„Wer in der Flasche sitzt, kann das Etikett nicht lesen“
In diesen Zeiten des Umbruchs, in denen traditionale Sicherheiten wegfallen, wirkt auf Unternehmen ein enormer Veränderungsdruck ein. Dazu gehören auch internationale Initiativen wie die UN Sustainable Development Goals, staatliche Regulierungen, Nachhaltigkeitsanforderungen des Kapitalmarkts sowie ein allgemein gestiegenes Nachhaltigkeitsbewusstsein. Eine gesellschaftliche Transformation entlang eines Nachhaltigkeitspfades kann nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, das Verhältnis von (Unternehmens-)Kultur und Ökonomie grundlegend neu zu justieren.
Unternehmer:innen sind gezwungen umzudenken, denn – um nur ein paar Beispiele zu nennen - durch die Digitalisierung, COVID, den russischen Angriffskrieg, die zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland, gestörte Lieferketten, den Generationen- und den Klimawandel funktioniert ein „Weiter so“ nicht.
Das ist eben leichter gesagt als getan. Es gibt immer gute Gründe, warum Menschen sich genauso verhalten, wie sie es aktuell tun. Sie waren bisher mit ihrer Haltung und ihrem Verhalten persönlich und als Unternehmen erfolgreich, sonst wären sie nicht da, wo sie sind. Zu Recht sind Menschen stolz auf das, was sie mühsam erreicht haben. Sie halten daran fest, wenn es nicht zwingende Gründe zur Veränderung gibt.
Zunächst braucht es auf Entscheider:innenebene die wirkliche Erkenntnis, dass ein Wandel unbedingt erforderlich ist. Erst wenn im Entscheider:innenkopf die Erkenntnis gereift ist, dass sich unbedingt etwas ändern muss, hat eine echte Transformation eine Chance. Sonst wird an einzelnen Symptomen erfolglos herumgedoktert, anstatt die Ursache des Problems anzugehen.
Unternehmen haben die Herausforderung, Mitarbeitende und Führungskräfte in Veränderungsprozesse aktiv einzubinden. Das klingt leicht, wenn vom klassischen Ansatz hergedacht wird: Das Management ordnet an und die Mitarbeitenden machen, was ihnen gesagt wird. Das funktioniert aber auch nicht (mehr).
Die Unternehmenswelten sind heute durch zum Beispiel die Digitalisierung viel zu komplex, als dass eine:r alles allein entscheiden könnte. Mitarbeitende müssen mitdenken und so weit wie möglich selbst entscheiden können, um in ihren Rollen und Verantwortlichkeiten schnell richtige Entscheidungen für den/die Kund:in, das Unternehmen oder das Projekt zu treffen.
Dafür müssen erst die Voraussetzungen geschaffen werden. Als Unternehmer:in kann ich nicht Selbstverantwortung und unternehmerisches Handeln von jeder und jedem verlangen und gleichzeitig grenzenlose, unhinterfragte Gefolgschaft einfordern. Das passt nicht zusammen. Entweder gebe ich Freiräume, lasse ein gewisses Maß an Fehlern zu, biete Transparenz für den größeren Überblick und sorge so dafür, dass alle mitdenken können. Oder ich verhindere es, weil ich davon überzeugt bin, dass ausschließlich meine eigenen Entscheidungen richtig sind. Ich muss mich als Unternehmer:in entscheiden, ob ich autoritär oder partizipativ führe. Und autoritär zu führen, ist immer weniger erfolgreich.
Aus demselben Grund. Erfolgreiche Unternehmen brauchen innovative Köpfe, die sich trauen, Entscheidungen zu treffen. Wenn ich als Mitarbeitender aber mehrmals eine Idee geäußert und mein:e Chef:in mich für mein Engagement getadelt hat, weil es eben nicht seine oder ihre Idee war, werde ich künftig den Mund halten. Die Kultur des Unternehmens lernt, dass es besser ist, sich zurückzuhalten.
Manchmal lässt sich das nicht vermeiden. Aber vorher sollte das bestehende Management die Chance haben, sich zu entwickeln. Dafür braucht es Unterstützung, in der Regel von außen. Denn, wenn die Rahmenbedingungen unter der bestehenden Unternehmenskultur so bleiben, nutzt ein Wechsel meist nicht viel.
Manchmal gelten die alten Regeln unter einer neuen Führungskraft gar nicht mehr und doch verhalten sich die Mitarbeitenden so, als wäre alles immer noch so, wie es unter der alten Führung war. Dann ist der Schatten des Vorgängers oder der Vorgängerin noch unsichtbar im Raum, mitunter über Jahrzehnte. Solche Schatten muss man erst einmal aktiv loswerden.
Es gibt ein interessantes Experiment dazu. In einen Käfig mit einem Baum werden Affen eingesperrt. An der Spitze des Baums hängt eine Banane. Der erste Affe stürmt auf den Baum und holt sich die Banane. Jetzt wird der Käfig unter Strom gesetzt. Nach einigen Wiederholungen verstehen die Affen, dass der Stromschlag mit dem Holen der Banane zusammenhängt und lassen sie unbeachtet. Nach und nach werden nun die Affen ausgetauscht. Die neuen Affen kennen die Bananen-Stromschlag-Regel nicht und schnappen sich die Banane vom Baum. Kommen sie aber herunter, werden sie von den restlichen Affen verprügelt und lernen schnell, dass keine Bananen vom Baum geholt werden dürfen.
