Was macht mein Depot, wenn ich in den Urlaub fahre?
Warum Vermögen auch Pausen braucht – und wie Anleger in Sommerphasen klug auf Autopilot schalten.
Sommer, Sonne, Strand, das Paradies am Pool – die Ferienzeit ist für viele die einzige echte Auszeit im Jahr. Der Kopf schaltet ab, der Blick weitet sich. Doch das Depot? Bleibt für viele ein nervöser Begleiter. Zwischen Flugmodus und Flugangst poppen Pushnachrichten auf: „Nvidia fällt“, „EZB-Entscheidung erwartet“, „Techwerte schwanken“. Der Reflex: Sofort reagieren. Doch ist das klug?
Ein Unternehmer sagte mir kürzlich: „Ich will nicht, dass meine Finanzen mit in den Flieger steigen.“ Und genau das bringt es auf den Punkt. Wer Abstand gewinnen will, muss vorher Klarheit schaffen – im Portfolio wie im Kopf.
Emotionen sind keine guten Urlaubsbegleiter. Es sind nicht die Märkte, die in der Ferienzeit gefährlich werden, es sind unsere Reaktionen auf sie. Wer morgens an der Côte d’Azur im Newsfeed badet, bevor er ins Meer springt, hat das Prinzip der Auszeit nicht verstanden. Denn die Börse macht keine Pause. Aber das Portfolio muss nicht jede Schlagzeile spiegeln.
Gerade in ruhigen Marktphasen zeigt sich, wie solide ein Depot gebaut ist. Wer sich ständig fragt, ob er verkaufen sollte, hat womöglich kein Risikomanagement, sondern ein trügerisches Bauchgefühl.
Vor dem Urlaub: Struktur statt Sand im Getriebe
Meine Empfehlung lautet, vor der Reise lieber einmal das Depot „durchzulüften“. Nicht die Koffer – sondern die Struktur.
Sind Liquiditätspuffer vorhanden? Wer während des Urlaubs Ausgaben hat, sollte nicht auf spontane Verkäufe angewiesen sein.
Wie hoch ist das Risiko im System? Gerade bei Tech- und Wachstumswerten lohnt ein Blick auf Gewichtung und Schwankungsbreite.
Gibt es automatische Prozesse? Rebalancing, Verlustbegrenzung oder klare Investmentregeln können helfen, auch bei Abwesenheit ruhig zu bleiben.
Was macht mein Depot, wenn ich nicht hinschaue? Urlaub ist nicht gleich Ruhe, zumindest nicht an den Märkten. Es ist verlockend: Am Pool die Börsen-App öffnen, schnell eine Aktie verkaufen, weil sie gerade gestiegen ist, oder nachkaufen, weil sie gefallen ist. Vielleicht auch eine spontane E-Mail an den Berater schreiben: „Sollten wir da nicht raus?“ oder „Wollen wir nicht einsteigen?“.
Doch es fragt sich: Sind das fundierte Entscheidungen? Oder nur Reflexe, ausgelöst durch Sonne, Langeweile und Pushnachrichten?
Ich erinnere mich an eine Nachricht eines Kunden, die morgens um 9:08 Uhr aus dem Hotel auf Mallorca kam. Betreff: „BITTE JETZT VERKAUFEN!!!“ – mit drei Ausrufezeichen. Im Text: ein Screenshot von Nvidia mit -6,8 Prozent. Zwei Stunden später dann die zweite Mail: „Vergessen Sie’s. Internet war schlecht, war wohl gestern.“
Solche Momente sind menschlich. Doch sie zeigen, wie schnell Emotionen unser Denken überholen. Umso wichtiger ist es, vor dem Urlaub gemeinsam zu klären: Was ist der Plan, und wann lohnt es sich wirklich, davon abzuweichen?
Auch Portfolios brauchen Wartung – nicht Aktionismus
Manche machen vor dem Urlaub einen Ölwechsel, andere kontrollieren die Reifen. Beim Depot ist es ähnlich: Es geht nicht darum, alles umzuschichten. Aber gewisse Fragen helfen, Klarheit zu schaffen.
