Wie Apple seine Zukunft zu verspielen droht
Innovativ, margenstark, unangreifbar – das war der Tech-Konzern einmal. Jetzt steht die US-Ikone nicht nur im Zentrum des handelspolitischen Furors Trumps. Ihr fehlt auch eine KI-Strategie.
Neue Produkte, wie die Brille Vision Pro, gelten als Flop, bestehende, wie das iPhone, werden oft nur behutsam weiterentwickelt. Zuletzt lebte Apple vor allem von der Vergangenheit.
Der Konzern ist nur zögerlich in das KI-Wettrennen eingestiegen, die Konkurrenz zog vorbei. Die neue KI-Siri musste mehrfach verschoben werden. Warum das Apple Kunden kosten könnte.
Die Abhängigkeit von China ist größer als bislang bekannt. Donald Trumps Handelskrieg erhöht den Druck zusätzlich.
Apple investiert Milliarden in seine Dienstleistungsangebote. Doch das Wachstum verlangsamt sich – und Apple TV fährt hohe Verluste ein. In welcher Höhe, lesen Sie hier.
Cupertino, Mountain View, San Francisco. Tesla-Gründer Elon Musk, OpenAI-Chef Sam Altman, Nvidia-Boss Jensen Huang – Donald Trump hatte die Tech-Elite seines Landes an seiner Seite, als er Mitte Mai durch den Mittleren Osten reiste. Tim Cook wollte der US-Präsident ebenfalls mitnehmen, doch der Apple-Chef hatte die Einladung offenbar ausgeschlagen. Das jedenfalls berichten amerikanische Medien.
Ein Affront für den Mann im Weißen Haus – und er zögerte nicht, seinem Unmut Ausdruck zu verleihen. Überschwänglich lobte er in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad Huang, der „99 Prozent“ des Chipmarkts an sich gerissen habe. „Tim Cook ist nicht hier, aber du“, sagte Trump. „Wir sind stolz, dich in unserem Land zu haben.“
In Katar legte Trump nach. „Ich hatte ein kleines Problem mit Tim Cook“, sagte er. Apples Investitionen in den USA seien schön und gut, aber jetzt höre er, dass Cook „überall in Indien“ baue. „Ich will nicht, dass du in Indien baust!“ Es war eine Anspielung auf Cooks Plan, die Produktion in Indien erheblich auszuweiten, um Apples Abhängigkeit von China zu reduzieren. Damit will der CEO vor allem Trumps Strafzöllen gegen Peking ausweichen.
Derzeit werden die meisten Apple-Geräte für den US-Markt aus der Volksrepublik importiert. Nur eine Ausnahmeregelung verhindert bislang, dass der Konzern darauf ruinöse Abgaben in Höhe von zeitweise bis zu 145 Prozent zahlen muss.
Es sollte nicht die letzte Attacke Trumps gegen den Apple-Chef gewesen sein. Einen Tag später kündigte er auf seiner Plattform Truth Social an, iPhones, die nicht in den USA hergestellt wurden, künftig mit einem Sonderzoll in Höhe von 25 Prozent zu belegen. Für Apple wäre das ein erheblicher Schlag, schließlich steht das Smartphone für mehr als 50 Prozent der Umsätze. Bereits für das laufende Quartal kalkuliert Cook mit zollbedingten Zusatzkosten in Höhe von 900 Millionen Dollar.
Der mächtigste Mann der Welt führt auf offener Weltbühne einen Rachefeldzug gegen den Chef einer amerikanischen Industrieikone – nicht nur das ist einmalig in der US-Wirtschaftsgeschichte. Apple und CEO Cook, eine der wenigen Tech-Größen aus dem Silicon Valley, die wiederholt eine distanziertere Haltung zum Präsidenten einnahmen, rücken damit ins Zentrum des epochalen Konflikts zwischen der größten und der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Ich hatte ein kleines Problem mit Tim Cook.US-Präsident Donald Trump über den Apple-Chef
Trump will China eindämmen und die USA mit aller Macht reindustrialisieren. Apples Strategie steht im krassen Gegensatz zu der „America first“-Politik des Präsidenten. Sie ist ein Störfaktor für Trumps MAGA-Ideologie.
