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Was reizt Manager an heiklen Jobs?

Ob ein Schleudersitz im Konzern oder eine Stelle bei einem umstrittenen Arbeitgeber: Was fasziniert Menschen an Jobs, von denen viele die Finger lassen?

Wenn Wolfram Eberhardt jemandem von seinem Job erzählt, fällt die Reaktion meist in eine von drei Kategorien. Da sind die Menschen, die schlucken und erst mal gar nichts sagen. Diejenigen, die fragen, ob er „verrückt“ sei, mit Anfang 60 „so etwas“ zu machen. Und dann gibt es Leute, die sich interessiert zeigen, mehr erfahren wollen.

Dieser offenbar recht zweifelhafte Arbeitgeber ist das Erzbistum Köln. Eberhardt verantwortet dort seit April vergangenen Jahres die Kommunikation, unter der Leitung des umstrittenen Erzbischofs: Kardinal Rainer Maria Woelki. „Ein dickes Brett“ habe er sich da als Aufgabe ausgesucht, sagt der 60-Jährige.

Woelki hat 2020 ein Gutachten über den Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt nicht veröffentlicht und ein zweites in Auftrag gegeben – mit dem Verweis auf methodische Mängel. Seitdem kommt er nicht aus der Kritik. Gerade erst erhielt eine Onlinepetition, die seine Absetzung fordert, mehr als 60.000 Unterschriften. Der Hintergrund: Die Staatsanwaltschaft Köln stellte Ermittlungen gegen den Kardinal wegen möglicher Falschaussagen gegen Zahlung einer Geldauflage von 26.000 Euro ein. 2021 entsandte Papst Franziskus zwei Bischöfe für eine Untersuchung nach Köln. Der Heilige Stuhl erkannte zwar keine Hinweise darauf, dass Woelki „im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs rechtswidrig gehandelt hat“. Aber: Woelki habe „vor allem auf der Ebene der Kommunikation auch große Fehler gemacht“, was wesentlich zu „einer Vertrauenskrise“ im Erzbistum beigetragen habe.

Wolfram Eberhardt verantwortet die Kommunikation beim Erzbistum Köln Foto: PR

Und Eberhardt verantwortet nun die Kommunikation. Ja, es ist ein richtig dickes Brett. Warum tut er sich das an?

Es wäre zu einfach, Eberhardt als „verrückt“ abzutun. Man kann in ihm den Gegenentwurf sehen zu vielen Arbeitnehmern, die zunehmend Dienst nach Vorschrift verrichten, es bequem mögen, ungern Risiken eingehen. Für Eberhardt wird es auf der Zielgeraden des Arbeitslebens noch mal richtig ungemütlich. Statt mit 60 zu planen, welche Länder er als Rentner bereisen will, greift er an.

Jörn Basel, der als Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Luzern forscht, weiß, dass viele Arbeitnehmer einen solchen Karriereschritt meiden würden: „Wir wollen am liebsten nichts am Status quo ändern und haben ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit“, sagt er – und betont zugleich: „Es ist für das Wohl der Wirtschaft unerlässlich, dass Menschen im Job Risiken eingehen.“ Um in Unternehmen notwendige Veränderungen anzustoßen. Um neue Ideen zu entwickeln. Um andere Wege zu gehen als die Konkurrenz.

Es ist für das Wohl der Wirtschaft unerlässlich, dass Menschen im Job Risiken eingehen
JÖRN BASEL, Wirtschaftspsychologe

Welche Menschen sind besonders für das Risiko im Job gemacht? Wie lässt sich Unsicherheit kontrollieren? Wie ein Schleudersitz absichern?

„Die Risikobereitschaft hängt mit der Persönlichkeit zusammen“, weiß Forscher Basel. „Extrovertierte Menschen sind im Schnitt risikofreudiger.“ Studien zeigen außerdem: Wer deutlich zu wenig schläft oder gut gelaunt ist, geht größere Risiken ein. Und: „Männer überschätzen sich stärker selbst als Frauen“, sagt Basel. So waren etwa in einer Studie, die Forscher aus Neuseeland und Kanada im Jahr 2022 durchführten, zahlreiche männliche Teilnehmer überzeugt, ein Flugzeug landen zu können – und das völlig ohne Flugerfahrung.

