Händeringend gesucht: Facharbeiter·innen! - © Getty Images

Was Unternehmen noch mehr fürchten als die Konjunkturkrise: den Facharbeitermangel

Zum Ende des Jahres 2023 berichtete das „Handelsblatt“, dass bei Arbeitgebern in Deutschland „im kommenden Jahr [das heißt im Jahr 2024] Tausende Stellen wegfallen“ könnten. Zum Beleg für diesen Ausblick hieß es weiter: „Zahlreiche Konzerne haben in den vergangenen Wochen neue oder erweiterte Pläne für mehr Effizienz angekündigt“. Laut „Handelsblatt“ stehen hinter dieser Entwicklung drei wesentliche Treiber:

  1. „Die Unternehmen reagieren auf die anhaltende Konjunkturschwäche und den dadurch wachsenden Kostendruck.“

  2. Gerade große Konzerne „fühlen sich durch bürokratisches Arbeiten in den Firmenverwaltungen gebremst und bauen deshalb radikal um.“

  3. „Mit neuer Digitaltechnik wie künstlicher Intelligenz glauben Firmen ihre Prozesse verschlanken und einfache Tätigkeiten einsparen zu können.“

Die aus meiner Sicht vielleicht spannendste Erkenntnis aus der Recherche ist, „dass a****uf kaum einer Streichliste die Produktion auftaucht“. Die These dazu, weshalb das so ist, lautet: „Noch mehr als die Konjunkturkrise fürchten die Unternehmen den Facharbeitermangel.“

Grund genug, mal genauer hinzusehen: Sind Arbeitnehmende, die nicht am Schreibtisch sitzen, denn wirklich ein so knappes Gut am deutschen Arbeitsmarkt? Eine Bestandsaufnahme.

  • Zunächst der Blick auf die unbesetzten Stellen: Laut der Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind derzeit in Deutschland 1,73 Mio. Stellen unbesetzt. Sieht man sich die dahinterliegenden Detaildaten nach Branchen an und ordnet diese den Kategorien „eher Schreibtischarbeit“ bzw. „Wertschöpfung eher fernab des Schreibtischs“ zu, so ergibt sich, dass rund zwei Drittel in die letztere Kategorie fallen.

  • Wenn man die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten Stellen nach Berufen betrachtet, zeigt sich ein noch deutlicheres Bild: 9 der Top-10-Berufe mit den meisten dort gemeldeten offenen Stellen werden nicht vom Schreibtisch aus verrichtet.

  • Ein weiterer aussagekräftiger Kennwert für den Mangel an Beschäftigten ist die sogenannte durchschnittliche Vakanzzeit**,** die ebenfalls von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht wird. Sie bezeichnet die Dauer, die eine ausgeschriebene Stelle im Mittel unbesetzt bleibt. Hier zeigt sich: Keiner der 10 Top-Engpassberufe wird vom Schreibtisch aus verrichtet.

  • Und auch in der näheren Zukunft wird sich an diesem Bild nichts ändern: Laut Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln wird die Fachkräftelücke besonders in Nicht-Schreibtisch-Berufen wie Verkauf, Kinderbetreuung, Kranken- und Altenpflege, Logistik, Bauelektrik oder Fahrzeugtechnik anwachsen. Mit Ausnahme von IT-Berufen taucht auch hier kein Schreibtischberuf in den Top 10 auf.

Was mich daran verwundert: ich habe oft das Gefühl, dass Headhunter sowie Recruiterinnen und Recruiter sich besonders um Arbeitnehmende bemühen, die in klassischen Schreibtischjobs ihr Tagwerk verrichten – sogenannte White-Collar-Professionals**.** Und das, obwohl die kürzlich erschienene Blue-Collar-Studie von onlyfy by XING zeigt, dass 93 Prozent der dort befragten Recruiter Schwierigkeiten haben, neue Mitarbeitende für Jobs zu finden, die vor allem von körperlicher Arbeit geprägt sind.

Wie seht ihr das? Täuscht mich meine Wahrnehmung, oder bekommen Arbeitnehmende aus dem „Blue Collar“-Bereich nicht die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die sie verdient hätten?

Für eine tiefere Auseinandersetzung zu diesem Thema möchte ich insbesondere das neue Fachbuch „Blue Hiring: Zeit zum Umdenken. Wie man erfolgreich Arbeitskräfte in Industrie, Handel und Dienstleistung gewinnt" empfehlen, dass man hier kostenlos herunterladen kann.

Dr. Julian Stahl schreibt über Job & Karriere, Politik & Gesellschaft, Wirtschaft & Management

Als Arbeitsmarktexperte bei XING hat Dr. Julian Stahl stets den Überblick über die Trends und Herausforderungen in der Arbeitswelt. Er analysiert Dynamiken und die damit verbundenen Auswirkungen für Arbeitnehmende und Unternehmen. Julian lebt in Hannover und liebt es, mit seiner Familie zu reisen.

Artikelsammlung ansehen