Lucas Fischer, Managing Director bei der IT-Personalberatung Paltron. Interessenten sollten sich jedoch vorher die Fragen beantworten, was sie mit der Intensivausbildung erreichen wollen und wohin es danach gehen soll. Denn ein Quereinstieg über ein Bootcamp funktioniert laut dem Experten nur dann, wenn man sich bewusst ist, dass man erst am Anfang steht und sich stetig weiterentwickeln muss: „Wen man das Ziel hat, schnell Karriere zu machen, würde ich davon abraten.“
Python und Co.: Welche Vorkenntnisse Sie als Softwareentwickler brauchen
Die Voraussetzungen sind je nach Schule und Kurs unterschiedlich. Wer sich etwa für den Data-Science-Kurs von „Le Wagon“ interessiert, sollte Vorkenntnisse in der Programmiersprache Python und gute Mathekenntnisse mitbringen.
„Im Bereich Data Science oder Analytics sind teilweise grundlegende Vorkenntnisse in Statistik erforderlich und ein Hintergrund im MINT-Bereich sehr hilfreich“, bestätigt IT-Personalberater Lucas Fischer.
Da einige Bootcamps auf Englisch stattfinden, seien unter Umständen auch entsprechende Sprachkenntnisse erforderlich. „Die wichtigsten Zutaten“, so der Experte, „sind aber sicherlich Neugier, Wille und Durchhaltevermögen.“
Beim Anbieter „Academic Work“ ist derweil grundsätzlich keine fachspezifische Vorbildung nötig. „Stattdessen fokussieren wir uns auf das Potenzial“, sagt Deutschland-Geschäftsführer Mattias Stenberg. Wichtige Kriterien seien die Persönlichkeit, die Motivation sowie die mentalen Fähigkeiten.
Wie unterschiedlich die Hintergründe der Bootcamp-Absolventen sein können, zeigt das Beispiel von Samet Uslu. Der Konstruktionstechniker entschied sich vor drei Jahren für eine Ausbildung bei „Neue Fische“ und absolvierte dort zwei Bootcamps. Noch während des zweiten Kurses konnte er seinen Vertrag als Full-Stack-Entwickler beim IT-Dienstleister Lufthansa Industry Solutions, der zur Techniksparte des Luftfahrtkonzerns gehört, unterschreiben.
Wer übernimmt die Kosten für das Coding Bootcamp?
Die Kosten für die meisten Bootcamps sind relativ hoch. Beim Anbieter „Neue Fische“ kostet das dreimonatige Data-Science-Bootcamp 9500 Euro. Weil viele der Schulen als Bildungsträger zertifiziert sind, ist es möglich, das Bootcamp über einen Bildungsgutschein von der Bundesagentur für Arbeit zu finanzieren – dieser richtet sich in der Regel an Arbeitsuchende, Eltern im Mutter- oder Vaterschaftsurlaub oder Uni-Absolventen. Eine andere Alternative ist, den Kurs vom Arbeitgeber finanzieren zu lassen. „Le Wagon“ vergibt zudem aktuell 85 sogenannte Impact Scholarships für eine kostenlose Teilnahme.
Google, Apple, Microsoft: Wie gut sind die Chancen für einen IT-Job?
Die Coding-Schulen werben mit geringen Abbruchquoten und guten Übernahmechancen. Beim Anbieter „Le Wagon“ beispielsweise liegt die Beschäftigungsquote nach eigenen Angaben bei rund 93 Prozent. Der Großteil der Absolventen gehe in eine Festanstellung – unter anderem bei Google, Zalando, Apple oder Microsoft.
Bei „Academic Work“ erhalten die Bootcamp-Absolventen sogar einen garantierten Arbeitsvertrag. Die Weiterbildung ist dort kostenlos. Nach der Ausbildung werden die Absolventen für ein Jahr bei „Academic Work“ angestellt und für diese Zeit an Partnerunternehmen vermittelt. Nathan Westerink arbeitet seit zwei Monaten bei der Unternehmensberatung Capgemini, noch als Angestellter von „Academic Work“ – nach einem Jahr hofft er auf eine Übernahme.
