„Wenn wir es richtig machen, werden die USA immer weniger gebraucht“
Airbus Defence und das Drohnen-Start-up Quantum kooperieren. Im Doppelinterview erklären die Chefs, warum sie jetzt die Chance sehen, in Deutschland eine neue Hightech-Industrie aufzubauen.
Paris. Am liebsten hätten sich Michael Schöllhorn und Florian Seibel wohl selbst ins Cockpit eines der Flieger oder Hubschrauber gesetzt und wären losgeflogen. Glaubt man den beiden ehemaligen Piloten der Bundeswehr, dann könnten sie es wohl auch noch. Doch die Manager sind auf der Pariser Air Show, um über ihr Geschäft zu reden. Dort geben sie dem Handelsblatt ein Interview.
Schöllhorn ist Chef der Rüstungssparte des weltgrößten Luftfahrtkonzerns, Airbus Defence and Space. Seibel hat das Drohnen-Start-up Quantum Systems mitgegründet. Beide Unternehmen haben eine Kooperation beschlossen und planen, ein gemeinsames Ökosystem für die Luftaufklärung zu entwickeln.
Im Gespräch mit dem Handelsblatt sprechen die Manager über die Ziele ihrer Zusammenarbeit, die Bedeutung von Drohnen in der modernen Kriegsführung und über die Notwendigkeit, dass Europa autonomer wird. „Auf die USA können wir uns nicht mehr so verlassen wie in der Vergangenheit“, sagt Seibel.
Doch wie realistisch ist es, dass Deutschland und Europa tatsächlich unabhängig von den USA werden und eine eigene Sicherheitsarchitektur aufbauen? Die USA werden „immer weniger“ gebraucht, ist sich Schöllhorn sicher – „wenn wir es richtig machen“.
Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Michael Schöllhorn und Florian Seibel:
Herr Schöllhorn, Herr Seibel, für Aufsehen sorgte die ukrainische Drohnenoperation „Spinnennetz“, bei der ins Land geschmuggelte Drohnen Dutzende Kampfflugzeuge tief im Innern Russlands getroffen hatten. Israel soll wiederum eine geheime Drohnenbasis im Iran errichtet haben. Werden solche Handlungen zum Kriegsalltag?
Florian Seibel: Von den Geheimdiensten ist es eine Meisterleistung, so etwas auf fremdem Territorium vorzubereiten und durchzuführen. Das ist eine veränderte Taktik, von der wir noch mehr sehen werden. Die Operation offenbart gleichzeitig ein Problem. Die gesamten Nuklearanlagen der USA stehen unter freiem Himmel, was eine Drohnenabwehr erschwert. Die Chinesen haben dafür Bunker gebaut.
Michael Schöllhorn: Drohnen werden überall dort Einzug halten, wo heutzutage ausschließlich bemannte Flugzeuge die Kernaufgaben übernehmen. Das betrifft auch Einsätze tief im gegnerischen Gebiet.
Sind wir also längst beim Drohnenkrieg angekommen?
Schöllhorn: Drohnen sind zu einem festen Bestandteil in der militärischen Einsatzplanung geworden. Sie spielen auf dem immer komplexer werdenden Gefechtsfeld eine bedeutsame Rolle. Allerdings schreitet die Automatisierung im gesamten militärischen Spektrum voran. Wir werden autonom agierende Geräte auf dem Boden, unter Wasser und in der Luft sehen.
Airbus Defence und Quantum Systems gehen jetzt eine Partnerschaft ein, um gemeinsame KI-Lösungen für die Luftaufklärung auf den Markt zu bringen. Wer bringt was ein?
Schöllhorn: Die Zukunft des Luftkampfes ist vernetzt und automatisiert. Das ist nicht trivial. Dafür braucht es die geballte Brainpower von Unternehmen wie Quantum Systems und Airbus. Wir beschäftigen uns seit Jahren mit der Vernetzung von bemannten und unbemannten Flugzeugen. Die Themen Schwarm und Masse kommen noch dazu. Wir bei Airbus bringen komplexere Luftfahrtgeräte mit, Quantum Systems die Agilität und die kleineren Drohnen. Zusammen schauen wir, wo genau die Schnittstellen sind und wie wir die Übergabe der Daten gestalten. Beide Unternehmen ergänzen sich gut.
Seibel: Auf Arbeitsebene gibt es viele Synergien und Dinge, die man nicht doppelt machen muss. Wir können im Kleinen viel leichter testen.
Wer stellt eigentlich mehr Drohnen her? Quantum Systems oder Airbus?
Schöllhorn: Sie können den Blick mal nach draußen auf unsere ausgestellten Fluggeräte in Paris werfen. Wir haben viele Drohnen im Angebot.
Aber die sind doch noch gar nicht im Einsatz.
