Ein guter Private Banker ist heute wertvoller als eine zweite Immobilie | © Getty Images
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Wenn Vertrauen Zinsen schlägt – Warum immer mehr Menschen den Banken misstrauen und ihr Geld lieber selbst verwalten

Immer mehr Anleger ziehen ihr Geld aus klassischen Bankprodukten ab und suchen selbstbestimmte Wege der Geldanlage. Was steckt hinter dieser neuen Distanz?

Nach dem kurzen Comeback der Zinsen zwischen 2022 und 2024 ist die Euphorie verflogen. Die EZB hat nach der konjunkturellen Schwächephase im Winter 2024 erneut den Leitzins gesenkt – per Juni 2025 liegt der Einlagenzins bei 2,00 Prozent (Quelle: EZB, 11. Juni 2025). Viele Banken bieten heute nur noch zwischen 0,5 Prozent und 2 Prozent aufs Tagesgeld – je nach Bindung, Volumen oder Status des Kunden.

Trotzdem zeigt sich ein klarer Trend: Viele Anleger bleiben zögerlich. Das Misstrauen gegenüber klassischen Banken sitzt tief – auch weil in den vergangenen Jahren Skandale, Systemumstellungen, IT-Ausfälle oder die schleppende Digitalisierung bei vielen Instituten für Frust sorgten. Immer mehr Menschen verwalten ihr Geld lieber selbst – ob per App, über ETFs oder schlicht in bar.

Selbst ist der Anleger – oder doch nicht ganz?

Die neue Unabhängigkeit hat viele Gesichter. Während junge Sparer ihr Depot per Smartphone organisieren, kaufen manche Ältere lieber Goldmünzen beim Händler vor Ort. Dahinter steckt oft das gleiche Motiv: Die Kontrolle über das eigene Geld behalten. Laut dem World Gold Council stieg die physische Goldnachfrage privater Haushalte in Deutschland 2024 um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr – ein Rekordniveau.

Doch mit wachsendem Vermögen verändert sich auch die Erwartung. Wer sieben- oder achtstellige Summen zu verwalten hat, sucht nicht einfach nur Informationen – sondern Dialog. Denn plötzlich geht es nicht mehr nur um Zinssätze, sondern um komplexe Fragen: Wie strukturiere ich mein Vermögen steuerlich sinnvoll? Was passiert mit meinen Anlagen, wenn ich mich zurückziehe? Wie sichere ich meine Familie ab – und was bedeutet das geopolitisch für meine Allokation?

Vertrauen ist der neue Zins

Es sind nicht die Zinsen, die heute über Vertrauen entscheiden – es ist das Gefühl, verstanden zu werden. Ich erlebe es immer wieder: Kunden, die vor 20 Jahren noch stolz auf ihre Depotzinsen schauten, fragen heute als Erstes: „Verstehen Sie meine Situation wirklich?“ Und diese Frage ist kein Small Talk. Denn viele haben erlebt, dass Empfehlungen nicht zu ihrer Lebensrealität passten. Dass Produkte zu komplex waren. Dass Berater wechselten – und mit ihnen auch die Haltung.

Gerade in unsicheren Zeiten wie aktuell –  mit Immobilienpreisen auf Achterbahnfahrt, volatilen Aktienmärkten (der DAX erreichte am 4. Juni 2025 ein neues Allzeithoch von 24.340 Punkten, liegt aber seither wieder bei rund 23.900 Punkten; Quelle: Reuters, 4. Juni 2025) und geopolitischem Dauerrauschen – wächst der Wunsch nach Konstanz. Nach einem Menschen, der nicht jede Woche ein neues Produkt empfiehlt, sondern Klarheit schafft. Denn Vertrauen, das weiß jeder Vermögende, ist keine Einlage mit Kündigungsfrist. Es ist ein Langfristkonto, das nur durch Gespräche wächst.

Vertrauen ist keine Zahl – sondern eine Beziehung 

Vertrauen entsteht nicht auf dem Papier. Es wächst über Jahre, oft im Stillen. Beim zweiten Kaffee. Beim gemeinsamen Gespräch über das Familienunternehmen, die Enkel oder das Haus auf Mallorca. Und manchmal auch beim ehrlichen Satz: „Ich weiß es nicht, aber ich finde es für Sie heraus.“

In einer Zeit, in der dank künstlicher Intelligenz automatisierte Robo-Berater auf dem Vormarsch sind, ist echte Beziehung ein rares Gut. Und paradoxerweise: Je digitaler die Welt wird, desto stärker wächst die Sehnsucht nach dem Persönlichen.

Wenn der Patriarch geht …

Wenn ich mit sehr vermögenden Familien arbeite, begegnet mir häufig dieselbe Dynamik: ein erfolgreicher Patriarch – klug, erfahren, entscheidungsstark. Ein Mann (seltener eine Frau), der sein Unternehmen aufgebaut, Verantwortung getragen und das Familienvermögen geformt hat. Und nun? Steht er vor der schwersten aller Aufgaben: dem Loslassen.

Was passiert mit dem Lebenswerk, wenn die operative Verantwortung endet? Wer übernimmt – und wie? Und: Wie verwaltet man plötzlich Vermögen statt Verantwortung?

Gerade in der Übergabephase – wenn Kinder, Enkel oder Stiftungen eine Rolle spielen – wird die strategische Vermögensstruktur zur neuen Unternehmerentscheidung. Es geht nicht mehr um Produktion oder Vertrieb – sondern um Vermögensallokation, um Governance, um Timing.

Und häufig auch um psychologische Sicherheit: Viele Patriarchen bleiben Entscheider, aber auf einer neuen Ebene. Sie lernen, dass gute Geldanlage nicht in Tagesgeld oder Immobilien beginnt, sondern in Vertrauen, Transparenz – und einem Gegenüber, das zuhört.

Zwischen den Zeilen

Es ist fast ein Paradox: Die Zinsen sind zurück – und doch kehrt kaum jemand zurück zur Bank. Nicht zur Filiale, nicht zum Berater, nicht zur Einlage. Denn was in vielen Depots fehlt, ist nicht Rendite – sondern Beziehung.

Ich erlebe das in Gesprächen immer wieder: Vertrauen ist für vermögende Menschen keine nette Zugabe, sondern Grundbedingung. Sie brauchen keine Produktshow. Sondern jemanden, der den Weg mitgeht. Der nicht nur versteht, was sie haben, sondern wofür sie es halten.

Deshalb glaube ich: Vertrauen ist heute mehr wert als Zinsen. Weil es bleibt, wenn die Märkte schwanken. Weil es trägt, wenn Verantwortung übergeben wird. Und weil es nicht per App klickbar ist – sondern in Gesprächen wächst.

Wenn Vertrauen Zinsen schlägt – Warum immer mehr Menschen den Banken misstrauen und ihr Geld lieber selbst verwalten

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Sönke Niefünd schreibt über Kapitalmarkt, Börse, Kapitalanlage, Banken & Beratung

Insider für Kapitalmarkt, Börse und Vermögensanlage. Mit Leidenschaft für Kapitalmärkte und über 20 Jahren Erfahrung im Bankensektor und der Beratung anspruchsvoller vermögender Kunden teile ich hier fundierte Einblicke, praxisnahe Markteinschätzungen und Trends aus der Finanzwelt.

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