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Gerd Altmann/Pixabay

Was niemals veraltet: Warum immer mehr Senior-Experten gefragt sind

Miteinander oder gar nicht

Ältere Menschen machen intensivere, bewusstere Erfahrungen und haben eine andere Zeitökonomie als in jungen Jahren, denn sie nehmen keinen Tag mehr für selbstverständlich und leben im Augenblick. Sie spüren, dass ihre Lebenszeit begrenzt ist. „Und weil wir uns der Endlichkeit bewusst sind, erlauben wir uns wieder, Träume zu realisieren. Außerdem geht nichts mehr ohne die Übernahme von Verantwortung aller: Bürger, Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Medien“, schreibt die Moderatorin und Journalistin Alida Gundlach in ihrem Buch „Miteinander oder gar nicht. Wie Generationen voneinander profitieren können“. Ihr geht es darin auch um persönliches Wissen, das in keinem Geschichtsbuch steht und an keiner Schule oder Universität gelehrt wird, weil es nur das Leben selbst lehren kann.

Ältere können nicht nur gut erzählen, sondern auch in der Strecke denken - eine Fähigkeit die viele junge Menschen zugunsten kurzer Etappen und digitalen Denkens weitgehend verlernt haben. Die Schauspielerin Mariella Ahrens, die 2005 den Verein „Lebensherbst“ gründete, gehört ebenfalls zu jenen Menschen, die Geschichten lieber direkt von den Senioren hört, die sie betreut. Das sind Zeit-, Lebens- und Liebesgeschichten: „Und was man daraus lernt, ist niemals veraltet.“

Allerdings kann man im Alter nur leben, was man zuvor an Leben gewonnen hat. „Wer mit siebzig eine reizvolle alte Dame sein möchte, muss als siebzehnjähriges Mädchen damit anfangen.“ Agatha Christie sagt zu Recht, dass die Vorbereitung aufs Alter bereits in jungen Jahren beginnt. Sie ist kein Dauerlauf, sondern eher ein „nachhaltiges“ ausdauerndes Voranschreiten.

Schon von Goethe lässt sich lernen, wie man sich immer wieder auf neue Lebenssituationen einstellen und sich in jeder Lebensphase weiterentwickeln kann. Noch im hohen Alter strebte er danach, täglich anderes zu denken. Er war davon überzeugt, dass man sich ständig verändern, erneuern und verjüngen müsse, um nicht zu „verstocken“. Goethe blieb immer neugierig, begeisterungsfähig und lernbereit. Noch in seinem letzten Lebensjahr war er bis zuletzt unermüdlich tätig.

Das gängige Bild des Alters ist heute einerseits von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Siechtum geprägt, andererseits werfen Kritiker den gesunden Alten (Amerikaner nennen sie selpies, second life people, auch woopies, well of elder people, wollies, well income old leisure people) vor, sich auf Kosten der Jungen ein glückliches Leben auf Kreuzfahrtschiffen zu machen.

Wir benötigen ein anderes Bild des Alters.

Aufgrund der steigenden Lebenserwartung wird es zukünftig als eigene Phase definiert werden. Dabei spielen körperliche Aktivität und geistige Anregung eine wesentliche Rolle, denn die meisten Menschen fühlen sich nicht alt und möchten als Rentner noch (beruflich) aktiv sein. Wissenschaftliche Studien belegen, dass sich 60-Jährige viel eher mit Mittvierzigern als mit Gleichaltrigen identifizieren. „Wir haben ein neues Altern bekommen“, bemerkte vor einigen Jahren auch Rocklegende Tina Turner: „50-Jährige sind heute wie 40-Jährige. Das alte 50-jährige-Frau-Ding – das waren unsere Mütter und Großmütter, aber nicht wir.“

Unter dem Ausdruck „Grey Market“ wird der wachsende Konsumentenmarkt der Menschen jenseits von 50 Jahren zusammengefasst. In diesem Alter ist der Beziehungsmarkt sehr lebhaft: Die meisten haben noch ein langes Leben vor sich und sind offen für Neues. Allerdings funktionieren klassische Werbekonzepte für Senioren in der Praxis nur selten. So war das Haarshampoo Affinity aus dem Hause Johnson & Johnson, das Mitte der achtziger Jahre auf den Markt kam und mit dem Slogan „Gegen altes Haar“ beworben wurde, ein Flop. Dabei hatte alles positiv begonnen – die Marktforscher bescheinigten der „50plus-Generation“ Kaufkraft und Konsumfreude. Doch diese Zielgruppe wollte von einem Pflegeprodukt „gegen altes Haar“ nichts wissen. Nach etwa zwei Jahren wurde das Produkt vom Markt genommen. Auch Beiersdorf wagte mit der Hautpflegeserie Nivea Vital nach einer sechsjährigen Entwicklungsphase einen Vorstoß auf den Schweizer Markt ab 55plus. Die älteren Kundinnen seien besonders kritisch, begründete damals der Schweizer Produktmanager der Vital-Linie die Zurückhaltung in der Hamburger Zentrale.