Welche Cashflows sind geplant? Wer auf Ausschüttungen oder Liquidität angewiesen ist, sollte nicht auf Verkäufe zum ungünstigen Zeitpunkt hoffen müssen.
Wie lang ist mein Anlagehorizont? Wer weiß, wohin er will, lässt sich weniger leicht aus der Spur bringen.
Ein kurzes Check-in mit dem Berater vor dem Abflug kann helfen. Oft reicht schon ein gutes Gespräch, um auch emotional loslassen zu können.
Mein Portfolio und der Sommer: Beobachten oder abschalten? Natürlich ist es menschlich, auch im Urlaub einen Blick aufs Depot zu werfen. Die Versuchung ist nur einen Daumenwisch entfernt. Und ja, es gab auch in Sommermonaten heftige Marktbewegungen – vom Chinaschock bis zum Überfall der Ukraine. Doch die Frage lautet nicht: „Was passiert?“ – sondern: „Bin ich vorbereitet?“
Moderne Portfolios nutzen längst Strategien, die nicht auf ständige Überwachung angewiesen sind: Ob ESG-Risikoscoring, strukturierte Anleihen mit Sicherheitspuffer oder dynamische Risikobudgets – Gelassenheit ist (auch) eine Frage der Struktur.
Was passiert, wenn nichts passiert? Manche Anleger sind nervös, wenn es gar keine Bewegung gibt. Auch Phasen der Langeweile können zur Prüfung werden. Viele handeln dann – nicht weil es nötig ist, sondern weil sie es können. Doch wie ein Garten braucht auch ein Portfolio: Zeit. Ruhe. Geduld. Wer zu früh eingreift, zerstört Wachstum. Deshalb ist der Sommer auch eine Erinnerung daran, dass Stillstand kein Mangel ist – sondern manchmal die größte Stärke.
Gerade die Sommermonate sind statistisch gesehen keine Hochphasen am Markt. Viele Unternehmen berichten erst nach der Urlaubszeit, Handelsvolumina sinken, Entscheidungen verzögern sich – die Märkte treten oft auf der Stelle oder schwanken leicht. Das ist kein Nachteil. Im Gegenteil: Für viele Strategien ist genau diese Zeit geeignet, um langfristige Positionen zu halten oder ruhig nachzujustieren. Wer hier Gelassenheit zeigt, wird selten bestraft – oft aber belohnt.
Schlechte Augustbilanz an den Börsen
Die großen Aktienindizes haben im Hochsommer historisch meist eine Schwächephase erlebt. So verlor der DAX in den vergangenen 20 Jahren im August durchschnittlich 1,4 Prozent an Wert – nur 9 der 20 Augustmonate beendete er im Plus. Damit ist der August statistisch sein schwächster Börsenmonat. An der Wall Street zeigte sich ein ähnliches Muster. Der S&P 500 trat im August auf der Stelle (im Schnitt ± 0 Prozent) und verzeichnete nur gut die Hälfte aller Augustmonate mit Kursgewinnen. Auch global spiegelt sich diese Saisonalität wider, der MSCI World tendierte im Spätsommer meist zur Stagnation oder leichten Schwäche.
Bemerkenswert sind einzelne Extreme. Im August 2011 etwa brach der DAX infolge der Euro-Schuldenkrise förmlich ein (rund -20 Prozent), während der S&P 500 etwa 5 Prozent verlor. Umgekehrt erzielten die Märkte im August 2020 mitten in der pandemischen Erholungsrallye außergewöhnliche Zugewinne (S&P 500 +7 Prozent, DAX +5 Prozent). Solche Ausreißer bestätigen jedoch die Regel: Der August brachte Anlegern weit öfter Enttäuschungen als Freudensprünge.