Ein anderes Beispiel ist Kaodi Alum, die bei der Schule Le Wagon ein Bootcamp zur Full-Stack-Web-Entwicklerin gemacht hat. Beim Sprachanbieter Babble kam sie bei der Bewerbung um einen Job in die letzte Runde. „Die haben leider jemand Erfahrenen gesucht“, sagt sie. „Wäre es eine Junior-Position gewesen, hätte ich die Stelle bekommen.“ Letztendlich war das aber auch nicht schlimm. Ein paar Wochen später klappte es als Junior Softwareentwicklerin beim Dax-Konzern Zalando.
Das klingt nach sehr guten Karrierechancen. Doch ganz so einfach ist der Einstieg bei einem Topunternehmen nicht, sagt IT-Headhunter Fischer. „Coding-Schulen bieten in kurzer Zeit einen Überblick und einen guten ersten Impuls“, sagt er.
Aber: Durch die vergleichsweise knappe Zeit könnten auch weniger Inhalte vermittelt werden. Deshalb sei dies nicht mit einer Ausbildung oder einem Studium im IT-Bereich zu vergleichen, sagt er: „Nur wer wirklich für das Thema brennt und bereit ist, sich neben der Schule und nach dem Abschluss selbstständig weiterzubilden, wird als Quereinsteiger erfolgreich sein.“
Einsatz von KI: Werden Coding-Bootcamps dadurch obsolet?
Eine weitere Frage ist, inwieweit sich der Einsatz von KI auf die Karrierechancen von Bootcamp-Absolventen auswirkt. So ist beispielsweise ChatGPT bereits in der Lage, bestehenden Programmcode zu verbessern oder in andere Programmiersprachen zu übersetzen. Dass die eher an der Oberfläche kratzenden Coding-Bootcamps dadurch obsolet werden, glauben Experten dennoch nicht.
„Der Fachkräftemangel im IT-Bereich nimmt seit Jahren zu und wird sich weiter verschärfen“, sagt etwa Bitkom-Expertin Leah Schrimpf. Wie in vielen anderen Bereichen werde Künstliche Intelligenz das Programmieren nicht komplett ersetzen, sondern ergänzen.
Es sei zu erwarten, dass KI bei Routineaufgaben oder bei der Erstellung von Standardprogrammcodes helfe oder diese übernehme, sodass sich der Mensch stärker auf die komplexere Softwareentwicklung konzentrieren könne. „Insofern könnte in Zukunft auch verstärkt gelehrt werden, wie sich das Potenzial von KI für das Programmieren nutzen lässt.“
Ähnlich sieht es Hays-Personalberater Francesco Panzica: „Die bestehenden Ausbildungsschwerpunkte werden voraussichtlich mit KI-Kompetenz angereichert.“ Denn genau das sei der Sinn der Bootcamps: konkrete und zeitgemäße Lerninhalte für Menschen mit unterschiedlichen IT-Kenntnissen anzubieten, um auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu sein.
Welches Gehalt Softwareentwickler im Quereinstieg erwartet
Quereinsteiger, die nur ein Bootcamp absolviert haben, werden laut Panzica aufgrund mangelnder Erfahrung meist als „Jobeinsteiger“ eingestuft. Da die Ausbildung weniger fundiert ist als ein Studium, liegt das Gehalt unter dem von Hochschulabsolventen.
Während Berufseinsteiger mit einem Bachelor-Abschluss im Schnitt mit einem Jahresgehalt von 43.000 bis 48.000 Euro rechnen können, müssen sich Bootcamp-Absolventen je nach Kurs teilweise zunächst mit einem Jahresbrutto von 35.000 Euro begnügen.
Je nach Qualifikation und Arbeitgeber kann das Gehalt aber auch für einen Quereinsteiger deutlich besser ausfallen und sich schnell steigern. So verdient der Full-Stack-Entwickler Samet Uslu mittlerweile zwischen 57.000 und 60.000 Euro im Jahr. Nathan Westerink verdient derzeit noch rund 45.000 Euro – immerhin schon 120 Euro mehr als sein Pastorengehalt.
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