Was tun, wenn Ihr Chef Sie gezielt manipuliert?
In der Arbeitswelt, taucht das Phänomen Gaslighting immer häufiger auf. Was man dagegen tun kann.
Düsseldorf. Es war zuerst ein leiser Zweifel, der Laura Wieser überkam. Sie saß in einem Meeting mit einem Kunden. Wieser stand an ihrem Karriereanfang, es war einer ihrer ersten Jobs bei einer Werbeagentur. „Du achtest überhaupt nicht darauf, was wir dir gesagt haben“, blaffte der Kunde ihr entgegen. Obwohl sie eigentlich dachte, den Inhalt der Briefings genau befolgt zu haben.
Dann gab er ihr immer wieder Aufgaben und behauptete im Nachhinein, sie so nicht bestellt zu haben. So erzählt es Laura Wieser, die anonym bleiben möchte und deswegen anders heißt, dem Handelsblatt. Einmal sollte sie einen Produkttext für eine junge Zielgruppe schreiben. Nachdem sie ihre Arbeit abgegeben hatte, behauptete der Kunde, gar keinen Text für junge Menschen gewollt zu haben. Laura Wiesers Zweifel wuchsen und mit ihnen die Frage: „Kann ich meiner Erinnerung trauen?“
Später fand sie heraus, dass nicht sie sich falsch erinnert hat. Dass es ein Wort dafür gibt, wenn Menschen am Arbeitsplatz einem immer wieder gezielt die eigene Wahrnehmung absprechen: Gaslighting. Dass dieses Phänomen immer häufiger auftaucht – und dass man etwas dagegen tun kann.
Bedeutung: Was ist Gaslighting?
Bei Gaslighting handelt es sich um eine Form der Manipulation durch Vorgesetzte, Kunden oder Kollegen, die das Selbstvertrauen der Betroffenen schädigen wollen. Genaue Zahlen gibt es dazu nicht, das Phänomen ist in der Arbeitswelt noch relativ unerforscht. Denn oft wird Gaslighting vor allem mit Beziehungen oder Familien in Verbindung gebracht. Fast jeder Dritte hat jedoch schon einmal psychische Gewalt am Arbeitsplatz erlebt, dazu zählt auch Gaslighting.
Mariella Zippert schätzt Gaslighting als weiter verbreitet in Unternehmen ein als bisher angenommen. Sie ist Diplompsychologin vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen und berät Betroffene, die übergriffiges Verhalten am Arbeitsplatz erlebt haben.
„Gaslighting ist eine besonders subtile Form des Machtmissbrauchs“, sagt Zippert. Natürlich seien Meinungsverschiedenheiten oder Kritik nicht gleich Gaslighting. Mit dem Begriff dürfe man nicht leichtfertig umgehen. Doch bei Fällen wie von Laura Wieser zeigt sich Gaslighting als ein wiederkehrendes Muster, durch das der Betroffene anfängt, an seiner Selbstwahrnehmung zu zweifeln. Etwa, wenn Abmachungen von Vorgesetzten geleugnet oder als ganz anders als eigentlich besprochen dargestellt werden.
Gaslighting: Welche Symptome haben Opfer?
Auch Laura Wieser könnte viele solcher Beispiele erzählen. Bei ihr fing das Gaslighting nach sechs Monaten an. Der Ton wurde rauer, die Kommentare immer persönlicher. Als der Kunde zu ihr sagt, sie könne nichts und würde das Projekt aufhalten, fragt sie sich immer öfter: „Mache ich einen guten Job?“
„Die Opfer fangen oft selbst an zu glauben, dass sie inkompetent wären“, sagt Psychologin Zippert. Denn wenn einem Gaslighting vorher noch nicht untergekommen ist, kann es schwer sein, es überhaupt als solches zu erkennen. Weniger Selbstvertrauen, ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Leistung, Depressionen – die Folgen können vielfältig sein und dauern oft lange an.
Auch körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Magen-Darm-Beschwerden kann Gaslighting auslösen. Dies kann schlimmstenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führen. Einige Menschen erfahren Konzentrationsschwächen, weil sie nur noch darauf achten, keine Fehler zu machen.
Bei Laura Wieser hielten die Folgen des Gaslightings noch lange an, auch nachdem sie die Firma verlassen hatte. „Ich habe meine Kompetenz für eine lange Zeit noch selbst infrage gestellt.“ Mehrmals fragte sie sich, ob sie überhaupt weiter in der Werbebranche arbeiten solle.
