Donald Trump: Der US-Präsident hat unmittelbar nach seiner Wahl verordnet, dass DEI-Ziele gestrichen werden müssen. Foto: Picture Alliance/dpa (2)
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Weniger Diversität in Unternehmen? „Trump ist gerade für viele Managements eine gute Ausrede“

Immer mehr Unternehmen fahren unter dem Druck aus den USA ihre Diversitätsziele zurück. Doch Donald Trump dürfte nicht der einzige Grund sein, warum es um Diversity stiller wird.

Berlin. Für den US-Präsidenten Donald Trump ist das, was hinter dem Akronym DEI steckt, ein Feindbild. Trump verordnete gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit, dass alle Initiativen der amerikanischen Verwaltungen im Bereich „Diversity, Equity & Inclusion“ gestrichen werden sollten, die verantwortlichen Beamten beurlaubte er. Auch von einigen europäischen Unternehmen verlangte die Trump-Administration per Brief, ihre DEI-Ziele zu streichen.

Unter dem Druck aus den USA knickte wohl auch Softwarehersteller SAPein. Im Mai kassierte der Konzern zentrale Elemente der internen Diversitätspolitik. Auch der Autobauer Volkswagen will die Diversitätsziele der US-Tochtergesellschaften bei künftigen Berechnungen nicht mehr einbeziehen, laut Rechtsvorstand Manfred Döss aus „regulatorischen Gründen“. Und T-Mobile US, Tochter der Deutschen Telekom, strich Anfang April weitgehend alle Diversitätsbemühungen.

Es handelt sich dabei um nachvollziehbare Entscheidungen der Konzernchefs, sagt Ralf Lanwehr, Professor für Management an der Fachhochschule Südwestfalen. Als Topmanagement nicht auf entsprechende Wünsche aus den USA zu reagieren, wäre fahrlässig –gerade bei Unternehmen wie SAP oder T-Mobile, die Geschäfte mit der US-Bundesverwaltung machen.

Aber: Nicht jedes Unternehmen, das gerade seine Diversitätsbemühungen zurückschraubt, sei dazu gezwungen.

Vielmehr stünden zahlreiche Topmanagements in Wahrheit gar nicht mehr hinter den DEI-Bestrebungen ihrer Unternehmen. Denn: Was Vorstände und CEOs früher gern an Initiativen durchgewunken hätten, weil es zunächst nicht viel kostete und sie in einem positiven Licht erscheinen ließ, werde zunehmend aufwändiger und teurer.

Längst impliziere DEI nicht mehr bloß einen höheren Frauenanteil. Es schließe Dimensionen wie soziale Herkunft, LGBTQ oder das Thema „Unconscious Bias“ ein, also unbewusste Vorurteile gegenüber anderen Geschlechtern oder Ethnien.

„Um diese Komplexität wieder loszuwerden, ist Donald Trump gerade für viele Managements eine gute Ausrede“, sagt Lanwehr. Zumal die Initiativen sowieso fast nie von der obersten Führungsriege selbst ausgegangen seien: „DEI-Initiativen kamen meist vom mittleren Management oder der Personal-, ESG- oder Kommunikationsabteilung.“

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Viele DEI-Chefs fürchten Bedeutungsverlust

Auch Alexandra Kammer stellt in ihrem Berufsalltag fest, dass immer mehr Führungskräfte das Thema DEI satt haben. Sie ist Mitgründerin des HR-Tech-Start-ups Aivy. Anfang des Jahres stieg sie dort aus, berät seitdem Konzerne zu DEI-Fragen. Seit Trump öffentlich Stimmung gegen Diversitätsinitiativen macht, signalisierten ihr viele Führungskräfte in Deutschland eine trotzige Haltung, die laut Kammer impliziere: „Ich musste die ganze Zeit korrekt sein – jetzt sagt’s endlich mal jemand.“

Diversity-Chefinnen und -chefs sind schüchterner geworden, wollen weniger konfrontativ wirken, das Feuer nicht unnötig anfachen.
Alexandra Kammer / Beraterin

„Trumps Politik werde in deutschen Führungsriegen mitunter gut aufgenommen“, sagt sie. Das spürten auch diejenigen, die in den Unternehmen für Diversitätsthemen verantwortlich seien: „Diversity-Chefinnen und -chefs sind schüchterner geworden, wollen weniger konfrontativ wirken, das Feuer nicht unnötig anfachen.“ Diejenigen unter ihnen, die noch nicht um ihre Jobs bangten, fürchteten zumindest den internen Bedeutungsverlust.

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Kammer berichtet, dass sie von ihrer Unternehmenskundschaft mittlerweile oft gebeten werde, den Begriff „Diversität“ aus den Titeln ihrer Coachings zu streichen. „Häufig werde ich jetzt gefragt, ob wir die Initiativen nicht umbenennen können.“ Aus einem Diversity-Training solle dann plötzlich ein Leadership-Seminar werden, „weil das unkomplizierter zu verargumentieren sei“.

