Was Nachhaltigkeit mit Liebe verbindet
Die unbequeme Wahrheit
Der Aufschwung von Flirtportalen und Partnervermittlungsagenturen lässt vermuten, dass wir eine Generation von Dauersingles und selbstverliebten Menschen sind. Wie bei der Produktauswahl in Onlineshops erscheinen die Auswahlmöglichkeiten in Dating-Apps scheinbar endlos. Wer dann doch einmal an die Grenze stößt, ändert einfach die Suchparameter. „Wir haben die Funktionsweise einer Dating-App in die Wirklichkeit übersetzt. Wir haben uns an sie angepasst, obwohl sie sich uns anpassen sollte“, schreibt Michael Nast in seinem neuen Buch „Generation Beziehungsunfähig. Die Lösungen“, in dem er der Liebe auf den Grund geht. Wir sind immer vernetzter geworden, haben aber immer weniger tiefgehende Beziehungen. Die erfolglose Suche nach der Liebe ist heute zu einem Teil unserer Lebensentwürfe geworden, in denen die Sehnsucht nach Liebe „offenbar wichtiger geworden ist als die Liebe selbst.“
Viele Menschen sind heute so überfordert mit den unzähligen Auswahlmöglichkeiten, dass sie verlernt haben, sich für eine Person zu entscheiden. Je mehr Möglichkeiten, desto schwerer ist es, sich festzulegen. Hinzu kommt, dass im Zeitalter der Digitalisierung die Lebensabschnitte verschwimmen und sich alles verschiebt - auch wird nicht wirklich um den Begriff der Liebe gerungen. „Wir haben uns in einer Art unendlicher Adoleszenz eingerichtet. Der nächste Lebensabschnitt ist nicht erwünscht. Man legt sich nicht fest, weil man annimmt, noch viel Zeit zu haben. Das verzerrt den Blick auf die eigene Biografie. Und auf sich selbst“, schreibt Nast. Auch frühere Liebesbeziehungen des Autors waren voller Drama und wurden immer kürzer. Die Arbeit am Buch war für ihn deshalb auch eine Art Selbsttherapie (Arbeit an sich selbst).
Als Michael Nast, Jahrgang 1975, im Jahr 2016 sein Buch „Generation Beziehungsunfähig“ veröffentlichte, löste es eine monatelange Debatte aus. Einige Jahre stellte der Berliner Autor fest, dass sich nicht viel geändert hat - im Gegenteil: Die Reaktionen seiner Leser*innen und auch seine eigenen Beobachtungen lassen vielmehr darauf schließen, dass sich die Beziehungsfähigkeit der 20 bis 35jährigen sogar noch verschlechtert hat. Eine Feststellung, die Nast dazu bewegte, Handlungsideen zu sammeln und zu veröffentlichen. Er beschreibt beispielsweise, dass er früher so beschäftigt war mit der Sehnsucht nach einer idealen Liebe und der Frau, die in diese ideale Vorstellung passte, dass er übersah, dass er alles dafür tat, um einer Beziehung auszuweichen. Er gab auf, bevor die Liebe, nach der er sich so sehnte, überhaupt entstehen konnte. Statt Liebe (Entscheidung) dominiert heute Verliebtheit (reines Gefühl, ein empathieloser Zustand), die häufig mit Liebe verwechselt wird: „Man verliebt sich in das Ideal, das man auf einen Menschen projiziert hat, man kennt ihn ja kaum.“
Echte Liebe wird von den meisten heute offenbar nicht gewollt.