Für Eberhardt war der Wechsel ins Erzbistum ein „kalkuliertes Risiko“, wie er selbst sagt. Er hatte bereits die Kommunikation in Konzernen gesteuert: beim Industrieunternehmen ABB, beim Landmaschinenhersteller Claas. Auch dort war er von Zeit zu Zeit als Krisenkommunikator gefragt. Claas etwa geriet in Kritik, weil sich das Unternehmen – anders als zahlreiche andere Firmen – nicht aus dem Russlandgeschäft zurückzog. Trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

LANGSAM INS KALTE WASSER

Eberhardt hat einst im Nebenfach Theologie studiert. Krise und Glauben – der 60-Jährige kennt beides. Und doch habe er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. „Wenn so eine Anfrage kommt, müssen Sie erst mal tief Luft holen“, sagt er. Was ihn überzeugte: Das Erzbistum arbeitet zunehmend wie ein Unternehmen. Einige Posten im Generalvikariat bekleiden derzeit ehemalige Führungskräfte aus der Wirtschaft. Der Amtsleiter etwa arbeitete vorher als Vorstand bei der Versicherung Axa. „Deshalb war ich mir sicher, in ein Umfeld zu kommen, in dem ich mich wohlfühle“, sagt Eberhardt.

Forscher Basel betont: „Wir sind eher bereit, Risiken einzugehen, wenn wir die Konsequenzen abschätzen können.“ Etwa weil wir Erfahrung mitbringen und uns schon ähnlichen Risiken gestellt haben. Auch wer das Gefühl hat, „selbst über den Umgang mit Risiken zu bestimmen, nimmt diese als weniger unangenehmen wahr“. Statt mit dem Kopf voran ins kalte Wasser zu springen, stieg Eberhardt langsam hinein. Mit ruhigem Atem.

Vor seiner Managerkarriere suchte Wolfgang Wienand fast täglich das Duell. Wienand war in den 1990er-Jahren einer der besten Florettfechter der Welt: Er belegt bei den olympischen Spielen 1996 den vierten Platz, gewinnt 1997 den Gesamtweltcup, holt bei der EM 1998 Gold mit der Mannschaft und bei der WM 1999 Bronze im Einzel. 2000 beendet er seine Karriere. Im Wettkampfmodus ist Wienand noch immer: Seit einem Jahr ist der 53-Jährige CEO von Lonza, einem Schweizer Auftragsentwickler und Produktionsunternehmen für die Pharma- und Biotechindustrie. Lonza ist fast 44 Milliarden Euro wert – etwas weniger als die Deutsche Bank. Die Firma produzierte den Coronaimpfstoff von Moderna. Als der Geschäftspartner den Auftrag beendet, muss Lonza die Prognose zwei Mal kassieren, die Aktie stürzt ab, Lonza kämpft mit Negativschlagzeilen. Wienand soll Ruhe reinbringen, geräuschloser arbeiten als seine Vorgänger, immerhin vier in vier Jahren. Und er soll erfolgreicher sein, auch das.

So wie er sich früher auf den Fechtstil seiner Gegner einstellte, bereitete sich Wienand auch auf die Aufgabe bei Lonza vor. Sein Vorteil lag in einem der Faktoren, die nach Einschätzung von Wissenschaftler Basel den Mut zum Risiko stärken: Er kannte das Unternehmen gut, den Markt sowieso. 15 Jahre arbeitete er bei Siegfried: einem kleineren Schweizer Unternehmen zwar, aber eben auch eine Pharmafirma und Wettbewerber von Lonza. Wienand holte damals Leute von Lonza und verlor eigene an seinen heutigen Arbeitgeber.

Wolfgang Wienand, einst Fechter, behauptet sich heute als Chef des Pharmaunternehmens Lonza Foto: PR

Vor der Vertragsunterschrift stellte Wolfgang Wienand sich die für ihn zentrale Frage: Hat er einen guten Plan für Lonza? Kann er der Firma etwas geben, damit sie später besser dasteht? „Das konnte ich für mich ziemlich schnell bejahen“, erzählt der Manager. Bei Lonza gab es damals vier Divisionen. Wienand wollte den Fokus schärfen – und das Unternehmen ganz auf das Geschäft als Zulieferer für die Pharmaindustrie ausrichten. Solch eine klare Strategie erhöht ebenfalls die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Und hilft zugleich, unnötige Risiken zu vermeiden. „Der Vergleich mit dem Berg­steiger, der den Gipfel stets im Blick 
hat, ist zwar etwas überstrapaziert“, sagt der Wirtschaftspsychologe Basel, „aber: Wenn das Ziel klar definiert ist, kann ich besser abschätzen, welche Risiken ich dafür eingehen sollte.“

