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Was Nachhaltigkeitsberichte über Unternehmen aussagen

2007 erschien der erste und einzige Nachhaltigkeitsbericht von Arcandor (ehemals KarstadtQuelle AG). Er ist deshalb erwähnenswert, weil die Probleme von damals auch für viele Unternehmen heute zentral sind: Wo Vorstände häufig wechseln und das Thema wie ein ungeliebter Gegenstand an den nächsten weitergegeben wird, wo es kein Verständnis dafür auf der obersten Führungsebene gibt, wo niemand den Mut hat, richtige Strukturen zu schaffen, um das Thema richtig zu steuern, wo es als Plattform der Eitelkeiten genutzt wird, wo zuviele Abteilungen und Agenturen hineinreden, kann kein wahrhaftiges Produkt entstehen.

Der Arcandor Nachhaltigkeitsbericht ist in vielerlei Hinsicht skurril – das beginnt schon beim Gruppenbild der damaligen Vorstände: Da man sie nicht nebeneinander stellen oder setzen konnte, weil einige Personen von kleinem Körperwuchs waren, wurden sie nebeneinander unten ins Bild montiert –und die größeren stehend dahinter. Um „auf Linie“ zu kommen, wurde mancher Kopf sogar größer gezogen. Weil es damals keine Möglichkeit gab, einen Fototermin mit allen zu machen, wurde das Bild von der Corporate Design-Abteilung desUnternehmens montiert. Da die CD-Abteilung wie ein Wächter über alle Publikationen, aber inhaltlich nicht beteiligt war, war das dem Produkt später auch anzusehen: Die Kreativagentur, die Inhalt und Form begleitensollte, wurde mit ihren Ideen ausgebremst, so dass nur Ideenteile übernommenwurden - aufklappbare Bilder machten dann aber keinen Sinn mehr, weil dieHälfte fehlte.

Sämtliche „echte“ Mitarbeiterfotos wurden von der Designabteilung abgelehnt mit der Begründung, dass die Mitarbeiter morgen wieder weg sein können und diese Publikation keine Plattform für Headhunter sein sollte. So wurde jedes Kapitel mit einem Stockfoto versehen. Je kleinerdie Konzernabteilungen für einen Bereich wie Nachhaltigkeit sind, und je weniger intern geleistet werden kann, desto mehr Arbeit muss extern ausgelagert werden, denn der Reportingprozess ist sehr zeit- und arbeitsintensiv. Häufig bleibt kaum Zeit für Ausschreibungen und die richtige Auswahl, und so wird oft die erste Agentur gewählt, die sich gerade anbietet. Die auf das Berichtswesen spezialisierten Dienstleister geben teure Werkzeugkästen und Anleitungen – und so war damals auch auf dem Papier das Nachhaltigkeitsmanagement von Arcandor umfangreich und richtig beschrieben. Dazu gehörten die Organisationsstruktur, die Konzernrichtlinie Nachhaltigkeitsmanagement, Handlungsfelder im Bereich Nachhaltigkeit, eine Roadmap Nachhaltigkeit, das Stakeholder Relationship Management und Controlling-Instrumente. Der Nachhaltigkeitsbericht enthielt all dieseElemente, und die Agentur setzte alles so, wie sie es auch für andere Konzerne ingleicher Weise tat: Die für alle gleiche Grundstruktur wurde mit Zahlen und Fakten „aufgefüllt“. Die Vorstände selbst waren nicht an diesem Projekt beteiligt – sie erhielten wie in Konzernen häufig üblich den Bericht zu letzten Einsicht kurz vor der Drucklegung. Inhaltlich wurde nur auf die Aktualisierungder jeweiligen Funktionen geachtet und auf den möglichst gleichen Seitenumfang für die jeweiligen Konzerngesellschaft, damit niemand herausragen konnte. Der Arcandor Nachhaltigkeitsbericht stehtsymbolisch für ein austauschbares und substanzloses Konzernprodukt.

