Gestresste Managerin: „Von Führungskräften wird immer mehr Leistung eingefordert, die in immer härterer Form gemessen wird.“ Foto: Getty Images
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Was moderne Führungskräfte wirklich brauchen

Aus dem Handelsblatt-Archiv: Prof. Dr. Heike Bruch spricht über müde Führungskräfte und den Wandel im Leadership. Doch es gibt Firmen, in denen Manager seltener ausbrennen.

Berlin. „Kollektive Überforderung“: So beschreibt Leadership-Professorin Heike Bruch den Zustand, den sie in Unternehmen und an Führungskräften beobachtet. Der Anteil der Führungskräfte, die vollkommen erschöpft sind, sei in den jüngsten Krisenjahren „rasant gewachsen“, sagt sie.

Bruch zufolge gibt es vier Arten von Führungskräften, die mit Druck und Unsicherheit unterschiedlich gut umgehen. Im Interview mit dem Handelsblatt erklärt Bruch, warum erschöpfte Chefs eher als andere zu Despoten werden und auf welche zwei Faktoren jeder Manager achten kann, um kontinuierlich Topleistung zu bringen und dabei nicht auszubrennen.

Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Management-Professorin Heike Bruch:

Frau Bruch, Führungskräfte sind gerade zahllosen Unsicherheiten ausgesetzt: Es tobt ein Handelskrieg, KI wälzt die Arbeitswelt um und kaum ein Geschäftsmodell scheint mehr langfristig sicher. Wie sollen Managerinnen und Manager da anderen Orientierung geben?
Indem sie alles betonen, was langfristig Stabilität gibt. Sie sollten sich fragen: Was bleibt – auch in der Krise? Haben wir eine Strategie, die grundsätzlich Bestand hat? Gibt es eine Vision, ein Zukunftsbild, an dem wir uns orientieren können? Bestimmte Werte, die ich meinen Leuten jetzt umso deutlicher vorleben muss? All das schafft ein Fundament, auf dem sich alle wieder sicherer fühlen. Führungskräfte sollten nicht so tun, als gäbe es nichts mehr, auf das man sich verlassen kann.

Die Dauerkrise verunsichert Chefinnen und Chefs trotzdem. Ist es in einer Führungsposition erlaubt, zu sagen: „Ich weiß gerade auch nicht weiter“?
Ja, auf jeden Fall. Eine Führungskraft darf nahbar sein und sagen: „Ihr erwartet vielleicht von mir, dass ich uns sicher durch die Krise führe. Aber zum Teil muss auch ich im Nebel operieren.“ Die Faktoren, die schwer zu kalkulieren sind, sollten Führungskräfte klar benennen.

Können solche Geständnisse nicht auch nach hinten losgehen – und für noch mehr Verunsicherung sorgen?
Ja, es irritiert und demotiviert, wenn Führungskräfte schulterzuckend sagen: „Keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen.“ Grundlegend ist wichtig: Erst wenn ich meinen Mitarbeitenden so viel Orientierung wie möglich gegeben habe, kann ich auch meine eigenen Unsicherheiten zugeben.

Die wichtigsten Eigenschaften guter Führungskräfte

Klingt paradox. Wie meinen Sie das?
Als Führungskraft muss ich verlässlich sein. Ich sollte zum Beispiel deutlich machen, nach welcher Strategie das Management gerade handelt und warum. In Krisen neigen Manager allerdings manchmal zu Kurzschlussentscheidungen, die nicht für alle nachvollziehbar sind. Das ist fatal. Zum Beispiel beim Thema Homeoffice: Wenn pauschal alle Mitarbeitenden zu 100 Prozent zurück ins Büro beordert werden, nachdem die Führungskraft jahrelang eine Kultur des hybriden Arbeitens etabliert hat, verunsichert das die Mitarbeitenden.

