Ist da jemand? Ob jeder Mitarbeiter, der sich anwesend meldet, im Homeoffice auch an seinem Rechner sitzt. - Bild: imago images/mauritius images
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Wie Angestellte ihre Chefs im Homeoffice austricksen

Bei der US-Bank Wells Fargo mussten dutzende Mitarbeiter gehen, die im Homeoffice nur vorgetäuscht hatten zu arbeiten. Mit welchen technischen Tricks Chefs überwachen und Angestellte Geschäftigkeit vortäuschen.

Um Punkt neun Uhr morgens betritt George Costanza sein Büro. Er räumt einen Stapel Akten aus seinem Koffer, legt ihn auf dem Schreibtisch ab, setzt sich hin. Ziellos blättert er in den Ordnern, wirft den Stapel dann achselzuckend vor sich hin. Blick auf die Wanduhr: Der Zeiger wandert rundherum, bis es fünf Uhr abends ist. Costanza sitzt noch immer unbewegt vor dem Aktenstapel, atmet einmal tief durch, macht eine Dehnübung. Dann packt er den Papierstapel zurück in den Aktenkoffer und geht von dannen. Feierabend.

Costanza, eine der Hauptfiguren der US-Sitcom „Seinfeld“, ist ein notorischer Faulpelz. Ganze Folgen der Comedyserie ranken sich darum, wie er seinem Chef ein Höchstmaß an Produktivität vorgaukelt. „Meistens sitze ich nur herum und tue so, als ob ich beschäftigt wäre“, sagt er einmal auf die Frage, was er den ganzen Tag so auf der Arbeit treibe. Die Serie kam in den späten Achtzigerjahren ins Fernsehen, bis heute steht der Angestellte Costanza sinnbildlich für die Vorurteile, die viele Vorgesetzte ihren Mitarbeitern gegenüber haben – erst recht seitdem die Coronapandemie das Homeoffice für viele zum Arbeitsplatz Nummer eins gemacht hat.

Zwar sind Studien zufolge die meisten Menschen der Meinung, im Homeoffice sogar produktiver zu arbeiten als an ihrem normalen Arbeitsplatz. Dieser optimistischen Selbsteinschätzung stehen aber oft skeptische Manager gegenüber: Fast zwei von fünf deutschen Führungskräften (38 Prozent) haben 2021 Bedenken geäußert, dass Mitarbeiter, die nicht im Büro sind, ihrer Arbeit auch tatsächlich nachgehen. Kein Wunder also, dass viele Chefs nach Mitteln und Wegen suchen, um die Belegschaft auch im Homeoffice im Blick zu behalten.

Technologie dafür gibt es massenweise: Seit dem Ausbruch der Coronapandemie boomt in den USA der Markt für sogenannte Lösungen zur Mitarbeiterüberwachung. Die Anbieter heißen ActivTrak, WorkExaminer oder Hubstaff und setzen inzwischen Millionenbeträge um. Der Funktionsumfang solcher Software reicht von minütlichen Screenshots der Bildschirme bis hin zur Nachverfolgung jeder Bewegung über das Diensthandy. Sogar den Aufmerksamkeitsgrad der Mitarbeiter im Homeoffice wollen manche Tools mit Gesichtserkennungstechnologie bemessen können.

Die US-Großbank Wells Fargo hat offensichtlich einige Faulpelze in ihrer Belegschaft ertappt. Wie der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet, hat das Geldinstitut im vergangenen Monat mehr als ein Dutzend Mitarbeiter entlassen, weil diese „Aktivität an der Computertastatur simuliert haben“.

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Statuskontrolle ist erlaubt

In Deutschland ist ein solcher Fall bislang nicht publik geworden. Vielleicht auch weil hier Software zur Überwachung der Mitarbeiter grundsätzlich unzulässig ist – allein aus Gründen des Datenschutzes. „Eine umfassende Überwachung des Arbeitnehmers darf hierzulande allenfalls dann erfolgen, wenn es einen konkreten Verdacht für eine Straftat oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung gibt“, erläutert André H. Tüffers von der Düsseldorfer Anwaltskanzlei Arbeitsrecht. Dafür müsse es schon dringende Anhaltspunkte geben, sagt Tüffers. „Ins Blaue hinein geht das nicht.“

Und so bleiben kontrollbedürftigen Chefs hierzulande meist nur die Programme, die ohnehin auf den Arbeitsrechnern der meisten Mitarbeiter vorhanden sind: Chat- und Kommunikationstools wie Slack, Microsoft Office oder Teams. Diese zeigen zumindest an, ob ein Mitarbeiter online ist und „ob er sich zu Hause überhaupt mal in seinen PC eingeloggt hat“, wie André H. Tüffers sagt. Wann sich Mitarbeiter im Homeoffice ein- und ausloggten nämlich, falle noch in das berechtigte Interesse des Arbeitgebers.

