Welche positiven Effekte kann die Digitalisierung für Nachhaltigkeit leisten?
Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben die Bedeutung der Jahrtausendthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung verschärft.
Doch schon vor der Corona-Pandemie ist das Bewusstsein dafür stärker geworden. In Deutschland wurde ein Klimaschutzgesetz verabschiedet und in Europa mit dem Green Deal ein Pfad der nachhaltigen Wirtschaftsausrichtung - mit dem Ziel einer Klimaneutralität bis 2050 - angelegt.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) setzt sich dafür ein, Digitalisierung und Nachhaltigkeit systematisch im System der Vereinten Nationen zu verankern. Dazu legte er das Gutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ vor.
Empfohlen wird, das Umweltbewusstsein der Menschen weltweit zu fördern, eine digital gestützte Kreislaufwirtschaft zu etablieren, durch die Nutzung digitaler Lösungen die Nachhaltigkeitspolitik zu modernisieren und zur Weiterentwicklung der globalen Nachhaltigkeitsagenda über 2030 hinaus einen UN-Gipfel zu „Nachhaltigkeit im Digitalen Zeitalter“ einzuberufen. Erwähnenswert ist auch der Aktionsplan „Natürlich.Digital.Nachhaltig“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Die Verbindung dieser strategischen Kernthemen bleibt für Unternehmen allerdings eine Herausforderung. Die damit einhergehenden Veränderungen der Marktkräfte sind für viele nicht einfach zu managen. Zudem benötigen sie heute keine losgelösten Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsstrategien (Insellösungen), sondern ganzheitliche Ansätze, die passgenau auf die Bedürfnisse des digitalen Zeitalters zugeschnitten sind - flexibel, aber gleichzeitig robust genug, um in Krisenzeiten und über Mode- und Konjunkturwellen hinweg Richtung und Orientierung zu geben. Beide Themen müssen jeden Unternehmensbereich durchdringen und strategisch auf die Unternehmensziele ausgerichtet werden.
Wie Unternehmen mithilfe der Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit beitragen
Digitale Technologien können einen wichtigen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten. Das Beispiel des süddeutschen Druckluft- und Pneumatikspezialisten Mader belegt, wie Digitalisierung auch im Mittelstand gelingen kann, welche Erfolgsfaktoren der digitalen Transformation das Unternehmen für sich identifizieren konnte und welche Schritte es ging und geht, um den analogen Energieträger Druckluft in das digitale Zeitalter zu überführen, ihn effizienter zu erzeugen und zu nutzen (Druckluft 4.0). Führungskräfte und Mitarbeiter betrachten hier die Digitalisierung selbst unter Nachhaltigkeitsaspekten - das heißt: Technologien werden mit „Sinn und Verstand“ eingesetzt. „Das gelingt zum Beispiel, indem Kosten und Nutzen in einem großen Kontext abgewogen werden, Technologie nicht um ihrer selbst willen zum Einsatz kommt und die Menschen, die sie nutzen sollen, aktiv eingebunden und gehört werden“, sagt Stefanie Kästle, Mitglied der Geschäftsführung.
Marina Griesinger ist hier zuständig für den Bereich Energieeffizienzmanagement. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Kunden für das Thema Energieeffizienz zu sensibilisieren und den Druckluftverbrauch nachhaltig zu senken. „Gemessen an den gesamten Co2-Emissionen ist die Industrie der zweitgrößte Emittent, neben dem Transport; dies kann man allerdings bereits mit einfachen und kleinen Schritten ändern, wenn die Sensibilität und die Bereitschaft vorliegen. Wir sind erleichtert, dass ein Umdenken in Richtung CO2-Neutralität stattfindet.“ LOOXR ist ein Start-Up, das ebenfalls die Vision hat, einen komplett digitalisierten, hocheffizienten und transparenten Druckluftprozess umzusetzen. Es bietet herstellerunabhängige Softwarelösungen für die gesamte Druckluftkette.
Aktueller Status Quo:
hohe Abhängigkeit vom Hersteller
keine Transparenz
Verbrauch wird auf Basis errechneter/theoretischer Daten bemessen
hohe Investitionskosten
Neuer Status Quo:
100 Prozent Transparenz
Einsparpotentialen von bis zu 50 Prozent der Energiekosten
Service mit einem Pay per Use Model
exakte Verbrauchsdaten über Condition Monitoring
hohe Effizienz durch Predictive Maintenance und Analytics
Helen Landhäußer ist seit der Gründung Growth Manager des Startups. Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums arbeitete sie in den USA und ist für ihr Masterstudium zurück nach Deutschland gekommen. Bei LOOXR ist sie verantwortlich für Business Development und Growth des Startups, mit besonderem Fokus auf die Markteinführung und Anfangsentwicklung. Für sie ist es besonders spannend zu sehen, „wie neue digitale Geschäftsmodelle durch neue Technologien entstehen können, besonders im klassischen produzierenden Gewerbe. Es ist aufregend, dass Visionen Wirklichkeit werden und daran zu arbeiten, wie man diese Technologien einsetzen kann, um Prozesse immer weiterzuentwickeln.“
Solche Beispiele machen Mut und zeigen die positiven Folgen der Digitalisierung. Zweifel und Fragen helfen uns allerdings, nicht nur in Kategorien von Begeisterung und Ernüchterung, von schwarz (digitale Abstinenz) und weiß (vollmundige Verheißungen) zu denken. Vom französischen Philosophen und Essayisten Paul Valéry können wir heute vor allem das Prüfen im Nachhaltigkeits- und Digitalisierungskontext lernen: Er übte und stärkte seinen Geist durch präzises Fragen, das wir in diesen Bereichen ebenfalls nicht vernachlässigen sollten.
Fragen zum Mit- und Weiterdenken:
Wie lässt sich das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit in das gesellschaftliche BEWUSSTSEIN integrieren?
Wie kann als Grundlage auch für soziale und ökologische Nachhaltigkeit im Digitalisierungszeitalter ein ökonomisch nachhaltiger FINANZMARKT gewährleistet werden?
Wie kann ein INDIKATORENSYSTEM aussehen, in dem der Industrie 4.0 und die Anforderungen der Nachhaltigkeitsziele kohärent miteinander verknüpft sind?
Warum kommt in aktuellen Diskussionen über die Weiterentwicklung von NACHHALTIGKEIT und CSR Digitalisierung als Phänomen oder als eigenständige Kategorie so selten vor?
Worin bestehen die NACHHALTIGKEITSDEFIZITE der Digitalisierung in den Bereichen Politik, Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft?
Wie und wo gelingt es aufgrund neuer technologischer und prozessualer Möglichkeiten im Bereich Industrie 4.0 NACHHALTIGKEITSZIELE besser zu erreichen?
Wie lassen sich digitale TECHNOLOGIEN nutzen, um die Gesellschaft für eine nachhaltige Entwicklung zu befähigen?
Weiterführende Informationen:
Ulrike Böhm: Ein Mittelständler digitalisiert sich – Von Erfolgen, Hürden und Nachhaltigkeit. In: CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. Springer-Verlag Berlin Heidelberg. 2. Auflage 2019.
Stefanie Kästle und Werner Landhäußer: Druckluft 4.0 goes green: Herausforderungen, Chancen und innovative Lösungen am Beispiel der Mader GmbH & Co. KG. In: CSR und Digitalisierung. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. Springer-Verlag Berlin Heidelberg. 2. Auflage 2021.