Danach wird der Käfig nicht mehr unter Strom gesetzt, und die Affen werden einer nach dem anderen ausgetauscht. Aber: Selbst wenn keiner der Affen selbst mehr einen Stromschlag erhalten hat, reagieren sie nach dem gleichen Muster. Sie verprügeln alle, die sich die Banane holen. Man hat ein abgemildertes Human-Experiment durchgeführt und ein ähnliches Ergebnis erzielt.
Genau. So funktioniert auch eine Unternehmenskultur. Wir lernen Spielregeln innerhalb einer Kultur, und verhalten uns entsprechend. Will ich die Kultur ändern, weil sie mittlerweile hinderlich für die Unternehmensziele ist, muss ich aktiv daran arbeiten.
Bevor Unternehmen „digitaler“ werden, Widerstände in Mitmachen verwandeln oder auch Konfliktherde auflösen können, ist erst einmal eine gute Kommunikation eine Grundvoraussetzung. Dazu gehört auch die Kommunikation der Veränderungsnotwendigkeit. Dazu wird eine, am besten unwiderstehliche, Vision gebraucht.
Warum sollte ich als Mitarbeitender etwas ändern, was mich Kraft kostet und Risiken beinhaltet, wenn mich das Erreichen des Ziels nicht reizt? Da ist es doch viel besser, offen oder auch verdeckt in den Widerstand zu gehen und an dem Bewährten festzuhalten. Das war allerdings noch nicht alles. Selbst wenn die Veränderungsnotwendigkeit sichtbar und die Vision stark sind, gibt es immer noch viele Widerstände. Skeptiker gibt es bei Veränderungen immer. Um die Skeptiker zu überzeugen, sollten Erfolge schnell sichtbar werden, damit alle Mitarbeitenden sehen, dass es sich lohnt.
Das sind unverzichtbare Schritte und doch: damit ist es leider noch nicht getan. Eine Kulturentwicklung braucht Zeit. Wer nicht bereit ist, mehr als ein Jahr an Zeit für den Entwicklungsprozess einzuplanen, sollte gar nicht erst anfangen. Dann hört die Entwicklung mittendrin auf. Das ist dann wie bei einer Renovierung, wo die alten Fliesen von den Wänden gehämmert sind und die neuen noch nicht kleben.
Als erstes braucht es die Erkenntnis auf allen Ebenen, dass es nicht weitergeht, wie bisher. Danach wird entwickelt, wie eine unwiderstehliche Zukunft aussehen kann. Dafür muss Innovation genug Raum gegeben werden. Das Umfeld muss stimmen. Wurde die Ausgangssituation und das Ziel ermittelt, gilt es den Weg zum Ziel zu erarbeiten. Da jedes Unternehmen besonders ist, sind auch die Wege zur erfolgreichen Transformation unterschiedlich.
Kommunikation ist das A&O für eine erfolgreiche Transformation. Es gilt permanent über Kommunikation dafür Sorge zu tragen, dass alle Betroffenen auch Beteiligte sind, um den Widerstand zu minimieren. Die Stakeholder - oder wer auch immer für den Erfolg besonders wichtig ist - sind in den Unternehmen meist unterschiedlich. Natürlich gibt es gute erprobte Wege. Aber die Herangehensweise ist in der Tat nicht immer gleich, weil Ziele, Visionen, Stakeholder, Märkte, Branchen usw. eben sehr verschieden agieren. Das macht die Arbeit so spannend, dass wir viele erfolgreiche Wege entwickelt haben, aber erfolgreiche Lösungen für das Unternehmen A nicht dem Unternehmen B mit demselben Ergebnis einfach übergestülpt werden können.
Eine Transformation kann ein Unternehmen nicht komplett von innen heraus leisten. Wer in der Flasche sitzt, kann das Etikett nicht lesen. Es braucht jemanden, der von außen auf die Flasche guckt. Andererseits kann eine Transformation nicht nach außen delegiert werden. Eine Entwicklung braucht den Willen und das Engagement auf allen Ebenen. Wir begleiten diese Entwicklung, unterstützen, wo wir gebraucht werden und helfen, den Rahmen zu setzen und zu halten.
Frauke Roloff ist Geschäftsführerin der beiden Unternehmen inFraRot Transformation Design sowie der roloff & schumacher gmbh. Sie begleitet mit ihren Teams Unternehmen in Veränderungsprozessen für bessere Kommunikation, Entwicklung von Unternehmenskulturen und Zusammenarbeit. Sinnstiftung und Profit sind für sie keine Gegensätze, sondern befördern sich in der richtigen Kombination gegenseitig. Bevor sie Unternehmerin wurde, baute sie eine Firma in führender Funktion mit auf und erlebte dabei hautnah, was Krisen und auch Wachstum in Unternehmen auslösen. Diese Praxiserfahrungen helfen ihr heute in der Lösungsentwicklung für die Businessherausforderungen ihrer Kund:innen. Sie lebt mit ihrer Familie und zwei Laufenten in Hamburg, liebt reisen durch Mecklenburg am See ebenso wie im Rest der Welt, gute Gespräche und die ständige Abwechslung durch herausfordernde Projekte.
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Ulrike Böhm: Die Macht der kleinen Schritte. Wie man als mittelständisches Unternehmen zum Klimaretter wird. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Stefan Brunnhuber: Die Kunst der Transformation. Wie wir lernen, die Welt zu verändern. Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016.
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.
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Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.