Verlässlich und transparent sein: Das sind keine sonderlich neuen Anforderungen an Führung, oder?
Nein, Führungskräfte mussten schon immer Prioritäten setzen, Entscheidungen treffen, Feedback geben. Auch Krisen gab es immer, etwa die Finanzkrise 2008. Aber seit der Pandemie leben wir in einer Dauerkrise – das ist neu. Außerdem verändern Technologien wie KI die Arbeitswelt in rasanter Geschwindigkeit, Fachkräfte werden knapp und die Einstellung zur Arbeit hat sich bei vielen Mitarbeitenden geändert. Inzwischen sind mehr als drei Viertel der Unternehmen kollektiv überfordert.

Und Führungskräfte sollen den permanenten Ausnahmezustand managen.
Genau, das ist die Erwartung. Gleichzeitig wird von ihnen immer mehr Leistung eingefordert, die in immer härterer Form gemessen wird. Das ist ein Spagat, den ein einzelner Mensch kaum schaffen kann.

Und woran entscheidet sich, ob ich durchhalte oder ausbrenne?
Ganz entscheidend für den Erfolg von Führungskräften ist, wie ihre Organisation mit Druck und Unsicherheit umgeht. Wir haben das über die Zeit in Hunderten von Unternehmen gemessen und dabei zwei Muster entdeckt: die „High Pressure“- und die „High Energy-Unternehmen“.

Was verbirgt sich dahinter?
In „High-Pressure-Unternehmen“ wird der gesteigerte Druck intern weitergegeben. Führungskräfte sollen vor allem Ziele vorgeben und Leistung kontrollieren. Je größer der Druck ist, desto intensiver wird das Mikromanagement.

So entwickeln Unternehmen bessere Führungskultur

Und die „High-Energy-Unternehmen“?
Die nutzen die Krise als Anlass, anders zu arbeiten. Sie investieren mehr in Führungskräfteentwicklung, arbeiten öfter bereichsübergreifend zusammen und laden nicht allen Druck auf den Schultern einzelner Managerinnen und Manager ab. Diese Unternehmen sind wirtschaftlich erfolgreicher als die „High-Pressure-Unternehmen“. Führungskräfte bekommen hier deutlich seltener einen Burn-out.

Heike Bruch: Sie ist die Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen. Foto: IFPM

Klingt vorbildlich – und ein wenig utopisch. In wie vielen Unternehmen herrscht eine solche Kultur vor?
In unserer Studie fielen tatsächlich nur neun Prozent der Unternehmen in diese Kategorie – und fast 50 Prozent in die der „High-Pressure-Organisationen“. Der Rest der Unternehmen waren Mischformen. Es ist also kein Wunder, dass so viele Führungskräfte erschöpft sind.

Unabhängig von ihrem Umfeld: Welche Möglichkeiten haben Führungskräfte selbst, um Topleistung abzurufen und dabei gesund zu bleiben?
In unserer Forschung zeigen sich besonders zwei Erfolgsfaktoren: Energie und Fokus. Wie tatkräftig und engagiert gehe ich meinen Job an? Und wie gut konzentriere ich mich auf meine Prioritäten, auch wenn es turbulent wird? Verschiedene Führungskräfte sind in diesen beiden Kategorien unterschiedlich gut. Zusammen mit meinem Forschungspartner habe ich schon 2002 vier unterschiedliche Typen von Führungskräften identifiziert.

Welche sind das?
Die ersten sind die „Zielgerichteten“. Diese Führungskräfte haben beides: sehr viel Energie und einen hohen Fokus. Sie konzentrieren sich mit aller Kraft auf das, was fürs Unternehmen langfristig wichtig ist. Sie führen sehr gut, weil sie es schaffen, Menschen für die wichtigen Themen gewinnen.

Die zweite Gruppe sind die „Busy Managers“. Sie haben viel Energie, aber keinen Fokus. Das führt dazu, dass sie sich viele Projekte gleichzeitig aufhalsen, aber eher wenig zum Abschluss bringen. Sie sind oft am Limit und haben kaum ein Gefühl für Prioritäten. Deshalb sind sie weniger effektiv als ihre zielgerichteten Kolleginnen und Kollegen.

Gruppe Nummer drei sind die „Distanzierten“, mit wenig Energie und hohem Fokus. Sie kennen ihre Prioritäten genau, setzen sich aber nicht sonderlich dafür ein. Sie arbeiten oft oberflächlich und wenig enthusiastisch.

