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Wie CEOs starke Teams bauen

Das Topmanagement vieler Unternehmen ist geprägt von Rivalität. ­Angestammte Macht und Strukturen werden ­verteidigt. In unsicheren Zeiten braucht es aber Teamgeist und den Willen zur Veränderung. Wie CEOs die passenden Mitstreiter finden. Wir fordern Topmanager gern dazu auf, darüber nachzudenken, ob sie ihre gemeinsame Zeit tatsächlich damit verbringen, das Unternehmen zu führen und Wachstum voranzutreiben. Beantworten Sie sich die folgenden Fragen, um zu beurteilen, ob Sie und Ihr Team das Beste aus Ihren Meetings herausholen.

Von Paul Leinwand, Mahadeva Matt Mani und Blair Sheppard

Kaum ein Thema treibt Unternehmen derzeit so stark um wie die Digitalisierung. Natürlich ist sie ein Muss, selten jedoch ein Alleinstellungsmerkmal. Vielen Unternehmen wird klar, dass sie wirkliche Wettbewerbsvorteile nur dann erzielen können, wenn sie größere, weitergehende Ziele verfolgen. Herauszufinden, welche dies sind und wie sie sich erreichen lassen, ist Aufgabe von Topmanagerinnen und -managern. Sie müssen den Platz des Unternehmens in der Welt neu definieren und die Organi­sation so transformieren, dass sie den angestrebten Platz auch einnimmt. Dazu müssen sie nicht nur sich selbst ver­ändern, sondern auch die Art, wie sie das Unternehmen gemeinsam leiten.

Betrachten Sie einmal, wie sich die Fähigkeiten, die Führungskräfte brauchen, über die Zeit entwickelt haben – sowie das Ausmaß, in dem viele von ihnen mit den neuen Anforderungen zu kämpfen haben. Eine Umfrage von Strategy&, dem Beratungszweig von PwC, hob kürzlich hervor, wie wichtig es sei, Eigenschaften in Einklang zu bringen, die auf den ersten Blick paradox erscheinen.

Früher haben wir zum Beispiel akzeptiert, dass Führungskräfte entweder große Visionäre sind – oder hervorragende Macher. Damit ist es vorbei. Unternehmen verlangen von ihren Spitzenkräften heute, dass sie beide Rollen ausfüllen – dass sie „strategische Macher“ sind. Zugleich sollen sie „technikkundige Humanisten“, „integre Politiker“, „bescheidene Helden“, „globalistische Lokalisten“ und „traditionsbewusste Innovatoren“ sein (siehe Grafik „Paradoxe Erwartungen“). Die große Mehrheit der Befragten war sich nicht nur darüber einig, dass diese Rollen von sehr großer Bedeutung sind. Sie zeigte sich zugleich alarmiert, dass es Führungskräften an der Kompetenz fehlt, diese Rollen auszufüllen.

Wenn an der Spitze eines Unternehmens Lücken zu schließen sind, geht es aber nicht allein darum, die Fähigkeiten einzelner Führungskräfte zu fördern. Das ist erstrebenswert, wichtiger ist es jedoch, die kollektive Führung zu verbessern.

Grundlage für diesen Artikel ist das Buch „Beyond Digital“. Bei den Recherchen für dieses Buch haben wir Top­manager von zwölf bekannten Unternehmen befragt (dem US-Softwarehersteller Microsoft, dem spanischen Textilunternehmen Inditex, dem japanischen Mischkonzern Hitachi und neun weiteren). So haben wir Erkenntnisse darüber gewonnen, warum sich die Erwartungen an Führungskräfte verändert haben. Offensichtlich müssen Unternehmen neue Formen des Wettbewerbsvorteils entwickeln, statt einfach nur das, was sie heute tun, zu ­digitalisieren. Dazu müssen sie alte Glaubenssätze aufgeben und neue, mutigere Leistungsversprechen formulieren.

Unternehmen sollten aufhören, mit Wettbewerbern zu konkurrieren, und da­zu übergehen, mit Partnern in Netzwerken und Ökosystemen zu kooperieren. Auf diese Weise können sie Werte er­schaffen, wie es keinem einzelnen Unternehmen möglich wäre. Führungskräfte müssen willens sein, jeden Aspekt ihres Unternehmens zu hinterfragen: den Zweck, das Geschäftsmodell, Organisation und Abläufe, die Mitarbeiter, sich selbst. Außerdem gehören gängige Vorstellungen über Führung in ihr Gegenteil verkehrt. Führungskräfte dürfen sich nicht länger nur auf ihren eigenen Verantwortungs­bereich konzentrieren und auf das rea­gieren, was von unten zu ihnen dringt. Stattdessen sollten sie als Team zusammenarbeiten, um die Zukunft des Unternehmens zu gestalten.