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Wie reagiert man auf Gaslighting?
Viele Betroffene stellen sich die Frage, wie sie auf Gaslighting antworten sollen. Patrick de Backer, Fachanwalt für Arbeitsrecht, begegnen solche Fälle immer wieder. Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht, damit der Arbeitnehmer keinen psychischen Schaden erleidet. Das ist im Arbeitsschutzgesetz geregelt.
Für alle Fälle sei zuerst eines wichtig: Beweise sammeln. „Oft gibt es bei Gaslighting ein großes Beweisproblem“, erzählt de Backer. Wenn eine Geschäftsführerin etwa eine Assistenz beleidigt, dann geschieht das oft unter vier Augen. Es sei daher wichtig, ein Mobbing-Tagebuch zu führen, schriftliche Abmachungen oder auch Diagnosen vom Arzt zu sammeln. Damit können Betroffene dann zu einem Anwalt gehen und sich beraten lassen. Laut de Backer gibt es drei Optionen für Betroffene, wobei jeder Fall individuell ist.
Es gibt eine goldene Regel: Nie selbst kündigen.Patrick de Backer Fachanwalt für Arbeitsrech
Am gängigsten ist ein Aufhebungsvertrag. Patrick de Backer handelt für etwa 80 Prozent seiner Mandanten einen solchen Vertrag aus. „Es gibt eine goldene Regel: Nie selbst kündigen“, warnt de Backer. Schlimmstenfalls bekommen Betroffene von dem Gaslighter dann auch noch ein schlechtes Arbeitszeugnis ausgestellt. In einem Aufhebungsvertrag hingegen lässt sich vieles verhandeln. Von einer Freistellung oder Abfindung bis hin zu Schmerzensgeld kann so einiges mit dem Arbeitgeber vereinbart werden.
Wenn Betroffene das Unternehmen nicht verlassen wollen, bleibt als zweite Möglichkeit immer noch, sich versetzen zu lassen. Doch gerade bei kleineren Firmen ist das oft keine Option. De Backer erzählt von einem Fall, bei dem eine alleinerziehende Frau in ihren Fünfzigern ihren Job bei der Bank nicht verlieren wollte. Nirgendwo anders hätte sie in ihrem Alter noch einen so guten Vertrag bekommen.
Dann bleibt nur noch die dritte Möglichkeit: in dem Job zu bleiben. „Dafür braucht man gute Nerven, Zeit und Geld“, sagt de Backer. Zumindest, wenn Betroffene mithilfe eines Rechtsbeistands gegen den Täter vorgehen wollen. De Backer mahnt dann Arbeitgeber ab und fordert, dass sich etwas im Unternehmen bis zu einer gesetzten Frist verändert. In besonders schlimmen Fällen geht er zivilrechtlich gegen die Täter vor. So können Betroffene beispielsweise Schadenersatz vom Gaslighter erhalten. Manche Firmen kündigen den Tätern daraufhin.
Gaslighting: Was hilft Betroffenen?
Vielen Betroffenen hilft es, mit anderen Menschen über ihre Erlebnisse zu sprechen. „Es ist enorm wichtig, sich von anderen Hilfe zu holen, auch wenn man vielleicht Scham dabei fühlt“, so Zippert. Das können die Personalabteilung, der Betriebsrat oder auch normale Kollegen sein. Oft schotten sich Betroffene ab, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden. Die Selbstisolation sei jedoch oft kontraproduktiv und helfe dem Täter, sein Verhalten fortzuführen.
Auch Laura Wieser hat es geholfen, sich mit ihren Teammitgliedern auszutauschen. Sie machten ihr klar, dass die Kunden sich auch gegenüber anderen Angestellten übergriffig verhalten haben. Langsam begriff sie: Nicht sie war das Problem, sondern das Verhalten der anderen. Sie wurden in deren Firma selbst unter Druck gesetzt und missbrauchten wiederum ihre eigene Machtposition bei der Werbeagentur.
Laura Wieser hielt es irgendwann nicht mehr aus. Ihr eigener Vorgesetzter verteidigte sie nicht, zu wichtig sei der Umsatz durch den Kunden gewesen. Sie verließ das Unternehmen und suchte sich Hilfe von einem Coach. Denn sie wollte ihre Zweifel nicht mit in ihren neuen Job bringen. Auch Zippert rät dazu, sich Hilfe von Psychotherapeuten zu suchen, wenn einen die Vorfälle noch weiter beschäftigen. Auch wenn es vielleicht zuerst Überwindung kostet.
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