Denn es war Cook, der in jahrelanger Detailarbeit die Lieferketten des Konzerns durchoptimiert und damit Margen ermöglicht hat, die für die Konkurrenz bis heute unerreichbar scheinen. Im Zuge dessen hat er Apple von der Volksrepublik abhängig gemacht.
Dabei ist die Tatsache, dass der US-Präsident Apple zum Feindbild auserkoren hat und der Konzern aus Cupertino mitten in den geopolitischen Konflikt zwischen den USA und China geraten ist, nicht das einzige Problem des Tech-Giganten.
Das Ausnahmeunternehmen, das nach einer Beinaheinsolvenz in den Neunzigerjahren unter Cook zum wertvollsten Konzern der Welt aufstieg, steckt in einer Strategiefalle, wirkt überfordert – vor allem bei jener Schlüsseltechnologie, die nicht nur das Schicksal vieler Unternehmen, sondern auch das ganzer Volkswirtschaften bestimmt: der Künstlichen Intelligenz (KI). Apple scheint im Vergleich zur Silicon-Valley-Konkurrenz abgehängt.
Hinzu kommt eine schwelende Schwäche in Apples Kerndisziplin: In den Entwicklungslaboren des Konzerns, die mit nie da gewesenen Designs und einer Hingabe bis ins letzte Detail immer wieder das Begehren von Milliarden weckten, gedieh zuletzt kaum etwas Verheißungsvolles. Das Apple-Car, Projekt „Titan“, wurde im vergangenen Jahr eingestellt. Die letzte relevante Neuentwicklung – die schwere wie sündhaft teure Datenbrille Vision Pro – gilt als Flop. Bestseller wie das iPhone, das iPad oder die Apple Watch werden lediglich behutsam weiter iteriert.
Cook und sein Team hätten mittlerweile „jeden Tropfen Saft aus der Zitrone gepresst, die Steve Jobs geschaffen hat“, sagt der Journalist Mark Gurman, einer der einflussreichsten Beobachter des Konzerns.
Noch profitiert Apple von der Loyalität vieler seiner oft leidenschaftlich mit den Produkten verbundenen Kunden. Doch erste Absetzbewegungen sind sichtbar. Cook konnte zuletzt schon froh sein, wenn er ein Miniwachstum und keine Stagnation verkünden durfte.
Wenn der Chef und sein Team am Montag zu Apples jährlicher Leistungsschau – der „Worldwide Developers Conference“ (WWDC) – empfangen, steht deshalb eine bange Frage im Raum: Gelingt ihnen der Weg zurück an die Weltspitze? Oder droht Apple seinen Nimbus zu verlieren und mittelfristig zu einem normalen Großkonzern zu degenerieren?
I. Abgehängt bei Künstlicher Intelligenz
Palo Alto 2010. Apple-Gründer Steve Jobs war schnell klar, dass er auf etwas Bahnbrechendes gestoßen war, als er zum ersten Mal mit seinem iPhone sprach. Die Erfahrung, die er einer neuen App namens „Siri“ zu verdanken hatte, ließ ihn nicht mehr los. Das Problem: Die App hatte nicht Apple erfunden, sondern ein kleines Start-up. Also lud er die Erfinder persönlich in sein Haus ein, um sie von einem Verkauf zu überzeugen. Als sie sich zierten, traktierte er sie über mehr als drei Wochen mit täglichen Anrufen.
„Morgens und nachts“, erinnert sich Dag Kittlaus, Co-Gründer und seinerzeit Chef von Siri Inc. „Steve versprach uns, dass Siri eine der zwei Topprioritäten bei Apple werden und wir alle nötigen Ressourcen bekommen würden.“ Am Ende überzeugte er die Gründer.
Jobs sah in Siri eine neue Schnittstelle zu seinen Kunden, die Apple-Geräte künftig auf Zuruf steuern würden. 200 Millionen Dollar ließ er sich das Start-up kosten. Kittlaus und seine Kollegen bekamen 18 Monate, um Siri in Apples Betriebssystem iOS zu integrieren. „Wir schliefen in den Bürofluren“, sagt Kittlaus. Die letzten Fehler korrigierten sie, als die finale Produktpräsentation bereits begonnen hatte. Siri wurde trotzdem ein Erfolg. Am 4. Oktober 2011 wurde die digitale Assistentin als Teil des neuen iPhones 4s ausgeliefert. Einen Tag vor Jobs Tod. Die Konkurrenz beeilte sich fortan, eigene Sprachassistenten auf den Markt zu bringen.