KLARER PLAN, KEINE BEFEHLE

Wienands Weg zum Gipfel führte über den Verkauf des Geschäfts mit Nahrungsergänzungsmitteln, das mit seiner Vision und den anderen Geschäftsbereichen nicht viel zu tun hatte. So vermutete er es, noch ehe er seinen Vertrag unterschrieben hatte – und er behielt diesen Plan für sich. Die erste Zeit hörte er sich nur an, was die Belegschaft an der Arbeit bei Lonza lobte und bemängelte. „Ich hörte immer wieder, dass wir viel zu viel in Silos denken“, erinnert sich Wienand. Das passte zu seiner Idee, eines dieser Silos abzugeben. „Am vierten Arbeitstag“ habe er seinem Managementteam die Frage gestellt, ob Lonza der beste Eigentümer für das Geschäft sei. „Und dann haben wir in einem sehr strukturierten Prozess darüber diskutiert.“ Für Wienands Plan sprach obendrein, dass der Umsatz in der Nahrungsergänzungsdivision 2023 gesunken war.

165 Tage nach Wienands Antritt verkündet Lonza Mitte Dezember 2024, „sich zum geeigneten Zeitpunkt“ aus dem Geschäft zurückzuziehen. Er sei hier, um „Veränderungen umzusetzen“ und nicht „zu verschleppen“, betont Wienand. „Und obwohl es mein anfänglicher Plan war, den wir jetzt umsetzen, war es mir wichtig, in einem strukturierten Prozess möglichst viele Menschen dahinter zu versammeln – statt ihn bloß anzuordnen.“

Wer riskante Entscheidungen in einem unsicheren Umfeld trifft und noch dazu selbst auf einem wackligen Posten sitzt, braucht zwingend Menschen, die Entscheidungen mittragen – statt sie gleich als zu riskant abzutun. Umso besser, wenn diese Menschen gleich mit an dem riskanten Vorhaben tüfteln.

VERBÜNDETE FINDEN

„Als Kommunikationsverantwortlicher“, weiß Wolfram Eberhardt, „sind Sie Ihren Job ziemlich schnell los, wenn es mit dem Chef nicht funktioniert.“ Auf dem Posten des Kommunikationschefs des Erzbistums gab es in der Vergangenheit zahlreiche Wechsel. Eberhardt setzt auf steten Austausch mit Kardinal Woelki, schreibt viel mit ihm über den Messengerdienst Threema. Als der Kardinal im Mai für das Konklave in Rom war, erhielt Eberhardt immer mal Nachrichten: Bilder von den weißen, päpstlichen Gewändern auf einer Kleiderstange etwa. Eine sechstägige Reise in die Ukraine schweißte die zwei Männer „menschlich enger“ zusammen, erzählt Eberhardt. Im August ging es erst mit dem Flieger nach Polen, dann mit dem Auto nach Lwiw und mit dem Nachtzug nach Kiew. Woelki und Eberhardt beteten nachts auf dem Friedhof in Lwiw mit den Angehörigen getöteter Soldaten, sangen in Kiew im Luftschutzbunker das Lied „Praise ye the Lord“, während draußen die Sirenen heulten. „Und abends sprachen wir bei einem Getränk über das Erlebte. All die Eindrücke müssen Sie erst mal verarbeiten, die legen Sie nicht nicht wie eine Jacke einfach ab“, sagt Eberhardt.

Auch Wolfgang Wienand braucht für seine Aufgabe bei Lonza Gleichgesinnte. Allen voran: Jean-Marc Huët, seit Mai 2024 Verwaltungsratspräsident. Davon hat Wienand es abhängig gemacht, ob er seinen Vertrag überhaupt unterschreibt. Und deshalb früh eine Verbindung zu Huët gesucht. Statt im Anzug im Büro zu sitzen, waren die beiden Männer bei ihrem ersten Kennenlernen nach ausgiebigem Frühstück im Wanderoutfit einige Stunden in den Schweizer Alpen unterwegs.

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