Schöllhorn: Einspruch! Die Hälfte ist im Einsatz, die andere Hälfte ist in der Entwicklung, wie beispielsweise die Eurodrohne.
Gemeinsam klappt das also besser?
Seibel: Ich glaube – und da spreche ich jetzt eher für Airbus –, es geht auch um eine strategische Aussage. Airbus sagt mit dieser Absichtserklärung: Die Domäne Luft gehört uns.
Schöllhorn (lacht): Wir sind schon so gut abgestimmt, dass er die Airbus-Strategie erläutern kann.
Seibel: Es ist wichtig, dass wir das in Europa machen. Auf die USA können wir uns nicht mehr so verlassen wie in der Vergangenheit. Die Frage ist nun, welche Technologien wir aus Europa heraus in der Welt verkaufen können.
Schöllhorn: Das ist die Chance für Deutschland, eine Hightech-Industrie aus der Verteidigungsbranche heraus aufzubauen, wie es sie im Silicon Valley und in Israel seit vielen Jahren gibt.
Reicht das Tempo denn dafür aus?
Seibel: Das Tempo bringen wir mit. Die Investoren sind auch bereit, das zu finanzieren. Wir benötigen jetzt nur Aufträge. Der Bund muss sich verpflichten und der Industrie die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten. Dafür muss der Bund bereit sein, die Fähigkeit zum Ausbau der Produktion zu finanzieren. Denn im Lager braucht man Drohnen nicht. Da sind sie zu schnell veraltet.
Airbus Defence und Quantum Systems können jetzt zeigen, dass Deutschland schnell sein kann. Wann kommt denn die erste Anwendung aus der neuen Zusammenarbeit auf den Markt?
Schöllhorn: In wenigen Monaten werden wir erste Anwendungen zeigen können. Es geht darum, eine offene Systemarchitektur zu schaffen.
Seibel: Andere Kunden wie die Bundeswehr sollen sich ohne Probleme anbinden können. Ziel könnte es auch sein, Mobilfunkdaten in Echtzeit einzublenden, um einzelne Personen auf dem Gefechtsfeld verfolgen zu können.
Auch weil Airbus Kapital mitbringt?
Schöllhorn: Wir haben uns an Quantum Systems beteiligt. Das sehen wir als strukturelle Verschränkung. Oftmals werden Impulse, die auf andere Art und Weise von außen kommen, nur schwer akzeptiert. Eine strukturelle Verschränkung hingegen sendet ein starkes Zeichen an die Teams, die lautet: Seht die Zusammenarbeit als Chance und eine wichtige Zukunftsaufgabe!
Wie hoch ist der Anteil von Airbus an Quantum Systems?
Schöllhorn. Das möchte ich ungern kommentieren, außer so viel: Wir werden das tun, was nötig ist, um eine gute Software auf den Markt zu bringen.
Airbus Defence arbeitet nicht nur mit Quantum Systems zusammen, sondern auch mit der KI-Rüstungsfirma Helsing. Beißt sich das?
Schöllhorn: Wir arbeiten mit Helsing beim Eurofighter zusammen. Die Art der strategischen Zusammenarbeit mit Quantum Systems ist allerdings ein Novum für uns.
Herr Schöllhorn, bei der Zusammenarbeit mit Quantum Systems geht es auch um die „Combat Cloud“, also das Betriebssystem des Rüstungsprojekts „Future Combat Aircraft System“ (FCAS), an dem Airbus mit dem französischen Rüstungskonzern Dassault arbeitet. Zuletzt gab es Streit mit Dassault über Zuständigkeiten. Wie geht es weiter?
Schöllhorn: Wir stehen weiter zu FCAS, allen bisherigen Vereinbarungen und all dem, was damit für Europa verbunden ist. Die kommenden Monate bis Jahresende werden entscheidend sein, damit wir zügig in die Phase 2 des Programms (Anmerkung der Redaktion: Entwicklung eines Prototyps) eintreten können. Angesichts der Bedrohungslage und der Beschleunigung des technologischen Fortschritts ist das essenziell.
Europa könnte schon bald nicht mehr auf die USA angewiesen sein
Es gibt seit einiger Zeit eine Debatte über einen Drohnenwall an der Nato-Ostflanke. Ist das eine gute Idee?
Schöllhorn: Ich finde den Begriff „Drohnenwall“ unpassend. Das erzeugt in den Köpfen der Menschen ein Bild, dass Hunderttausende von Drohnen für einen Einsatz wie eine Wand aufgetürmt werden. Stattdessen sollte man sich das ganze Szenario eher modular vorstellen. Es wird ein Netzwerk von verschiedenen Drohnen geben, aber auch anderen Überwachungseinheiten wie Satelliten.
Werden die USA dann noch gebraucht?