„Der Weg ist reizvoller als das Ziel, denn das Ziel ist mit Einschränkungen verbunden.“ Ob erfüllte oder unerfüllte Verliebtheit - Nast beschreibt, wie ein Mensch wird, wenn es ihm nur um Endorphin- und Adrenalinausschüttungen geht. Die geliebte Person wird als Katalysator für Endorphinausschüttungen benutzt. Wenn sie allerdings keinen Rausch mehr auslöst, wird sie sie ersetzt. Doch wer seine Liebesbeziehung als Kosten-Nutzen-Rechnung betrachtet, „hat sein Denken so eng an die Mechanismen unserer Konsumgesellschaft angepasst, dass er sie für einen menschlichen Wert hält.“ Verbunden ist dies mit der falschen Annahme, dass uns Konsum glücklich macht. Wir werden von Wirtschaft und Werbung animiert, immer mehr zu kaufen. Doch das macht nur zufrieden, wenn wir die Dinge auch wirklich zu schätzen wissen und benutzen. Nur das führt auch zu einem anderen Selbstverständnis unserer selbst. Nast zitiert dazu den Soziologen und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa: Wir müssen uns „die Dinge auch aneignen und anverwandeln können, sonst bleiben sie uns fremd.“ Michael Nast zeigt in seinem Buch, dass genau das auch für die Liebe gilt.
Konsum gibt uns nur einen kurzen Moment der Befriedigung, es ist kein nachhaltiges Gefühl.
Leider sind die meisten von uns auf einen Verbrauch konditioniert, „bei dem die Neuanschaffung eines Produktes weniger kostet als dessen Reparatur. Es ist komfortabler, etwas zu ersetzen, als es zu reparieren.“ Es geht ihm um die Fragen: Was brauche ich wirklich? Welche Befriedigung wünsche ich? Welche hat einen tieferen Wert? Diese Themen beschäftigten ihn bereits in seinem Buch „Vom Sinn unseres Lebens“, in dem er das in der DDR weitverbreitete Phänomen beschreibt, nichts wegzuwerfen zu wollen, denn es hätte später noch Verwendung finden können. Auch wenn dies ein Resultat der Mangelwirtschaft war, so ist das Thema heute hochaktuell, weil es um den Wert der Dinge geht in einer kaputten Gesellschaft.
„In immer kürzeren Abständen versagen Maschinen, Gerätschaften und Alltagsprodukte ihren Geist, weil sie ein eingebautes Verfallsdatum haben, das Konsumenten zwingt, sofort neue zu kaufen“, sagt die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, die beim Öko-Versender memo die Unternehmenskommunikation leitet. Langlebigkeit erscheint vor diesem Hintergrund vielen Menschen als ein „anachronistisches“ Qualitätskriterium. Die meisten haben den Konsum zu lange exzessiv gelebt und sich daran gewöhnt, nach Ablauf der Garantiezeit alte Produkte zu entsorgen. Zugleich wird mit ständig wechselnden materiellen Gütern das Vakuum an Sinn gefüllt.
Eine umfassende Denkweise fordert heute nicht nur eine Auseinandersetzung mit den komplexen Strukturen der Herstellungsprozesse und Stoffkreisläufe von Produkten. „Grundsätzlich muss auch dafür ein Umdenken stattfinden, auf welche Weise unser Konsum stattfindet“, so Silber. Die Dinge, die wir heute tun, müssen sich für sie nicht ausschließen mit denen, die wir haben – in vielen Produkten kann sich auch die eigene Haltung spiegeln. Wir begreifen von außen Dinge nur, die wir auch von innen verstehen. So trägt die Kultur der Reparatur beispielsweise dazu bei, dass sich Menschen wieder mehr zutrauen, selbst aktiv werden und Verantwortung übernehmen. „Um von einer Wegwerfgesellschaft wegzukommen, müssten Konsumenten ihr Verhalten ändern. Und ihr Verständnis von Konsum“, schreibt auch Nast in seinem neuen Buch. Das Gleiche gilt für die Liebe.
Echte Liebe hat mit Nachhaltigkeit zu tun.
