Was die IG Metall mit der neuen Führung erreichen will
In einer kämpferischen Rede schwört die neue Vorsitzende Christiane Benner die Gewerkschaft auf die Zukunft ein. Man werde keine betriebsratsfreien Zonen zulassen.
Frankfurt. Die größte Gewerkschaft Deutschlands hat sich viel vorgenommen: Es sei der Auftrag der IG Metall, den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität aktiv zu gestalten, sagte die neu gewählte Erste Vorsitzende, Christiane Benner, am Dienstag in ihrem Grundsatzreferat in Frankfurt.
Viele Arbeitgeber machten sich einen „schlanken Fuß“ und hätten keine Strategie für die Transformation. „Das ist ein deprimierendes Urteil über unternehmerisches Denken“, kritisierte die langjährige Zweite Vorsitzende, die am Montag an die Spitze der größten freien Gewerkschaft der Welt gewählt worden war. Deshalb müsse die Gewerkschaft aktiv werden und brauche ein Mitspracherecht auch bei strategischen Entscheidungen.
In Frankfurt entscheiden rund 420 Delegierte noch bis Donnerstag über die Gewerkschaftspolitik für die kommenden vier Jahre. Benner betonte, dass die Transformation nicht zu Jobverlusten führen müsse. Vielmehr zeige die Ansiedlung der Chipfabriken in Magdeburg und Dresden, dass auch Neues entstehen könne.
Mit der Politik der Bundesregierung ging Benner teils hart ins Gericht, etwa wegen des schleppenden Ausbaus der Windenergie in Bayern oder einer verfehlten Förderpolitik des Bundesverkehrsministers. Nötig seien „Ermöglicher“ statt „Bremser“ in den Ministerien.
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Wie sieht die Agenda der Gewerkschaft für die kommenden vier Jahre aus? Die wichtigsten Stichworte:
Transformation
Als eine ihrer Hauptaufgaben sieht die neue IG-Metall-Vorsitzende den Erhalt des Industriestandorts Deutschland. „Wir haben im Moment eine schleichende De-Industrialisierung – und dagegen wehren wir uns“, sagt Benner. Denn: „Was weg ist, ist weg.“
Die Gewerkschaft ist überzeugt, dass die Wirtschaft klimaneutral werden kann, ohne dass es zu massiven sozialen Verwerfungen oder Arbeitsplatzverlusten kommt.
„Klimaschutz und Industrie sind für uns kein Widerspruch, sondern die zwei Teile einer Lösung“, betont auch der neu gewählte Zweite Vorsitzende Jürgen Kerner.
Bei der Gestaltung der Transformation will die Gewerkschaft einen starken regionalen Fokus legen. Denn es nütze nichts, wenn in der Autoindustrie im Saarland Jobs wegfielen und bei Intel in Magdeburg neu entstünden, sagt Kerner.
Die Transformation will die Gewerkschaft aktiv gestalten, etwa mit Zukunftstarifverträgen, in denen beispielsweise Beschäftigungsgarantien oder Qualifizierungsmaßnahmen geregelt werden.
Die Mitbestimmung dürfe aber auch vor strategischen Unternehmensentscheidungen nicht haltmachen, fordert die IG Metall, etwa wenn es um Standortfragen oder neue Geschäftsfelder gehe. Diese weite Auslegung der Demokratie im Betrieb dürfte noch zu Konflikten mit den Arbeitgebern führen, die ihre unternehmerische Freiheit hochhalten.
Schon jetzt demonstriert IG-Metall-Chefin Benner Entschlossenheit. In Frankfurt wetterte sie gegen die „kriminelle“ Verhinderung von Betriebsratswahlen und forderte die Abschaffung des Doppelstimmrechts für Aufsichtsratschefs der Kapitalseite.
Beim Thema Mitbestimmung sprach sie auch Tesla-Chef Elon Musk direkt an, der hochfliegende Raumfahrtpläne hat, aber den Einfluss der IG Metall im Autowerk im brandenburgischen Grünheide klein halten will: „Wir lassen keine betriebsratsfreien Zonen zu, nicht einmal auf dem Mars.“
Tarif
Tarifverhandlungen werden bei der IG Metall traditionell in den Bezirken geführt, aber der aus Altersgründen ausgeschiedene Vorsitzende Jörg Hofmann hat die Fäden in der Frankfurter Zentrale immer fest in der Hand gehalten.