Steve versprach uns, dass Siri eine der zwei Topprioritäten bei Apple werden würde und wir alle nötigen Ressourcen bekommen würden.Dag Kittlaus, Mitbegründer Siri
Heute ist von diesem Pionierethos wenig übrig. Bei Siri, die ihre Nutzer längst mehr nervt, als dass sie ihnen nützt, ist Apples KI-Rückstand besonders offensichtlich. Der Konzern hat die Assistentin trotz ihrer Relevanz lange vernachlässigt – und fiel weit hinter den Wettbewerb zurück. Googles KI-Assistent „Gemini“ ist Siri etwa in fast jeglicher Hinsicht überlegen.
Vor einem Jahr kündigte John Giannandrea, Apples KI-Chef, deshalb Siris Renaissance an. Im „Steve Jobs Theater“ versprach Giannandrea auf der WWDC, „generative KI direkt ins Betriebssystem“ einzubauen. Apple Intelligence, die wohlinszenierte Antwort des Konzerns auf das KI-Zeitalter, könne besser als andere Angebote „persönlichen Kontext“ herstellen, sagte er. Die gute alte Siri werde auf dieser Basis „vom Sprach- zum Geräteassistenten aufgewertet“.
Apple, so schien es damals, war zwar spät, dafür umso entschlossener in den Goldrausch um KI-Assistenten und die sie befeuernden Sprachmodelle eingestiegen. Dafür würden die Entwickler in Cupertino nun eine KI herausbringen, die sich intuitiv benutzen lässt und geschmeidig mit bestehenden Apps verwoben ist. „KI für den Rest von uns“, lautete die Botschaft.
Die Inszenierung gelang. Im Nebel blieb indes, wie weit Giannandreas Team im Zeitplan zurücklag und wie wenig Ressourcen dabei zur Verfügung standen.
So horten Cook und Finanzchef Luca Maestri zwar immense Cash-Reserven von zuletzt fast 50 Milliarden Dollar. In der Materialschlacht zum Training neuer KI-Modelle standen Giannandreas Experten trotzdem relativ blank da.
2023 hatten sie der „New York Times“ (NYT) zufolge nur rund 50.000 der für die KI-Entwicklung essenziellen, „GPU“ genannten Halbleiter des Herstellers Nvidia zur Verfügung. Die Chips waren überdies relativ alt.
Während Google, Microsoft und Amazon mit Rekordinvestitionen den GPU-Markt leersogen, bremste Maestri. Statt einer zunächst geplanten Verdoppelung des Chipbudgets kürzte er die Erhöhung laut NYT um die Hälfte zusammen.
Giannandreas Team kämpfte trotzdem bis zum Schluss. Zum Zeitpunkt der Präsentation im Steve Jobs Theater hatte es jedoch gerade einmal einen spärlich funktionierenden Prototyp fertiggestellt. Ein Werbevideo für die anwesenden Journalisten und Entwickler, das Siri zuvor in Aktion zeigte, war offenbar gestellt und bewarb Funktionen, die es noch längst nicht gab.
Dieses Vorgehen war ungewöhnlich. Eine Grundregel der Kommunikation besagt in Cupertino eigentlich, dass Apple nur solche Features ankündigt, die absehbar auch ausgeliefert werden können. Das Unternehmen ist stolz auf seine Berechenbarkeit.
Im März musste Apple schließlich einräumen, dass man das Versprechen, die neue Siri bis April auszuliefern, nicht halten und auch kein neues Datum sicher zusagen kann. Dabei war das bereits der Ausweichtermin. Wahrscheinlich soll sie nun erst 2026 auf den Markt kommen.
Misslich war zudem, dass die neue Siri lange im Zentrum der Werbekampagne für das aktuelle iPhone 16 stand. In den USA haben findige Anwälte deshalb vor Kurzem eine Sammelklage eingereicht. Der Vorwurf: Betrug.
Apple äußert sich auf Anfrage weder zum Siri-Aufschub noch zur Klage oder zu den KI-Schwierigkeiten.