Der Begriff Nachhaltigkeit gehört seit der „Sylvicultura Oeconomica“ (1713) des Hans Carl von Carlowitz zum kulturellen Erbe der Deutschen. Er setzte einen neuen Trend: pflügen, säen und pflegen. Dabei geht es um die Wertschätzung dessen, was nachhält - auch dann, wenn in turbulenten Zeiten nichts mehr hält. Der allgemeine Grundsatz der Nachhaltigkeit sollte auch für die Liebe gelten, denn echte Liebe braucht Zeit und Tiefe, um zu reifen. Sie entsteht, wenn in einer Liebesbeziehung so viel Geborgenheit und Vertrauen entstanden ist, „dass sie zu einer Heimat geworden ist.“
Vor diesem Hintergrund erhält das Buch von Michael Nast selbst jene Tiefe, die er sich auch in der Liebe wünscht. Auch sie muss als „gesunde Beziehung“ aufgebaut, gepflegt und kultiviert werden. Liebe „verwirklicht sich in der Dauer, sie entfaltet sich in der Zeit. Es ist wie bei einem Kunstwerk. Es braucht Zeit und Hingabe, um etwas besonders Schönes herzustellen.“ Lösungen sind zwar immer sehr individuell, doch die Basis, die Michael Nast herausgearbeitet hat und die hier als persönliche Auswahl zusammengefasst ist, gilt für alle, die wirklich lieben (wollen).
Die Lösungen:
• Es gilt, bei sich selbst zu beginnen, die Ursachen zu verstehen, erlernte Verhaltensmuster zu erkennen und nachhaltig zu ändern.
• Wir sollten in einem „Wir“ und nicht in einem „Ich“ denken und Beziehungen nicht als Teil unseres individuellen Selbstverwirklichungsprozesses verstehen.
• Beziehung ist Arbeit – allerdings nicht im Sinne der selbstdarstellerischen Selbstoptimierung, sondern, indem wir uns selbst besser kennenlernen und verstehen.
• Liebe entzieht sich der Logik von Gegenleistung: Wer wirklich liebt, liebt bedingungslos.
• Effizienz fördert nur die Unverbindlichkeit und Oberflächlichkeit, aber keine Qualität – „in der Liebe oder in Freundschaften geht es nicht darum, mit dem geringsten Investitionsaufwand den größtmöglichen Nutzen zu erzielen.“
• Wer liebt, muss sich fallen lassen, um sich verlieben zu können. Die Voraussetzung ist, dass man sich öffnet, Gefühle zulässt und sich verletzlich macht.
• Vor den eigenen Gefühlen und der damit verbundenen Unsicherheit braucht sich niemand zu fürchten. Ihnen sollte allerdings nicht nur blind vertraut, sie sollten auch immer wieder hinterfragt werden.
• Paare sollten sich Zeit nehmen, in ihrer Beziehung tiefer zu gehen.
• Die Kunst einer Beziehung besteht ja auch darin, sich gesund streiten zu können.
• Schuldzuschreibungen gegenüber anderen ist ein Veränderungskiller.
• Niemand sollte sich als Opfer der Umstände sehen - das ist die Haltung von Menschen, die sich davor fürchten, ihr Leben nicht eigenverantwortlich zu gestalten.
• Wir sollten an einem gesunden Wesen arbeiten und nicht an der perfekten Fassade.
• Eine gesunde Beziehung zu anderen kann erst entstehen, wenn man eine gesunde Beziehung zu sich selbst hat.
• Es geht nicht um die Menge, sondern um die Tiefe der Bindung - in der Freundschaft und in der Liebe.
Das Buch:
Michael Nast: Generation Beziehungsunfähig. Die Lösungen. Edel Germany GmbH, Hamburg 2021.
Weiterführende Informationen:
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Nachhaltigkeit begreifen: Was wir gegen die dummen Dinge im Zeitalter der Digitalisierung tun können. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Heidelberg Berlin 2021.
Michael Nast: Vom Sinn unseres Lebens. Und andere Missverständnisse zwischen Ost und West. Edel Germany GmbH. Hamburg 2019.