Diese starke Zentralisierung auf eine Person soll es nicht mehr geben. „Wir sehen Tarifpolitik als eine Gemeinschaftsaufgabe“, sagt Benner. Noch stärker als bisher will die Chefin im Vorfeld von Tarifrunden die Beschäftigten nach deren Wünschen befragen.
Im neuen geschäftsführenden Bundesvorstand verantwortet Nadine Boguslawski die Tarifpolitik, die als IG-Metall-Geschäftsführerin in Stuttgart auf dem Gebiet reichlich Erfahrung gesammelt hat.
Arbeit für sie gibt es genug. Die Bindung des Flächentarifs nimmt ab, Tarifpolitik findet immer häufiger auf Betriebsebene statt. Das erfordert viele Kolleginnen und Kollegen, die sich mit der Materie auskennen, doch in den kommenden Jahren scheiden viele erfahrene Tarifpolitiker der IG Metall altersbedingt aus. Etwa ein Drittel der noch im Arbeitsleben stehenden Mitglieder ist mindestens 50 Jahre alt.
Arbeitswelt von morgen
Mit der Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für die Beschäftigten der Stahlindustrie hat die IG Metall Schlagzeilen gemacht. Benner macht zwar deutlich, dass es sich bei der Branche um einen Spezialfall handelt. Dennoch will die Gewerkschaft sich auch in der Breite für flexible und familienfreundliche Arbeitszeiten einsetzen – etwa mit Wahlmodellen zwischen Geld und Freizeit.
Auch eine generelle Arbeitszeitverkürzung bleibt aber auf der tariflichen Agenda. Sie könne dazu dienen, Arbeitsplätze attraktiver zu machen, Beschäftigung zu sichern und Erwerbs- und Sorgearbeit gerechter zwischen den Geschlechtern aufzuteilen. „Die Idee einer Vier-Tage-Woche ist dabei unser Zielbild für die Zukunft guter Arbeit in Industrie und Handwerk“, heißt es in einem der Anträge, über die die Delegierten in Frankfurt beraten.
Für den Erhalt des Arbeitszeitgesetzes mit Acht-Stunden-Tag und elfstündiger Ruhezeit will sich die Gewerkschaft einsetzen. Dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) oder Robotern steht sie offen gegenüber, wenn dieses schwere oder eintönige Tätigkeiten übernehmen.
Andererseits bestehe auch die Gefahr, dass durch die neuen Technologien Arbeitsplätze wegfallen oder Beschäftigte überlastet oder überwacht würden. „Deshalb müssen wir neue Formen der Arbeit so regulieren, dass die genannten Chancen maximiert, die Risiken hingegen minimiert werden“, fordert die IG Metall.
Gewerkschafts-Chefin Benner fand in ihrer Rede deutliche Worte: „Wir wollen nicht die Befehlsempfänger von gnadenlos auf Effizienz getrimmten Computerprogrammen werden.“
Die Gewerkschaft kritisiert, dass die Arbeitgeberseite die Veränderungen im Zuge der Digitalisierung schon jetzt nutzen wolle, um Entgelte nach unten zu drücken. Dies werde man nicht zulassen.
Sozialpolitik und Finanzen
In der Sozialpolitik setzt sich die IG Metall für ein Rundum-sorglos-Paket für die Beschäftigten ein. Einige Stichworte: Arbeitslosengeld soll es wieder für bis zu 36 Monate geben, das Rentenniveau bei 53 Prozent stabilisiert, der Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung eingedämmt werden. Langfristig strebt die Gewerkschaft eine solidarische Erwerbstätigenversicherung an, in die alle einzahlen.
Wenn in der Wirtschaft alles auf den Kopf gestellt werde, „dann muss die Stunde des solidarischen Sozialstaats schlagen“, sagt das für Sozialpolitik zuständige Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban.
Der Sozialstaat stütze die Demokratie, und das sei wichtig in einer Zeit, in der die Gesellschaft nach rechts zu kippen drohe. Geld für soziale Wohltaten ist aus Sicht der Gewerkschaft genug da. Sie will Kapitaleinkommen wieder dem persönlichen Steuersatz unterwerfen, eine Vermögensteuer und eine einmalige Vermögensabgabe einführen, den Einkommensteuersatz progressiver gestalten und die Schuldenbremse abschaffen.
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