Büßen musste Giannandrea, obwohl er schon früh vor einer Unterfinanzierung von Apples KI-Plänen gewarnt haben soll. Gut eine Woche nachdem die Nachrichtenagentur Bloomberg über die Details der Siri-Krise berichtet hatte, zog CEO Cook ihn von dem prestigeträchtigen Projekt ab.
II. Das Daten-Dilemma
Dabei sitzen Apples Probleme deutlich tiefer. Auf den KI-Boom, der seit der Veröffentlichung von ChatGPT im Herbst 2022 die ganze Branche umpflügt, ist der Konzern nicht nur mit weit geringerem Wetteinsatz eingestiegen. Er ist schon qua Design schlechter für das Milliardenrennen gerüstet.
Im Weg steht ausgerechnet einer der wichtigsten Werte der Marke Apple: Datenschutz. Schon Steve Jobs versprach seinen Kunden, ihre Privatsphäre zu schützen und intime Informationen nicht, wie sonst üblich, ungefragt an das meistbietende Werbenetzwerk zu verkaufen. Bis heute ziert die Botschaft Apples Anzeigenkampagnen.
„Viele Kollegen sind auch persönlich tief davon überzeugt“, sagt ein Mitarbeiter aus der Zentrale in Cupertino. „Unser Umgang mit Daten unterscheidet uns von allen Konkurrenten.“ Doch Giannandreas Team brachte das Prinzip immer wieder in ein Dilemma. Ohne Zugriff auf die Nutzerdaten, die bei der Konkurrenz schamlos ausgebeutet werden, war (und ist) ihre Herausforderung ungleich höher.
Apples strenge Datenschutzrichtlinien bedeuten einen deutlichen Nachteil.Ben Goertzel, KI-Forscher
„Apples strenge Datenschutzrichtlinien bedeuten einen deutlichen Nachteil“, sagt der Informatiker und KI-Experte Ben Goertzel, da wesentliche Verbesserungen der eigenen KI-Angebote „in hohem Maße von umfangreichen Datensätzen abhängen“. Vereinfacht gesagt: Giannandreas Leuten fehlten beim KI-Goldschürfen nicht nur die Spitzhacken (GPUs) – sie hatten auch kaum Boden zur Verfügung.
Die Folgen sind bestenfalls ernüchternd. Dem Bloomberg-Bericht zufolge arbeitete die neue Siri in den Laboren noch Anfang dieses Jahres bestenfalls 80 Prozent der Anfragen korrekt ab. Auch die wenigen bereits nutzbaren Funktionen von Apple Intelligence bleiben bislang hinter denen der Konkurrenz zurück.
Die geschmeidige KI-Integration von Google bereite dem erfolgsverwöhnten Apple-Management „Kopfschmerzen“, sagt Leo Gebbie, für Smartphones zuständiger Analyst beim Marktforschungsunternehmen CCS Insights. Seine KI-Versprechen habe der Konzern „noch längst nicht eingelöst“. So sind Basisangebote wie die Transkription oder das Zusammenfassen von Texten nicht nur fehleranfälliger als bei der Konkurrenz, sondern zum Teil auch langsamer. Das hat auch einen technischen Grund: Um möglichst wenig sensible Daten an eine externe Cloud zu schicken, führen iPhones viele Funktionen direkt auf dem Gerät auf. Dort steht jedoch weniger Rechenleistung zur Verfügung. Der Konzern ist zudem der Auffassung, etwa mit synthetischen Daten in Sachen KI ebenfalls ans Ziel gelangen zu können. „Apple geht bei KI kleine Schritte, weil es Qualitätsbedenken gibt“, sagt Francisco Geronimo, Analyst beim Marktforscher IDC.
Apple geht bei KI kleine Schritte, weil es Qualitätsbedenken gibt.Francisco Geronimo, Marktforscher
Das Projekt retten soll nun ausgerechnet Mike Rockwell, der bei Apple zuvor für die glücklose Datenbrille Vision Pro verantwortlich war. Intern war er immer wieder mit scharfer Kritik an der miserablen Qualität aufgefallen, die man den Kunden bei Siri zumutete. Das half offenbar bei der Berufung. „Angesichts der Geschwindigkeit, mit der die KI-Entwicklung voranschreitet“, sagt Journalist Gurman, der Apples KI-Krise für Bloomberg aufdeckte, „wird es für Apple praktisch unmöglich sein, die Konkurrenz zu überholen.“
Die Entwicklungsstrategie wurde bereits angepasst. So gab Apple im April bekannt, zumindest einen Teil seiner Nutzerdaten künftig für die KI-Entwicklung nutzen zu wollen – sofern die Kunden zuvor zugestimmt haben. Diese Prämisse hatte schon Steve Jobs seinen Nachfolgern mit auf den Weg gegeben: Apples Kunden müssten stets „wissen, worauf sie sich einlassen“.
