Wenn selbst Pinguine Strafzölle zahlen – willkommen im neuen US-Handelskrieg
Das vulkanische Archipel Heard und McDonald-Inseln liegt rund 4000 Kilometer südwestlich von Australien. Keine Straßen, keine Häfen, keine Einwohner – und doch taucht es in einer Liste des US-Handelsministeriums auf: als Ziel verschärfter Zölle.
Laut Weltbank exportierte das Gebiet im Jahr 2022 Produkte im Wert von 1,4 Millionen US-Dollar in die Vereinigten Staaten. Klingt absurd? Willkommen im neuen Handelskrieg. Was zunächst wie eine Skurrilität aus der Welt der internationalen Logistik anmutet, ist in Wahrheit Teil einer deutlich schärferen Strategie: Die USA haben Anfang April umfassende Zölle auf Importe von ihren wichtigsten Handelspartnern angekündigt – darunter China, die EU, Japan und das Vereinigte Königreich.
In Summe erreicht das US-Zollniveau damit den höchsten Stand seit über einem Jahrhundert. Und die Kapitalmärkte? Reagierten prompt. Der Dow Jones verlor am Tag nach der Verkündung fast 5 Prozent, der US-Dollar legte gegenüber dem Euro deutlich zu.
Regierungsmilliarden, Märkte in Aufruhr
Die USA haben also wie angekündigt ein umfassendes Zollpaket geschnürt. Ein universeller Basistarif von 10 Prozent für nahezu alle Importe tritt ab dem 5. April in Kraft. Weitere reziproke Zölle (je nach Herkunftsland) folgen am 9. April. Die EU soll mit 20 Prozent belegt werden, das Vereinigte Königreich mit 10 Prozent, Japan mit 24 Prozent – und China trifft es mit satten 34 Prozent obendrauf zu den bisherigen 20 Prozent.
Nur wenige Sektoren – etwa Halbleiter, Gold oder Pharma – wurden ausgenommen. Gleichzeitig verspricht US-Präsident Donald Trump Steuersenkungen und Deregulierung. Es ist eine Art wirtschaftspolitischer Doppelschlag. Erst Druck durch Zölle, dann Entlastung durch fiskalische Impulse. Das Ziel: Amerika als Produktionsstandort stärken. Die Realität: Märkte im Alarmmodus, globale Lieferketten unter Spannung.
Handelskrieg reloaded – was diesmal anders ist
Wer die aktuellen Entwicklungen mit den Schlagabtauschen vergangener Jahrzehnte vergleicht, stellt fest: Dies ist kein klassischer Zollkonflikt à la Reagan gegen Japan. Es geht nicht mehr nur um Marktanteile für Autos oder Maschinen. Es geht um Systemkonkurrenz, um geopolitischen Einfluss, um strategische Rohstoffe – und letztlich um die wirtschaftspolitische Souveränität der USA in einer multipolaren Welt.
Trump spielt nicht Schach, sondern Poker. Und er erhöht den Einsatz, bevor andere überhaupt die Karten gesehen haben. Die Zölle sind dabei nur der erste Zug. Was danach kommt, könnte für die Kapitalmärkte mindestens genauso bedeutsam werden: Steuersenkungen, Deregulierung, Infrastrukturprogramme. All das soll die eigene Wirtschaft immun machen gegen äußere Einflüsse, eine Art wirtschaftlicher Isolationismus 2.0.
Für Europa ist das ein Weckruf. Denn es geht nicht nur um Exporte. Es geht um die Frage, ob wir in einem globalen Wirtschaftssystem mitspielen, das nach unseren Regeln funktioniert – oder nach den Regeln anderer. Und: Ob wir dafür strategisch entsprechend aufgestellt sind.
Was bedeutet das für die Kapitalmärkte?
Zölle sind nichts anderes als Steuern auf grenzüberschreitenden Handel. Sie verteuern Importe, verzerren Preise und führen kurzfristig oft zu höherer Inflation. Für die USA könnte das heißen: steigende Verbraucherpreise, Druck auf die Unternehmensmargen und potenziell höhere Zinsen.
Für Europa und Asien droht ein Nachfrageeinbruch. Besonders exportorientierte Branchen – etwa die deutsche Automobilindustrie oder japanische Maschinenbauer – könnten unter der neuen US-Politik leiden. Der DAX zeigte sich bereits schwankend, während asiatische Leitindizes abrutschten. Gleichzeitig gewinnen protektionistische Märkte und Unternehmen mit starker Binnenorientierung an Attraktivität.
Auch der Dollar zeigt Muskeln. Als sicherer Hafen in Zeiten geopolitischer Unsicherheit legte er gegenüber dem Euro zu – das schwächt die europäische Exportbilanz zusätzlich.
Wie gewinnt man einen Handelskrieg? Ein Blick zurück zu Reagan.
Die Frage klingt martialisch – und wird dennoch mit aller Ernsthaftigkeit gestellt: Kann man einen Handelskrieg überhaupt „gewinnen“?
