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Wenn die Digitalisierung ein Restaurantbesuch wäre …

Gruß aus der Küche

Die Digitalisierung ist nicht nur mit radikalen technologischen und kulturellen Umbrüchen verbunden, sondern verändert auch die Art, wie wir denken, zusammenleben und arbeiten. Um sie nachhaltig gestalten zu können und nicht nur auf sie zu reagieren, müssen unsere Macherqualitäten gestärkt und die Trennung zwischen Theorie und Praxis aufgehoben werden. Wer angesichts der aktuellen digitalen Herausforderungen resigniert, kann bestenfalls reagieren, wer selbst nach Auswegen und Lösungen sucht, wird kreativ und agiert. Worauf es künftig ankommt, ist, selbst zu kochen und uns die Speisen nicht liefern zu lassen. Dazu passt auch das Bild von Ralf Kleber, Amazon-Chef Deutschland, der vor einiger Zeit im manager magazin sagte: „Wenn die Digitalisierung ein Restaurantbesuch wäre, dann wären wir gerade mal beim Gruß aus der Küche.“

Es ist dringlich, die Zutaten der Digitalisierung zu kennen und selbst zu verarbeiten. Von Amazon lassen sich einige Grundprinzipien lernen. Bereits Ende der 1990er-Jahre formulierte Gründer Jeff Bezos ein schlichtes „Rezept“:

• Kümmere dich obsessiv um deine Kunden.

• Erfinde und vereinfache.

• Mache jeden Mitarbeiter zum Miteigentümer.

Weitere Zutaten für den Erfolg von Amazon:

Das Unternehmen vermeidet Selbstzufriedenheit und bleibt stets innovativ wie ein Startup, weil Zufriedenheit zu Trägheit führen würde. An der eigenen Vision wird zäh festgehalten – doch in der Umsetzung ist das Unternehmen stets flexibel. Es wird sehr viel Zeit investiert, um die eigenen Werte zu überprüfen und zu gewährleisten, dass sie wirklich gelebt werden. Es wird kein Wert auf „Präsentationsakrobatik à la Powerpoint“ (manager magzin) gelegt. Der Kundennutzen wird einfach präzise zu Papier gebracht. Innovationen entstehen meistens in Teams. Es wird ständig experimentiert und nicht auf die eine große Idee gesetzt. Alle Beteiligten agieren im Bewusstsein, dass es ständig etwas gibt, das das Unternehmen zerstören kann. Es wird sehr effizient, kundenzentriert, standardisiert und steueroptimiert gearbeitet und versucht, immer mehr Waren über die eigene Wertschöpfungskette abzudecken.

Für sein Onlinegeschäft wählte Jeff Bezos zunächst Bücher - inzwischen kann bei Amazon fast alles bestellt werden. "Was den Buchhändlern zustößt", sagte er damals, als sich die Pleiten in Amerika häuften, "ist nicht Amazon. Es ist die Zukunft." Aufgrund des digitalen Wandels haben die Händler ihr Wissensmonopol über Sortimente, Produkte und Preisgefüge heute verloren. Wer noch immer an Hierarchien, Statusdenken und Silo-Strukturen festhält, wird im heutigen dynamischen Wettbewerb nicht mithalten können. Worauf es ankommt, ist, dass in kleinen Einheiten rasch gehandelt und groß gedacht wird. Frank Thelen, einer der Investoren und Juroren der VOX-Gründershow, der das Wagniskapital seiner VC-Firma e42 unter anderem in deutsche Startup steckt, beschäftigt sich deshalb mit der Frage, wie wir dieses große Denken, das auch Amazon ausmacht, in die Köpfe unserer Ingenieure bekommen, denn sie werden unser Land „in die Zukunft führen.“ Die Schwierigkeit ist für Frank Thelen das Mindset, denn viele Führungsverantwortliche definieren sich über ihre Funktion und nicht über das, was sie tun: „Die sitzen auf Vorstandsetagen mit fünf Sekretärinnen vor der Tür, die die Wirklichkeit draußen halten." Was wir in Deutschland brauchen, sei eine Mentalität wie die von Jeff Bezos: „Sag mir, was mich morgen töten wird, dann mache ich es vorher selbst groß."

Wir können es uns nicht leisten, darauf zu warten, dass Entwicklungen an uns vorüberziehen, denn wir sind ein Teil davon. Deshalb ist es wichtig, neue Denkweisen, Produkte oder Prozesse jetzt aufzubauen bzw. zu etablieren. Voraussetzung dafür ist allerdings, vorher gründlich nachdenken sowie bestehende Funktionsweisen und Mechanismen zu verstehen und mögliche Schwachstellen oder neue Aspekte auszumachen.

Digitalisierung beginnt im Kopf. Das schmeckt allerdings nicht jedem.

Weiterführende Informationen:

Philipp Alvares de Souza Soares und Martin Mehringer: Rücksichtslos in Seatlle. In: manager magazin (April 2017), S. 52-57.

Henrik Hielscher: Im Hauptquartier des Shoppings. Amazon. In: WirtschaftsWoche 29 (14.7.2017).

CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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