III. Kult und Cash
Auf die Verrückten.
Die Außenseiter.
Die Rebellen.
Die Unruhestifter.
Die, die nicht in Schubladen passen.
Die, die die Dinge anders sehen.
Sie mögen keine Regeln.
Und sie haben keinen Respekt vor dem Status quo.
(aus Apples „Think Different“-Kampagne von 1997)
Der Apple-Gründer schuf ein Unternehmen, das immer wieder einer Sekte glich. Bis heute herrscht in Cupertino ein Korpsgeist vor, der auf klare Werte und absolute Geheimhaltung setzt. „Wir wissen oft nicht einmal voneinander, woran der andere gerade arbeitet“, sagt ein Mitarbeiter. Die Presse wird in der Regel mit einem knappen „no comment“ abgespeist.
Gleichzeitig machte Jobs Apple zu einem liberalen Biotop der Kreativität. Man arbeite in Cupertino „mit Weltklasseleuten zusammen“, sagt etwa der deutsche Apple-Manager Oliver Schusser, der seit über 20 Jahren dabei ist.
Legendäre Designer wie der Deutsche Hartmut Esslinger oder der Brite Jonathan Ive machten dort graue Computer zu Objekten globalen Begehrens. Jobs sah in den Rechnern nicht bloß Büromaschinen, sondern „Fahrräder für den Kopf“. Der Gründer lud die Marke dazu geschickt mit Emotionen auf, verknüpfte sie mit Botschaften wie „Think different“, die sich über die branchenüblichen Kennziffernvergleiche hinwegsetzten.
Wer einen Mac kaufte, konnte sich gleichzeitig als Rebell und Teil einer Elite fühlen. Geräte wie das iPhone oder das MacBook machte Jobs damit zu Statussymbolen im doppelten Sinne. Und einfach zu bedienen waren sie auch noch. Teil dieser Welt zu sein, lässt Apple sich üppig vergüten. Die Geräte sind nicht nur teurer als bei der Konkurrenz, ihre Käufer werden überdies durch eine wachsende Anzahl von monatlich zu entrichtenden Abogebühren gemolken. Trotzdem lieben sie Apple.
Die Bruttomarge des Konzerns beträgt heute fast 50 Prozent. Verantwortlich für diesen Erfolg ist vor allem Jobs’ Nachfolger Cook, ein nüchterner wie genialer Prozessoptimierer mit Südstaatensingsang in der Stimme. Der Ex-IBM-Mann baute um Jobs’ betörende Visionen eine wohlgeölte Produktions- und Vertriebsmaschine. Die beiden erscheinen rückblickend wie zwei Seiten derselben Münze.
Die wachsenden Renditen verwendete Cook später indes bevorzugt zur Kurspflege: Über 700 Milliarden Dollar flossen unter seiner Ägide in Aktienrückkaufprogramme – so viel wie bei keinem anderen Unternehmen zuvor. Trotzdem schien es angesichts von Apples Innovationskraft lange so, als würde er keine Kompromisse bei den Investitionen machen. Apples Mission sei es, seine Kunden mit Technologie zu „ermächtigen“, beteuerte Cook.
Die Börsenbewertung vervielfachte sich unter ihm von 348 Milliarden auf über drei Billionen Dollar. Den Titel des wertvollsten Konzerns der Welt konnte Apple unter Cook 2011 erstmals erringen und seitdem die meiste Zeit über verteidigen. Es war das Ausnahmeunternehmen schlechthin.