Ronald Reagan, der 40. Präsident der Vereinigten Staaten, versuchte es in den 1980er-Jahren. Damals war Japan das Land, das den USA mit massiven Exporten von Autos, Halbleitern und Elektronik die Stirn bot. Reagan reagierte mit einer Mischung aus Importzöllen, Quoten und einem diplomatischen Druckaufbau auf japanische Unternehmen, etwa mit der Forderung, US-Produktion vor Ort aufzubauen. Kurzfristig hatte er damit Erfolg: Amerikanische Werke entstanden, japanische Unternehmen investierten in Kentucky und Ohio, und die US-Autoindustrie atmete auf.
Doch langfristig? Stiegen die Preise für Konsumenten, litten Handelsbeziehungen, und das strukturelle Wettbewerbsproblem der US-Wirtschaft wurde nicht gelöst. Die USA kauften einfach woanders ein – oder produzierten zu höheren Kosten selbst. Die Globalisierung fand ihren Weg, nur eben mit neuen Spielern.
Diese Lehre bleibt: Zölle mögen punktuell schützen, aber sie schaffen keine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Sie sind wie ein Pflaster auf einer chronischen Wunde – sichtbar, kurzfristig wirkungsvoll, aber keine Therapie. Märkte reagieren auf Ankündigungen, Unternehmen aber treffen ihre Entscheidungen über Jahrzehnte hinweg.
Heute, in einer noch stärker vernetzten Weltwirtschaft, sind die Nebenwirkungen gravierender. Lieferketten sind global verwoben, Produkte bestehen aus Bauteilen aus fünf Kontinenten. Ein Zoll auf chinesische Mikrochips kann deutsche Maschinen verteuern. Ein Strafzoll auf EU-Autos trifft nicht nur Wolfsburg, sondern auch Zulieferer in Tennessee. Das macht Handelskonflikte zur hochkomplexen Gleichung.
Wer gewinnt also?
Vielleicht niemand. Zumindest nicht im klassischen Sinn. Man kann sich schützen, verhandeln, Allianzen stärken. Reagan verstand immerhin, dass Wirtschaftspolitik auch Diplomatie ist. Er kombinierte Zölle mit Abkommen, etwa dem „Plaza Accord“ von 1985, der den Dollar schwächte und die Handelsbilanz der USA verbesserte. Das war kein Zufall, sondern geopolitische Strategie.
Trumps aktueller Kurs wirkt dagegen weniger abgestimmt. Zölle werden einseitig verkündet, ohne flankierende Maßnahmen. Verhandlungen werden medial inszeniert, aber nicht dauerhaft verankert. Ob das langfristig trägt, bleibt fraglich.
Aus meiner Sicht ist entscheidend, ob es gelingt, aus Zöllen eine Tür zu besseren Handelsbedingungen zu machen – und nicht eine Mauer, hinter der sich wirtschaftlicher Protektionismus verschanzt.
Trump spielt Poker und kein Schach. Politik und Populismus – was kommt jetzt?
Trumps Botschaft lautet: „Ich beschütze amerikanische Jobs.“ Doch der Preis könnte hoch sein. Denn Zölle erzeugen Gegenzölle. China, die EU und andere Partner könnten nun ebenfalls nachziehen. Erste Signale aus Brüssel und Peking deuten genau darauf hin.
Das bedeutet: Die Unsicherheit bleibt hoch. Unternehmen brauchen Planbarkeit – doch aktuell dominieren politische Schlagzeilen und Twitter-Statements die Nachrichtenlage. Für Investoren heißt das: wachsam bleiben, breit diversifizieren, Risiken absichern.
Zwischen den Zeilen
Zölle sind mehr als nur ein wirtschaftspolitisches Instrument. Sie sind ein Signal – ein Machtbeweis, ein Druckmittel, ein kalkulierter Tabubruch. Und sie wirken, selbst wenn sie noch gar nicht in Kraft sind. Allein die Ankündigung reicht oft, um Kapitalmärkte nervös werden zu lassen, Investoren zurückzuhalten und ganze Lieferketten ins Wanken zu bringen. Doch je lauter das Signal, desto größer auch die Verunsicherung.
Es ist genau diese Verknüpfung, die den Kapitalmarkt so spannend – und so herausfordernd – macht. Die große Kunst besteht darin, die Schlagzeilen von den Signalen zu trennen. Nicht jeder Tweet ist eine Strategie. Nicht jede Ankündigung ein Game-Changer. Aber jedes Ereignis ist ein Puzzlestück im größeren Bild.
Aus meiner Sicht zeigt sich in solchen Phasen, wie wichtig Gelassenheit und Struktur im Portfolio sind. Wer breit investiert ist – über Regionen, Sektoren und Anlageklassen –, kann solche geopolitischen Wellen besser abfedern. Wer dagegen zu sehr auf kurzfristige Entwicklungen setzt, läuft Gefahr, von den Pinguinen auf den McDonald-Inseln überholt zu werden.
Denn eines ist für mich sicher: Der nächste Tweet kommt bestimmt. Und mit ihm vielleicht der nächste Zoll oder sogar wieder die Streichung von Zöllen.