Die Traditionsnamen Karstadt für die Warenhäuser, Quelle fürden Versandhandel und Thomas Cook für das Reisegeschäft sollten erhalten bleiben. Der Name ist eine Kreation aus lat.-itl.-frz. „Arkade" (von zweiPfeilern oder Säulen getragener Bogen, einseitig offener Bogengang) und engl.„arc" (Bogen) sowie lat. „candor" (weiß glänzend) bzw. engl.„candour" (Offenheit, Ehrlichkeit) und frz. „or" (Gold) sowie griech.„arkeo/arkô" (schützen). Für Manfred Gotta gilt dies als besondersmissglückter Versuch, einen neuen Firmennamen einzuführen: „Arcandor wird nämlich vor allem mit der Würgeschlange Anakonda assoziiert.“ Die untrennbare Verbindung von Wertschöpfungund Wertschätzung im Konzern sollte durch diesen Namen angekündigt werden. Schriftzug und Farbe sollten Solidität, Stärke und Verlässlichkeitsymbolisieren, der goldene Stern Wert und Wertigkeit, „denn Wertsteigerung istder Maßstab für das Handeln aller Geschäftseinheiten", hieß es in der offiziellen Kommunikation. Dies schien wie der Nachhaltigkeitsbericht wie am Reißbrett entworfen und war nicht selbsterklärend. Die Präsentationen zeigtenebenfalls Stockfotos – Kinder am Strand und eine aufgehende Sonne, also nichts, was mit dem Kerngeschäft und den echten Menschen im Unternehmen zu tun hat.

„Der Name ist ein Stück des Seins und der Seele", schrieb Thomas Mann, den mit Thomas Middelhoff nicht nur das Kürzel „TM“ verbindet, sondern auch die„Buddenbrooks“: Der junge Thomas Buddenbrook war ebenfalls immer auf dem Sprung und hat am Ende seine Magie verloren. Was blieb, war der Wahlspruch des Firmengründers Johann: „Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage,aber mache nur solche, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können."Der seelenlose Name Arcandor spiegeltezugleich den desolaten Gesamtzustand des Unternehmens. Wer sich einen Überblick über die letzte Zeit vor dem Zusammenbruch machen möchte, dem sei das Buch von Massimo Bognanni „Middelhoff. Abstieg eines Star-Managers“ empfohlen.Thomas Middelhoff selbst beschrieb vor allem seine Haftzeit und sein Befinden im Buch „A115 – Der Sturz“. Am 2. Dezember 2008 wurde bekannt, dass er im Frühjahr 2009 den Vorstandsvorsitz an Karl-Gerhard Eick abgeben wird, der Finanzvorstand der Deutschen Telekom war. Nach seiner Übernahme des Vorstandsvorsitzes Mitte Februar 2009 schlug er einen Sanierungsplan für dasangeschlagene Unternehmen vor. Am 9. Juni 2009 beantragte die Arcandor AG beim Amtsgericht Essendie Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Es wurde am 1. September 2009 eröffnet. Der Rest ist Wirtschaftsgeschichte.

Eine Studie der Universität Münster im Rahmendes von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Forschungsprojekts „Unternehmensverantwortung im öffentlichen Diskurs“ (2017) hat festgestellt, dass für Leser emotionale Inhalte wie bebilderte Spendenaktionenlängst nicht so wichtig sind wie einige Kommunikationsexperten behaupten.Primärer Wunsch war, dass sich Unternehmen an Regeln halten. Die Erkenntnis,dass Fakten am meisten interessieren und Storytelling kein effektivesInstrument der CSR-Kommunikation sei, hatte bereits im Juni 2017 eine Studie imAuftrag von IKEA ergeben. Am positivsten reagierten Kunden auf Informationen darüber, was das Unternehmen für die eigenen Mitarbeiter tut. Die Studie ergab außerdem, dass nur wenige Menschen Nachhaltigkeitsberichte wirklich lesen. Deshalb sollte jedoch nicht auf dieses Medium verzichtet werden – vor dem Hintergrund der EU-Berichtspflicht ist dies auch gar nicht möglich. Was eine richtige und glaubwürdige Umsetzung ausmacht, zeigen vor allem viele Beispiele aus dem Mittelstand, wo die Nachhaltigkeitsberichte im eigenen Haus gemacht werden (z.B. memo AG oder Mader GmbH & Co. KG).

Weiterführende Informationen:

Alexandra Hildebrandt: CSR-Manager gesucht! Ein Berufsbild zwischen Wunsch und Wirklichkeit von Amazon Media EU S.à r.l. KindleEdition 2017.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: CSR und Nachhaltigkeitsmanagement richtig umsetzen: Die wichtigsten Schritte und Werkzeuge - mit zahlreichen Praxistipps und Mustervorlagen (mit. Amazon MediaEU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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