Tim ist ein CEO für die Ruhmeshalle.Analyst Dan Ives über Tim Cook
„Tim ist ein CEO für die Ruhmeshalle“, sagt Dan Ives, einer der einflussreichsten Analysten der Welt. Mittlerweile wachsen indes die Zweifel, ob das Prinzip Cook nicht an seine Grenzen gerät. Als kreativ oder mutig gilt Apple schon lange nicht mehr. Chefdesigner Ive, der die auch heute noch wesentlichen Produkte des Konzerns entworfen hat, verließ Apple bereits 2019 und arbeitet seit Kurzem für die Konkurrenz von OpenAI.
Das letzte erfolgreiche neue Gerät, das Cook vorstellte, waren die Kopfhörer Airpods im Jahr 2016. Die anderen Geräte – allen voran der Bestseller iPhone – werden zwar jedes Jahr verbessert, einen großen Sprung hat Apple dabei aber schon lange nicht mehr gemacht. Zuletzt entwickelte sich das iPhone sogar wieder rückwärts, als es im vergangenen Herbst plötzlich eine neue Taste zum Fotografieren bekam. Bislang war man stolz, die Anzahl der Tasten so weit wie möglich reduziert zu haben.
„Steve Jobs erfand das iPhone, und irgendwie ruhen sie sich auch 20 Jahre später noch darauf aus“, ätzte Meta-Chef Mark Zuckerberg im Januar in einem Podcast-Interview. Investorenlegende Warren Buffett, der Apple ab 2016 zu seinem größten Investment überhaupt machte, lobte Cook bei seinem Abschied im Mai zwar dafür, für Buffetts Berkshire Hathaway „viel mehr Geld“ verdient zu haben, als der Gründer es selbst je vermocht hatte.
Steve Jobs erfand das iPhone, und irgendwie ruhen sie sich auch 20 Jahre später noch darauf aus.Mark Zuckerberg, Facebook-Gründer
Weiteres Aufwärtspotenzial sieht Buffett aber offenbar nicht mehr: Er hat seit 2024 in mehreren Tranchen einen Großteil seiner Apple-Aktien verkauft. Der wertvollste Konzern der Welt heißt heute Nvidia.
IV. Big in China
Patrick McGee empfängt in einem Coworking-Space in San Franciscos ikonischem Ferry Building. Der ehemalige Korrespondent der „Financial Times“ hat hier in den vergangenen zwei Jahren ein aufrüttelndes Buch namens „Apple in China“ verfasst, das Mitte Mai auf den Markt kam. McGee seziert darin, wie der Konzern die Produktion seiner Hightech-Geräte ab 1999 zunächst aus Kostengründen sukzessive nach Fernost verlagerte. Was als Diversifikation begann, wurde immer mehr zum konstitutiven Bestandteil des Gesamtsystems.
Bereits kurz nach der Veröffentlichung erreichte das Buch die Top drei der US-Bestsellerlisten. „Unser Timing war zufällig nahezu perfekt“, sagt McGee und lächelt. In Zeiten, in denen Donald Trump Apple beinahe wöchentlich angreift, erscheint McGees Buch wie die Lektüre der Stunde. Dabei ist die Rolle von Cook und seinem Konzern weitaus dramatischer, als Trump es darstellt – und damit auch das Problem des gesamten Landes.
Auf Basis von mehr als 200 Interviews mit aktuellen und ehemaligen Apple-Insidern beschreibt McGee eine verschachtelte und in ihren Dimensionen bislang unbekannte Produktionsmaschinerie in China, zu der Fabriken, Zulieferer und ganze „iPhone-Städte“ gehören.
Der Konzern habe seit 2008 – direkt oder indirekt – über 28 Millionen Menschen im Land ausgebildet, sagt McGee. Das entspricht ungefähr der arbeitenden Bevölkerung Kaliforniens. Die Ausmaße dieser Aufbauleistung sind gigantisch – eine Entwicklung, die vor allem unter Cook stattfand. McGee beschreibt sie als eine der drei zentralen Wettbewerbsvorteile Apples neben Jobs Vision und Ives Design.
„Apple hängt nicht nur in China fest, weil das Land so viel bietet“, sagt er. Der Konzern „hängt in China an eben den Fähigkeiten, die er dort in einem Vierteljahrhundert selbst geschaffen hat“.
