Weltmilchtag: Der Weg zu guter Milch
Die neue Milch-Landkarte als Wegweiser
Der Weltmilchtag am 1. Juni wurde von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und dem Internationalen Milchwirtschaftsverband (IDF) ins Leben gerufen und wird in über 30 Ländern veranstaltet. Slow Food ist eine weltweite Bewegung, die sich für ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem einsetzt. Der Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft, des traditionellen Lebensmittelhandwerks und der regionalen Arten- und Sortenvielfalt sind dabei ebenso wichtig wie eine faire Entlohnung für zukunftsfähig arbeitende Erzeuger*innen sowie die Wertschätzung und der Genuss von Lebensmitteln. Slow Food Deutschland www.slowfood.de präsentiert anlässlich des Weltmilchtags eine Deutschlandkarte, die Verbraucher*innen ab sofort dabei unterstützt, den Weg zu guter Milch zu finden. Sie verzeichnet Höfe, die frische, möglichst naturbelassene Milchen und traditionell hergestellte Erzeugnisse anbieten. Damit ihr Absatz vergrößert werden kann, braucht es Menschen, die Qualitätsmilch für ihren besseren Geschmack und positive Umwelt- und Klimabilanz wertschätzen - und eine Politik, die angemessene Versorgungsstrukturen für Qualitätsmilchen schafft.
Milch ist nicht gleich Milch
Die verschiedenen Herstellungs- und Weiterverarbeitungstechniken entscheiden darüber, ob und wie frisch die Milch wirklich ist und wie sie schmeckt. Die Art der Erzeugung wirkt sich außerdem unterschiedlich auf Tierwohl, Umwelt und Klima aus. Milchen von Kühen aus Weidehaltung (idealerweise aus mutter- oder ammengebundener Kälberaufzucht), mit geringer Verarbeitungstiefe und verkürzten Produktionsketten, haben insgesamt eine erheblich positivere Bilanz als ihre industriellen Pendants von Hochleistungskühen, von denen jede einzelne mehr Milch gibt als ihre vier Urgroßmütter zusammen.
Die Kriterien für Milch und Milcherzeugnisse im Sinne von „gut, sauber, fair“ hat Slow Food 2019 in seiner Studie "Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Milchwirtschaft" veröffentlicht. Betriebe, die als Praxisbeispiele für nachhaltige Milchwirtschaft daran mitgewirkt haben, sind unter anderem auf der neuen Milchlandkarte verzeichnet. Die Regionalgruppen von Slow Food ergänzen künftig weitere Höfe. Ziel ist es, möglichst viele Regionen in Deutschlands abzudecken.
Durch Milchquerverkostungen soll beispielsweise auf den Geschmack guter Milch verwiesen werden. Die geschmacklichen Welten, die zwischen industriellen und naturbelassenen Milchen liegen, werden hier mit allen Sinnen erfasst. Dadurch steigt auch die Bereitschaft, Milchprodukte wieder mehr wertzuschätzen, das eigene Einkaufsverhalten umstellen und angemessene Preise für Milch zu zahlen.
Slow Food fordert die Politik dazu auf, die Rahmenbedingungen für den Vertrieb und Zugang zu naturbelassenen Milchen zu schaffen, denn in Deutschland ist dies erschwert. Vorzugsmilch gibt es z.B. nur selten, weil sich wenige Milchbetriebe den strengen Anforderungen unterziehen. Rohmilch darf dagegen nur direkt ab Hof verkauft werden, etwa über sogenannte Milchtankstellen. Menschen in urbanen Räumen haben allerdings einen sehr beschränkten Zugang zu diesen Milchen. Zum Weltmilchtag 2020 bekräftigt Slow Food die Forderungen aus seiner Grundsatzerklärung zur Rohmilch. Der Erwerb von unbearbeiteter Milch soll möglichst einfach und unbürokratisch gestaltet und gefördert werden. Nur auf dieser Basis haben Verbraucher*innen bundesweit Wahlfreiheit beim Einkauf.
In ihrem Buch „Die Wegwerfkuh“ plädiert Tanja Busse dafür, sich wieder mehr darüber Gedanken zu machen, ob es vielleicht nicht klüger sein könnte, etwas Leistungsdruck aus dem System zu nehmen, um damit effizienter, nachhaltiger und tiergerechter zu wirtschaften. Der Schlüssel dafür liegt in einer Entkopplung von Wertschöpfung und Naturverbrauch. Sie möchte die Vergangenheit nicht wieder heraufzubeschwören, in der das Vieh im Winter im Stall beinahe verhungert wäre. Vielmehr geht es ihr darum, sich heute an das bäuerliche Erbe zu erinnern, zu dem es beispielsweise auch gehört, dass junge Kälber nicht einfach getötet werden.
Das ist auch ein wichtiges Anliegen der Fotokünstlerin Nicole Simon, die ihre Kindheit auf dem Land verbrachte. Sie liebte den Stallgeruch, die Weiden und die Ruhe, die sie bei den Kühen fand. Im Buch „Klimawandel in der Wirtschaft“ beschreibt sie, dass sie ihrem Lieblingsbauern Karl bei seiner Arbeit auf dem Hof oft geholfen hat. Dazu gehörte neben der Bestellung zahlreicher Felder, die er zu jeder Jahreszeit mit dem Traktor abfuhr, auch die Stallarbeit: „Er zeigte mir auch, wie man eine Kuh mit den Händen richtig melkt. Die frische Milch danach zu trinken war ein echter Genuss.“ Sein Motto „Nur glückliche Kühe geben gesunde Milch.“ ist ihr noch immer gegenwärtig. „Heutzutage ist kaum transparent nachvollziehbar, ob Kühe wirklich artgerecht gehalten werden, und mit welchen schädlichen Mitteln die Böden behandelt werden“, sagt sie. Der Boden trägt und nährt uns, aber er hat – wie die Tiere - kaum keine richtige Lobby. Statt von uns gepflegt und behütet zu werden, wird er mit Füßen getreten.
Weiterführende Informationen:
Tanja Busse: Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können. Karl Blessing Verlag, München 2015.
Nicole Simon: Im Augenblick sein: Warum wir Bilder der Nachhaltigkeit brauchen. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.