Häufig fehlen den jungen Kreativen Schulung und Instrumente, um ältere Kunden zu verstehen und die Zusammenhänge zwischen Alter und Reife nachzuvollziehen. Auch die meisten Studien, die sich mit Älteren befassen, erschöpfen sich häufig in einer einseitigen Perspektive. Schlagworte wie „Megaboom“, „Turbo für die Wirtschaft“, die Attribute „dynamisch“, „konsumfreudig“, „konsumerfahren“, „kampflustig“, „reiselustig“ und „komfortbewusst“ wiederholen sich. Ein tieferes Verständnis wird kaum angestrebt. Dennoch hat das Interesse an den „neuen Alten“, den „Best Agers“, „Golden Oldies“ oder „Silver Workers“ in den vergangenen Jahren stetig zugenommen.

Nicht nur die Verteilung von Konsum, sondern auch die Verteilung und Definition produktiver Tätigkeit sind vor dem Hintergrund des demografischen Wandels neu zu diskutieren.

Die Jungen brauchen die Älteren ebenso wie die Älteren die Jungen. Erfahrung, Wissen, Fortschritt, Innovation und Transformation können nur gemeinsam erfolgen. „Junge Menschen haben noch ein langes Leben vor sich, sind offen für Neues, trauen sich mehr ins Risiko und sind Triebkraft für neue Ideen. Ältere haben schon Krisen erlebt und haben einen enormen Erfahrungsschatz. Der Jüngere versucht beispielsweise kreativ mit modernen Arbeitsmitteln und Fleiß sein Ziel zu erreichen, der Ältere eher über bewährte Strategien und langjährige Erfahrung. Beide versuchen wir im Team gleichzustellen und mit ähnlichen Positionen zu versehen, sodass das Unternehmen von den jeweiligen Arbeitsweisen in der Leistung profitieren kann“, sagt Werner Neumüller, Geschäftsführer der NEUMÜLLER Unternehmensgruppe, zu der unter anderem die NEUMÜLLER Ingenieurbüro GmbH und die NEUMÜLLER Personalberatung Regina Neumüller e.K. gehören, die auf die Rekrutierung von Fachkräften für Unternehmen spezialisiert ist. Das inhabergeführte Familienunternehmen unterstützt seit mehr als 16 Jahren Großkunden aus der Industrie, aber auch mittelständische Firmen, über die Personaldienstleistung - mit anschließender Gelegenheit zur Übernahme der Mitarbeiter durch die Kunden.

Zum demografieorientierten Personalmanagement gehört hier „ganzheitliches flexibles Denken, individuelle Strategieentwicklung, -implementierung, -umsetzung mit stetiger Anpassung, Berücksichtigung der Individualität und Leistungseffektivität in jedem Alter.“ Der Unternehmer ist sich bewusst, dass auch Ältere sinnvolle Aufgaben brauchen (in Deutschland arbeitet nach Angaben des Statistischen Bundesamts mittlerweile mehr als eine Million Menschen jenseits der Regelaltersgrenze).

Neumüller verweist auch darauf, dass ältere Mitarbeiter häufig weniger geneigt sind, den Arbeitsplatz zu wechseln als jüngere Mitarbeiter. Wenn Alt und Jung ihre unterschiedlichen Fähigkeiten gleichermaßen in ein Unternehmen einbringen, „steigt die Produktivität“, sagt der Personalexperte. Er ist fest davon überzeugt, dass alternde Belegschaften eine neue Vielfalt in die Arbeitswelt bringen. Dabei ist es wichtig, dass Unternehmen auch Brückenbauer aller Generationen werden.

Derzeit ist die Nachfrage nach Senior-Experten, die bei Neumüller auch unverzichtbare Sparringspartner für strategische und richtungweisende Entscheidungen sind, sehr groß. Für den Unternehmer ist die Zusammenarbeit mit ihnen schon immer selbstverständlich, weil sie „oft intuitiver, mit mehr Weitblick Lebenserfahrung, Ruhe und Weisheit“ arbeiten.

Weiterführende Informationen:

Warum der Erfahrungsschatz älterer Mitarbeiter so wertvoll ist

Werner Neumüller: Gutes Klima: Warum Unternehmen einen Kompetenzmix aller Generationen brauchen. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2020, S. 115-127.

Alida Gundlach: Miteinander oder gar nicht. Wie Generationen voneinander profitieren können. Südwest verlag, München 2010.

Nicole Grün: Dranbleiben. In. Süddeutsche Zeitung 18./19.7.2020, S. 59.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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