Ab 2016 hat Apple demnach mehr als 55 Milliarden Dollar pro Jahr in China investiert – insgesamt weit mehr, als die USA nach dem Zweiten Weltkrieg inflationsbereinigt für den Marshallplan ausgaben. Eines der gängigen Missverständnisse, so McGee, sei die Annahme, dass Zulieferer in China eigenständig Produkte entwickelt hätten und Apple sie einfach eingekauft habe. „So würde Samsung das machen“, sagt er. Apple habe sein komplettes Ökosystem dort vielmehr selbst erfunden.
Der Konzern entsandte regelmäßig seine besten Ingenieure, Designer, Einkaufsspezialisten und Anwälte in Hunderte von Fabriken, wo sie Maschinen importierten, Arbeiter ausbildeten, die Lieferung von Zwischenprodukten koordinierten oder Lieferanten darauf trainierten, die Einhaltung von Apples hohen Qualitätsansprüchen sicherzustellen.
Apple äußert sich nicht direkt dazu. Der Konzern ist jedoch der Auffassung, dass das Buch Ungenauigkeiten und Fehler enthält. „Produktion wird manchmal wie diese schwarze Kunst behandelt, die nur manchen Weltregionen vorbehalten ist“, sagt Mahesh Krishnaswamy, der für Apple selbst Fabriken für das iPad oder für MacBooks in China aufbaute. Später wechselte er zu Google. Die Mitarbeiter in China „waren nicht von selbst so gut. Sie wurden gut gemacht“, sagt er.
Das Unterfangen war derart personalintensiv, dass United Airlines neue Direktverbindungen ab San Francisco in chinesische Regionalmetropolen wie Chengdu aufsetzte – McGee zufolge vor allem um Apples Bedarf zu stillen. Entsandte Mitarbeiter riskierten mitunter Ehe und Gesundheit bei dem Versuch, dem immensen Druck standzuhalten. Manche verloren sie dabei. Apple soll mit Sonderboni gegengehalten haben.
Autor McGee hält es angesichts der Dimensionen von Apples China-Präsenz für schier illusorisch, die iPhone-Produktion – wie von Trump gefordert – in die USA zu holen. „Das wird niemals passieren und ist nicht mal eine Diskussion wert.“
Auch Chef Cooks jüngstes Manöver, die Produktion für die USA ab kommendem Jahr aus Indien zu importieren, tut er als Etikettenschwindel ab. „Die Telefone werden dort nur zusammengesetzt“, sagt McGee. Auf dem Weg dahin hätten sie schon rund tausend Produktionsschritte in China hinter sich. Anders gesagt: Auf absehbare Zeit gibt es für Apple aus der Volksrepublik kein Entrinnen.
„Tim Cook hat den Anfängerfehler gemacht, alle seine Eier in einen Korb zu legen“, sagt McGee. Das Problem sei, dass der Korb „sich als autoritärer Überwachungsstaat entpuppte“. Sich aus diesem Dilemma zu befreien, würde „wahrscheinlich 15 Jahre dauern – falls es überhaupt möglich ist“.
Die Konsequenzen sind so bemerkenswert wie vielschichtig. So hat sich Apple dort nicht nur eine hochindividualisierte Produktion erschaffen, die dem Konzern Margen ermöglicht, von denen Konkurrenten lange nur träumen konnten. Der Konzern hat sein Schicksal einem Regime ausgeliefert, das immer offener als Rivale der USA auftritt.
China sei „eine lebenswichtige Herstellungsbasis für Apples gesamte Produktpalette“, sagt Arthur Dong, Wirtschaftsprofessor an der Georgetown-Universität in Washington.
Gleichzeitig ermächtigte das Management um Cook dort eine ganze Branche dazu, es den Amerikanern gleichzutun. Deren Know-how sickerte durch die von Apple trainierten Zulieferer in die wachsende chinesische Hightech-Industrie. Schon Terry Guo, der legendäre Gründer des taiwanesischen Apple-Partners Foxconn, ließ sich vor allem deshalb auf die zunächst ruinöse Zusammenarbeit ein, um dabei die Fähigkeiten seines eigenen Unternehmens zu stärken.
Heute bieten chinesische Smartphone-Hersteller zum Teil bereits eine Qualität, die den Vergleich mit iPhone-Modellen nicht scheuen muss. Die Marktführerschaft in China hat Apple deshalb längst verloren. Im vergangenen Quartal fiel der Konzern den Analysten von IDC zufolge beim Marktanteil auf den fünften Platz. Die Anzahl der in China ausgelieferten iPhones ging demnach um neun Prozent auf 9,8 Millionen Stück zurück.