… und die vierte Gruppe?
Führungskräfte in dieser Gruppe haben kaum Energie und kaum Fokus. Ursprünglich haben wir sie „die Zögerer“ genannt, weil sie in Routinen gefangen waren und wenig Initiative ergriffen. Mittlerweile haben wir sie umbenannt – in die „Erschöpften“. Ihr Anteil ist im Lauf der Jahre rasant gewachsen, sie machen inzwischen 55 Prozent aller Führungskräfte aus. 2002, als wir mit unserer Forschung angefangen haben, waren die „Busy Managers“ noch die größte Gruppe – sie stellen heute nur noch ein Zehntel aller Führungskräfte. Den hektischen, betriebsamen Managern von damals ist die Energie ausgegangen.

Es ist schwer vorstellbar, dass all diese entkräfteten Führungskräfte noch genug Energie haben, um ihren Job gut zu machen. Wie wirkt sich Erschöpfung auf den Führungsstil aus?
Erschöpfte Führungskräfte neigen nachweislich entweder zum „Laisser-faire“-Stil, meiden also Entscheidungen und bieten Mitarbeitenden kaum Unterstützung. Oder sie führen autoritär bis despotisch, gängeln ihre Teams und zerstören so Motivation und Loyalität. Beides ist fatal für Unternehmen.

Wie verhindere ich als Führungskraft, dass ich auch in die Gruppe der „Erschöpften“ abrutsche?
Zuerst sollten Sie schauen, wo Sie in Bezug auf Energie und Fokus stehen. Was raubt Ihnen im Arbeitsalltag Kraft? Was gibt Ihnen neue? Was hilft Ihnen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren? Wo müssen Sie sich besser abgrenzen? Außerdem empfehle ich, mit anderen Führungskräften zu sprechen – auch über die Dinge, die Ihnen schwerfallen. Fragen Sie andere, wie sie mit bestimmten Belastungen umgehen. Ich bin immer wieder überrascht, wie wenige Führungskräfte dieses kollegiale Coaching in ihren Alltag einbauen.

Ist es ratsam, sich in der Krise besonders auf ältere Führungskräfte zu stützen? Sie haben im Zweifel mehr Erfahrung und Souveränität.
Da wäre ich vorsichtig, denn Erfahrung allein reicht nicht. In der Managementforschung gibt es das Konzept der „Beidhändigkeit“. Das heißt: Wir unterscheiden zwischen zwei Modi, nämlich „Exploitation“ und „Exploration“. Bei der „Exploitation“ verlassen sich Führungskräfte auf ihre Erfahrungen und bestehendes Wissen. Nehmen Sie zum Beispiel eine Pilotin, die ein Flugzeug landet – das ist für sie eingeübte Routine. In Krisen müssen Führungskräfte dagegen Probleme lösen, die vorher nie da waren. Jetzt müssen sie „Exploration“ betreiben, also neue Lösungen entdecken und etwas ausprobieren.

Haben Sie auch dafür ein Beispiel?
Die Pandemie war ein extremes Beispiel. Wir mussten alle ganz neu arbeiten, Managerinnen und Manager sollten plötzlich remote führen und nebenbei kompensieren, dass ihnen teilweise ganze Geschäftszweige wegbrechen. Aber auch Künstliche Intelligenz ist so ein Fall. Wie integriere ich sie in meine Führung? Welche KI-Tools sollten meine Mitarbeitenden beherrschen? Das gehört alles nicht zum Standard-Repertoire von Führung.

Was heißt das für den Alltag von Managerinnen und Managern?
Ich empfehle jeder Führungskraft, sich für den eigenen Aufgabenbereich bewusst zu machen: Welche meiner Tätigkeiten sind bekannt und routiniert? Und wo gilt es, neue Lösungswege auszuprobieren? Viele gehen mit altem Werkzeug an neue Probleme. Das ist kontraproduktiv. Genauso schädlich ist es aber, wenn man an bekannte Aufgaben mit immer neuen Lösungen rangeht und zu wenig standardisiert.

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