Michael Schöllhorn: Wenn wir es richtig machen, immer weniger.
Florian Seibel: Ich hätte jetzt „Nein“ gesagt.
Schöllhorn: Ich spreche jetzt nicht nur als Airbus-Manager, sondern auch als ehemaliger Pilot, der in den USA ausgebildet wurde. Ich hoffe, dass wir die US-Amerikaner noch eine Weile an unserer Seite haben. Aber deren Unterstützung wird weniger werden. Insofern müssen wir alles tun, um unsere Sicherheit selbst zu gewährleisten. Dafür müssen wir jetzt aufs Gaspedal treten, denn keiner weiß, wie viel Zeit wir noch haben. Fest steht: Je früher wir dazu befähigt sind, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sich traut, unsere Grenzen zu testen.
Was allerdings hinzukommen muss, ist die Geschwindigkeit über die Software.Michael Schöllhorn, CEO Airbus Defence and Space
Der Druck in der Rüstungsindustrie ist deutlich höher geworden, schneller und innovativer zu sein. Wie gehen Sie damit um?
Seibel: Wir machen uns insgesamt unabhängiger. Wir haben das Betriebssystem Mosaic entwickelt, damit sich andere andocken können. So wie Airbus uns jetzt anbietet, dass wir uns andocken, bieten wir den noch kleineren Anbietern das Gleiche bei uns an. Das ist nicht einfach, sondern sehr komplex. Da ist das Silicon Valley aktuell noch besser aufgestellt. Aber da müssen wir als Europa hin. Das ist für uns eine große Chance.
Schöllhorn: Für uns sind diese neuen Innovationszyklen Herausforderung und Chance zugleich. Die Luftfahrt ist eine Industrie, die extrem auf Sicherheit setzt. Das gräbt sich tief in die DNA einer Firma hinein und das müssen wir auch wahren. Was allerdings hinzukommen muss, ist die Geschwindigkeit über die Software. Dafür benötigen wir das Ökosystem, aus dem man lernt.
Wer Drohnen baut, muss auch dafür sorgen, dass diese nicht sofort wieder abgefangen werden. Wie machen Sie das?
Schöllhorn: Natürlich kann jedes Fluggerät auch abgeschossen werden. Was Sie also erleben, ist ein permanenter Wettlauf zwischen der Effektivität von Drohnen einerseits und ihrer Abwehr andererseits. Beim Krieg in der Ukraine sind rund 70 Prozent der Erfolge auf Drohnen zurückzuführen. Das ist eine hohe Erfolgsquote. Die Luftabwehr scheint da nicht so effektiv zu sein. Dieser Zustand wird aber nicht so bleiben, daher denken wir das beim Drohnenbau immer mit. Airbus baut beispielsweise einen Stratosphären-Gleiter, der auf keinem Radar entdeckt werden kann. Er kann über Monate seine Bahnen ziehen und aufklären, was auf dem Boden passiert.
Seibel: Auch wir beschäftigen uns mit dem Thema Drohnenabwehr. Aktuell arbeiten wir daran, die Lösungen des ukrainischen Spezialisten Frontline in unsere Systeme einzubauen. Weil das so wichtig geworden ist, haben wir uns auch an Frontline beteiligt.
Frontline ist ein ukrainisches Drohnen- und Robotik-Start-up. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will künftig mehr Waffen, vor allem auch Drohnen, im eigenen Land produzieren. Sie sind längst vor Ort, oder?
Seibel: Quantum Systems unterhält schon seit drei Jahren eine eigene Niederlassung vor Ort mit mittlerweile zwei Standorten und eigener Produktion. So können wir die enormen Entwicklungsschübe vor Ort nicht nur für unser globales Netzwerk mitnehmen, sondern vor Ort mitgestalten.
Schöllhorn: Es macht immer Sinn, vor Ort zu sein. Damit erhält man das schnellste und wahre Feedback. Es macht auch für Airbus Sinn, vor Ort zu sein.
Wird das mehr?
Schöllhorn: Sie werden verstehen, dass ich dazu nicht viel sagen kann.
Ist der Ansatz von Wolodymyr Selenskyj, die Produktion stärker in die Ukraine zu verlagern, richtig?
Seibel: Das macht er klug. Er gibt der Industrie die Chance zu lernen.
Schöllhorn: In der Ukraine wird die europäische Souveränität und unsere Art zu leben verteidigt. Die Ukraine leistet seit mehr als drei Jahren einen unschätzbaren Beitrag für Europa. Sie erkauft uns mit ihrem eigenen Blut die Zeit, die wir in Europa benötigen, uns in der Verteidigung entsprechend aufzustellen. Das sollten wir als Bevölkerung in Deutschland auch genau so verstehen.
Herr Schöllhorn, Herr Seibel, vielen Dank für das Gespräch.
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