V. Der goldene Käfig
Dabei galten Apple-Produkte dort lange als das Statussymbol schlechthin. Kriminelle schmuggelten iPhones zeitweise aus dem Ausland nach China, wo sie mitunter für das Doppelte des US-Preises den Besitzer wechselten. Sogar Apple überraschte die hohe Nachfrage. In McGees Buch beschreibt etwa ein Postmitarbeiter Marktforschern des Konzerns, warum er ein iPhone kaufte, obwohl der Preis mehr als 30 Prozent seines Jahreseinkommens entsprach: „Wenn die Leute mich mit dem iPhone sehen, bin ich nicht bloß ein Briefträger.“ Die Region „Greater China“ stieg in wenigen Jahren zur umsatzträchtigsten nach Amerika und Europa auf.
Die Absatzprobleme, die Apple in der Volksrepublik mittlerweile plagen, sind deshalb ein Warnzeichen. Sie könnten – vergleichbar mit den Erfahrungen der deutschen Autoindustrie – ein Blick in die Zukunft sein. Bislang lautete eine gängige Branchenthese, dass iPhone-Nutzer, sofern sie sich einmal auf Apple eingelassen haben, nur in den seltensten Fällen zu einem anderen Hersteller wechseln.
Schließlich sind alle ihre Fotos, Nachrichten, Passwörter und Daten in Apples Systemen hinterlegt, die ihre geschmeidige, nahtlose Nutzung auf allen Geräten des Konzerns sicherstellen. Die Liebe zum Detail, mit der etwa das Betriebssystem iOS dabei designt ist, sorgt dafür, dass man es nicht mehr verlassen will. Ob Kopfhörer oder Uhren: Apple-Geräte funktionieren mit Apple-Geräten jeweils am allerbesten. Die Kunden zahlen lieber immer höhere Preise, als sich mit einem Qualitätsabfall zufriedenzugeben. Dieser „Lock in“-Effekt ist eine von Apples größten Stärken.
IDC-Analyst Geronimo sieht in ihm auch den wesentlichen potenziellen Trumpf von Apple Intelligence: Sofern die KI einmal funktioniere, könne der Konzern seine Kunden dank der engen Beziehung und der zahlreichen Daten, über die er potenziell verfüge, am kraftvollsten an sich binden. „Für sensible Daten könnte Apple Intelligence großartig sein“, sagt Geronimo.
Jahrelang sei es die „Milliarden-Dollar-Frage“ gewesen, wie man Kunden von Apple loseisen könne, sagt sein Kollege, CCS-Analyst Leo Gebbie. Die chinesische Konkurrenz, glaubt er, könnte nun erstmals im großen Stil Erfolg damit haben. Konzerne wie Xiaomi oder Huawei, die im Westen aufgrund von Sanktionen weitgehend vom Markt verschwunden sind, haben mittlerweile ihr eigenes Ökosystem erschaffen, das sogar um eigene Autos ergänzt wird. Ihre Smartphone-Umsätze nahmen zuletzt schnell zu.
KI-Assistenten haben sie ohnehin längst im Programm. Apple leidet hier zusätzlich unter der strengen Regulierung der Kommunistischen Partei, die nur zensierte KI-Modelle zulässt. Apple Intelligence ist in China deshalb bislang gar nicht verfügbar. Wenn im kommenden Jahr die neue KI-Siri auf den Markt kommt, könnte es in China also schon zu spät sein.
Im Rest der Welt, da sind sich die meisten Analysten sicher, dürfte die Loyalität der Kunden länger anhalten. Allein schon, weil KI-Funktionen außerhalb Chinas bislang noch zu selten über einen Kauf entscheiden. Bislang – denn dieser Zusammenhang könnte sich schnell umkehren, sobald ein Assistent einen großen Schritt nach vorn macht.
Tim Cook dürfte daran denken, wenn er am Montag im „Apple Park“ vor die Zuschauer tritt. Ersten Gerüchten zufolge geht es dann vor allem um ein neues Design für Apples Betriebssysteme. KI soll – mangels Fortschritten – in diesem Jahr nur eine Nebenrolle spielen.
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