Ruhige Hand in turbulenten Zeiten
Gerade in der Urlaubszeit sollten Anleger ihr Depot gegen unerwartete Ausschläge absichern. Bewährt hat sich das Arbeiten mit Stop-Loss-Limits unterhalb des Volatilitätskanals einer Aktie. Dieser Begriff bezeichnet die „normale“ Schwankungsbreite eines Kurses, oft dargestellt durch technische Indikatoren wie Bollinger-Bänder. Die Idee: Ein automatischer Verkauf wird erst ausgelöst, wenn der Kurs aus seinem üblichen Schwankungskorridor nach unten ausbricht – alltägliche Ausschläge sollen nicht zum voreiligen Verkauf führen. Zur Bestimmung eines sinnvollen Abstands zieht man die Volatilität des Marktes heran.
Praktisch lässt sich dies etwa über die Average True Range (ATR) quantifizieren – ein Indikator, der die durchschnittliche Handelsspanne misst. Ein Stop-Loss wird dann mit etwas Puffer unter dem aktuellen Kurs platziert, zum Beispiel in Höhe eines Vielfachen der ATR. Solch ein volatilitätsbasiertes Stop-Loss passt sich den Marktbedingungen an. In ruhigen Phasen liegt der Sicherheitsabstand enger, bei hoher Schwankung entsprechend weiter. Auf diese Weise bleibt das Risiko effektiv begrenzt, ohne dass man bei jedem kurzen Zucken des Marktes aus der Position gedrängt wird.
Robert Shiller, Nobelpreisträger und einer der renommiertesten Verhaltensökonomen, warnte immer wieder vor der Macht kollektiver Emotionen: „Märkte werden nicht allein durch Fakten bewegt, sondern durch Erzählungen.“ Gerade im Sommer, wenn Zeit, Ruhe und ein Glas Wein zu viel Raum für Spekulation lassen, droht diese emotionale Verzerrung besonders. Der Urlaub ist der Moment, in dem die Erzählung vom sicheren Bauchgefühl besonders laut wird – und der rationale Blick leise. Shiller plädiert deshalb für Disziplin, klare Regeln und strukturierte Entscheidungen. Gerade dann, wenn die eigene Aufmerksamkeit abnimmt.
Urlaubsvorbereitung fürs Depot – drei Dinge, die sich lohnen:
Persönliches Risikobewusstsein klären: Wie viel Schwankung kann ich wirklich aushalten, ohne hektisch zu reagieren?
Vertretungsregeln festlegen: Wer darf handeln, wenn etwas Unerwartetes passiert? Gibt es einen klaren Kommunikationsweg?
Erreichbarkeit definieren: Muss ich jederzeit erreichbar sein? Oder reicht ein kurzes wöchentliches Update mit dem Berater?
Wer diese Punkte vor dem Abflug prüft, steigt entspannter ins Flugzeug – und bleibt auch bei Turbulenzen ruhig.
Zwischen den Zeilen
Ich erinnere mich an einen Mandanten, der sagte: „Im Urlaub merke ich, wie gut ich investiert bin.“ Sein Kriterium war einfach: keine E-Mails vom Berater, keine Kursalarme, keine schlaflosen Nächte. Einfach: Ruhe. Ein gutes Depot begleitet – es bestimmt nicht den Takt.
Wenn Geld Freiheit bedeutet, dann sollte es nicht die Freiheit einschränken, abzuschalten. Ein Portfolio ist kein Haustier, es braucht keine tägliche Aufmerksamkeit. Es ist ein Werkzeug. Und gute Werkzeuge funktionieren auch, wenn man mal nicht hinschaut.
Natürlich kann man am Pool nach Aktien schauen. Oder schnell verkaufen, wenn Nvidia rot blinkt. Oder dem Banker spontan eine Mail mit Ausrufezeichen schicken. Aber das ist kein Plan – das ist Reflex. Der Urlaub ist vielleicht der ehrlichste Stresstest für jedes Depot. Wie oft schaue ich drauf? Wie oft spüre ich den Impuls, einzugreifen? Und wie gut fühle ich mich dabei, nichts zu tun?
Ein Depot, das diese Fragen gelassen bestehen kann, ist nicht nur gut aufgestellt. Es ist: reif für Ferien, reif für Krisen, reif für die Zukunft.