Das Problem an der Kontrolle des bloßen Onlinestatus: Er lässt keine Aussagen darüber zu, ob Mitarbeiter auch wirklich arbeiten. Der grüne Kreis neben dem Mitarbeiterkürzel im E-Mail-Postfach ist sozusagen das virtuelle Äquivalent zur bloßen Anwesenheit am Büroarbeitsplatz. Und so verwundert es wenig, dass die steigende Homeoffice-Quote einige Produktblüten treibt, die auch „Seinfeld“-Faulpelz George Costanza gut zu Gesicht gestanden hätten: sogenannte Maus-Jiggler etwa, die sich in größeren Onlineshops inzwischen in allen Formen und Farben finden. Einmal in den USB-Port des Arbeitsrechners eingesteckt, sorgen sie für regelmäßige unbemerkte Cursorbewegungen.

Wer sich die Kundenrezensionen solcher Produkte in den gängigen Onlineshops ansieht, gewinnt den Eindruck, dass der Kontrollzwang mancher Manager in Zeiten, in denen die Belegschaft mehrheitlich im Homeoffice ist, vor allem eines auslöst: ein virtuelles Katz-und-Maus-Spiel mit den eigenen Mitarbeitern. Auffallend häufig findet sich in den Produktbewertungen sinngemäß der Satz „Tut, was es soll“, ergänzt um einen schelmischen Zwinkersmiley. „Sehr nützlich für Menschen, die etwas Hausarbeit erledigen müssen oder ab und an eine Pause brauchen“, berichtet ein Maus-Jiggler-Nutzer auf Amazon. Und die amerikanische Influencerin Leahova beschreibt die Vorteile der Gerätschaft in einem TikTok-Video so: „Endlich könnt ihr während der Arbeit ganz ohne Paranoia auf Toilette gehen und müsst keine Angst mehr haben, gefeuert zu werden, weil ihr offline seid.“

Weniger Streitigkeiten

Zumindest aus deutscher Sicht mutet all das ein wenig zu dramatisch an. Denn ein kurzzeitiger Offlinestatus während der Arbeitszeit reicht hierzulande beileibe nicht für eine Kündigung. Nicht einmal als konkreter Verdacht, um eine weiter gehende Überwachung des betreffenden Mitarbeiters einzuleiten, ist er ausreichend. „Es kann ja auch mal eine Internetverbindung gestört sein“, sagt Arbeitsrechtler Tüffers. Von einem dringenden Anhaltspunkt für eine Verletzung der Arbeitspflicht könne da deshalb nicht die Rede sein. Er habe auch nicht den Eindruck, dass viele Arbeitnehmer die Freiheiten im Homeoffice ausnutzten, so der Jurist. Im Gegenteil: „Ich habe eher Fälle vorliegen, bei denen Angestellte im Homeoffice mehr arbeiten. Nach dem Motto: ‚Nicht, dass einer denkt, ich mache zu Hause weniger‘.“

Auch die Psychologin Susanne Spieß hat in ihren Workshops und Einzelcoachings während der Pandemie ähnliche Erfahrungen gesammelt. Seit mehr als 25 Jahren coacht sie Manager, kennt deren Sorgen und Probleme aus erster Hand. „Ich hatte nie auch nur im Entferntesten den Eindruck, dass irgendjemand das Homeoffice als Einladung zum Faulenzen verstanden hätte“, berichtet sie.

Gerade deswegen empfiehlt die Psychologin Führungskräften, zunächst einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Mit einer Einschränkung: „Sollte es das Extrem geben, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin auch normalerweise im Büro eine sehr geringe Leistungsmotivation hat – dann könnte sich dies im Homeoffice ähnlich verhalten.“ George Costanza, der Faulpelz aus „Seinfeld“, jedenfalls hätte am Homeoffice vermutlich seinen Spaß gehabt. Das Drehbuch schriebe sich da fast von selbst.

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