Auf den folgenden Seiten wollen wir – aufbauend auf unseren Recherchen – CEOs zeigen, wie sie ein Führungsteam aufbauen können, das seiner Aufgabe ­gewachsen ist. Der Ansatz besteht aus vier Schlüsselkomponenten:

1. Definieren Sie die Führungsrollen, die das Unternehmen für die Zukunft rüsten. Damit Ihr Unternehmen relevant bleibt, benötigt es Kompetenzen, die es von anderen unterscheiden und die es der Organisation erlauben, ihre Ziele zu erreichen. Gefragt sind Führungskräfte, die eine Vorstellung davon haben, welchen Platz das Unternehmen in der Welt von morgen haben soll. Sie müssen Mitarbeiter mobilisieren können, um diesen Platz auch einzunehmen. Welcher Positionen bedarf es in Ihrem Führungsteam, um dies zu bewerkstelligen?

2. Wählen Sie die richtigen Leute für Ihr Team aus. Haben Sie die Rollen, die Ihr Team braucht, einmal definiert, müssen Sie sich überlegen, wer diese am besten ausfüllen kann. Welche Personen sollten Sie zusammenbringen, um das nötige ­Wissen und die nötige Vielfalt in der Führungsetage zu bündeln, um neue Ideen zu entwickeln, traditionelle Denkweisen zu hinterfragen und gemeinsam den Wandel zu gestalten?

3. Machen Sie Ihr Team zum Motor der Transformation. Sie und Ihre Kollegen müssen das Unternehmen voranbringen und die Agenda setzen – das bedeutet, dass Sie Ihre Zeit und Energie auf die ­großen Prioritäten der Zukunft richten sollten, statt nur auf die Anforderungen des Tagesgeschäfts zu reagieren. Welche Strukturen und Mechanismen würden Ihnen helfen, Ihr Unternehmen an sein neues Ziel zu führen?

4. Sorgen Sie für Teamgeist und fördern Sie die Zusammenarbeit. Um Kompetenzen aufzubauen, die Ihr Unternehmen unverwechselbar machen und ihm zu einem echten Wettbewerbsvorteil ver­helfen, ist ein hohes Maß an Zusammenarbeit erforderlich. Dazu kommt der Wille, eine Teammentalität zu entwickeln, damit die verschiedenen Teile Ihres Unternehmens wie ein harmonisches Ganzes funktionieren. Wie können Sie Vertrauen aufbauen und eine Kultur schaffen, die den kollektiven Erfolg befördert?

Wir haben diese Punkte zwar hinter­einander aufgelistet. Sie müssen aber parallel an allen gleichzeitig arbeiten, weil sie sich gegenseitig verstärken. Natürlich müssen Sie nicht gleich beim ersten Mal alles richtig machen. Kein leistungsstarkes Führungsteam, das wir kennen, wurde über Nacht aufgebaut, noch hat eines je alles perfekt gemacht. Das sollte jedoch nicht als Entschuldigung herhalten. Ihr Ziel ist es, an allen vier Fronten Fortschritte zu erzielen.

Definieren Sie Ihre Führungsrollen

Wenn CEOs die Fähigkeiten betrachten, über die ihr Unternehmen verfügen muss, ziehen sie oft folgenden Schluss: Sie müssen einige unkonventionelle Führungspositionen neu schaffen und andere, traditionelle Positionen aufgeben. So hat es in den vergangenen Jahren eine wahre Explosion an neuen Titeln gegeben: Chief Innovation Officer, Chief Data Officer, Chief Sustainability Officer, Chief Analytics Officer, Chief Behavioral Officer, Chief Brand Officer, Chief Customer Officer, Chief Design Officer und andere.

Am Ende zählt jedoch nicht der Titel. Entscheidend ist, dass diese neuen, sichtbaren Funktionen dazu führen, dass sich das Unternehmen auf die Fähigkeiten ­fokussiert, die es braucht, um sein neues Leistungsversprechen zu erfüllen.