Mühsalen von Diversität wurden verschwiegen

Hätte verhindert werden können, dass DEI-Themen bei Unternehmensbossen derart in Ungnade fallen? Dutzende Studien belegen schließlich, dass Diversität, Gleichstellung und Inklusion positive Effekte hat – zum Beispiel, wenn es darum geht, Innovationen im Unternehmen zu fördern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig zu binden und neue Talente für sich zu gewinnen.

„Das Problem ist, dass die Leute all das nicht mehr hören können, weil es immer nur die halbe Wahrheit war“, sagt Management-Professor Lanwehr.

Es habe in den vergangenen fünf Jahren zu viel „Happy Talk“ gegeben: Beratungen, Personalexperten und Keynotespeaker hätten ausschließlich über die positiven Aspekte von Diversität gesprochen. „Dadurch fühlten sich die Leute irgendwann veräppelt. Das Thema ist nämlich gerade für Führungskräfte auch mit Mühsalen verbunden“, sagt Lanwehr. Ein Beispiel: Wer ein diverses Team manage, müsse auch mit mehr Konflikten und Reibungen umgehen. Auch das müsste offen angesprochen werden.

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DEI bekommt Konkurrenz von drängenden „Megathemen“

Fragt man Klaus Schweinsberg, ist das, was in deutschen Unternehmen gerade passiert, gar keine Abkehr von DEI-Themen. Er beobachtet vielmehr eine „Fokussierung aufs Wesentliche“. Schweinsberg leitet das Zentrum für Höhere Führung, als langjähriger Berater diverser CEOs aus Konzernen und Mittelstand hat er Einblicke in viele deutsche Chefetagen.

„Zu 99 Prozent sind Managerinnen und Manager in Deutschland gerade mit den Märkten beschäftigt, die ihnen davonrauschen“, sagt er. Sie stünden vor gewaltigen Sanierungsaufgaben. „Wenn Führungskräfte gerade mit der Personalabteilung zusammensitzen, geht es nicht um Diversity, sondern um Betriebsschließungen oder Stellenabbau.“ Wer in der aktuellen wirtschaftlichen Lage mit DEI-Themen komme, fange sich von vielen Chefs schnell Bemerkungen ein wie: „Wir haben gerade wirklich andere Probleme.“

Gemessen an der unternehmerischen Wirklichkeit, bekomme DEI tatsächlich zu viel Aufmerksamkeit – so sieht es auch Management-Professor Lanwehr „Natürlich ist Diversity wichtig“, sagt er. „Aber Unternehmenslenkerinnen und -lenker haben gerade ganz andere Megathemen auf dem Tisch.“

Die Wirtschaft stecke im Abschwung, ganze Industrien wie die Autobranche müssten sich neu erfinden, die Bürokratie laufe aus dem Ruder und die Infrastruktur im Land sei desaströs. Von der Bedeutung her spielten all diese Probleme „in einer anderen Liga“ als DEI.

Momentan komme hinzu, dass der Arbeitsmarkt die Unternehmen gerade in eine Lage versetze, in der sie DEI-Themen eher schleifen lassen können. Viele Unternehmen haben Einstellungsstopps verhängt, stehen unter Kostendruck. Für neue Bewerberinnen und Bewerber attraktiv zu wirken, ist da keine Priorität.

Mittelfristig dürfte sich das wieder ändern: Demografischer Wandel und Fachkräftemangel werden aller Wahrscheinlichkeit nach dafür sorgen, dass Kandidaten wieder in eine stärkere Position geraten als Arbeitgeber. „Spätestens sobald es in Deutschland wieder einen Arbeitnehmermarkt gibt – so wie noch vor wenigen Jahren – müssen sich Unternehmen auch wieder stärker um DEI-Themen kümmern“, sagt Forscher Lanwehr.

CEO-Berater Schweinsberg schätzt: Nachhaltig etablierten sich in Unternehmen sowieso nur die Themen, die aus den Märkten kämen. Der Arbeitsmarkt werde Unternehmen früher oder später zu einer Einsicht zwingen: „Kein internationales Talent wird in ein Unternehmen wechseln, wenn es sich dabei um eine total verkrustete Macho-Bude handelt.“

Bis diese Gewissheit einsickere, rät er CEOs dazu, nicht in vorauseilendem Gehorsam auf politische Entscheidungen zu reagieren, so wie im Falle von Trumps Anti-DEI-Politik. „Oft genug hat überhaupt keiner danach gefragt.“ Zurückhaltung sei in alle Richtungen des politischen Meinungsspektrums geboten, sagt Schweinsberg. Auch von den Unternehmen, die gemäß dem Zeitgeist vor einigen Jahren das Ziel ausgerufen hätten, „DEI-Weltmeister“ werden zu wollen, habe er damals nicht viel gehalten.

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Weniger Diversität in Unternehmen? „Trump ist gerade für viele Managements eine gute Ausrede“

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