Dazu kann auch die enge Zusammenarbeit mit externen Partnern gehören. Microsoft etwa hat den Posten eines Corporate Vice President für One Commercial Partner geschaffen – ein Programm, das seine Zusammenarbeit mit Unternehmen, die Microsoft-Produkte verkaufen und unterstützen, vereinfachen soll. Die Entscheidung, diese Führungsrolle zu schaffen, spiegelt die Bedeutung wider, die das Ökosystem für die Fähigkeit des Unternehmens hat, seine Kunden zu bedienen. Außerdem stellt es damit sicher, dass seine Partner bei der Entscheidungsfindung auf höchster Ebene vertreten sind.

Die Rollen, die Sie in Ihrem Team installieren, vermitteln eine Botschaft. Sie zeigen, welches strategische Ziel Sie ver­folgen – und wie Sie als Unternehmen sich verändern, um es zu erreichen.

Apple beispielsweise hat 2015 die Position des Chief Design Officers geschaffen. Dies signalisierte den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen (und der gesamten Welt), dass Design für das Unternehmen von extrem großer Bedeutung ist. Die neue Position hat enorm dazu beigetragen, dass das Unternehmen die weltweit besten Designer aus der Modeindustrie und anderen Branchen anlocken konnte. Design gehört heute zu den größten Stärken, die Apple jemals aufgebaut hat.

Ein kompetenzorientiertes Führungsmodell zu etablieren muss nicht auf einen Schlag durch eine umfassende Reorganisation geschehen. Jedoch bedauern es Führungskräfte zuweilen, wichtige Positionen nicht schnell genug gebildet und besetzt zu haben. Je genauer die Rollen in Ihrem Führungsteam auf die für den Erfolg nötigen Ergebnisse abgestimmt sind, desto besser. Falls Sie zu dem Schluss kommen, dass Sie vorübergehend einen Chief Digital Officer oder einen Chief ­Analytics Officer benötigen, sollten Sie diese Stellen nicht – einem „Piratenschiff“ gleich – außerhalb Ihrer Kernstruktur installieren, mit der Sie Kompetenzen aufbauen wollen. Vielmehr sollten Sie diese Positionen in die eigentliche Arbeit Ihres Unternehmens integrieren und mit den gewünschten Ergebnissen verknüpfen.

Es genügt nicht, die richtigen Rollen für Ihr Topmanagement zu definieren. Sie müssen die Positionen auch mit den richtigen Leuten besetzen – mit solchen, die über die erforderlichen Kompetenzen, Verhaltensweisen und Erfahrungen verfügen. Denken Sie dabei an die sechs paradoxen Erwartungen an Führungskräfte, die wir erwähnt haben. Nicht jeder und jede im Team muss sich dadurch auszeichnen, die damit verbundene Spannung allein auszugleichen. Doch zusammen sollten die Teammitglieder alle Erwartungen erfüllen. Wo sehen Sie in Ihrem Team Lücken? Welche Kompetenzen können Sie noch intern, in Ihrem eigenen Team, aufbauen, und welche müssen Sie von außen ins Team holen?

Es ist auch von Nutzen, Führungskräfte zu haben, die Probleme und Möglich­keiten aus einer anderen Perspektive betrachten können. Ihre Leute sollten sich selbst – und ihre Kollegen – in der Verantwortung sehen, die dringendsten, schwierigsten Probleme anzugehen und Pläne auch in die Tat umzusetzen. Suchen Sie daher Personen, die anders aussehen, denken, fühlen und handeln, als es in Ihrem Unternehmen üblich ist. Seien Sie offen dafür, kritisiert zu werden, ja, fördern Sie dies! Unter Umständen müssen Sie sogar damit aufhören, neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach dem alten Muster „Wie gut passt dieser Kandidat ins Unternehmen?“ zu beurteilen. Fragen Sie stattdessen: „Wie gut passen wir zu dieser Person?“

Suchen Sie Personen, die anders aussehen, denken und handeln, als es in Ihrem Unternehmen üblich ist.

Ziehen Sie bei Ihrer Suche nicht nur die üblichen Verdächtigen in Betracht. Vielleicht ist Ihre nächste Führungskraft jemand, der einmal eine widerspenstige neunte Klasse geleitet, ein Sportteam trainiert oder die Kommunalverwaltung geführt hat. Die Leute, die die Zukunft Ihres Unternehmens gestalten können, müssen nicht aus demselben Holz geschnitzt sein wie die herkömmlichen Führungskräfte mit ihrem MBA oder Ingenieursdiplom.

Um es klar zu sagen: Wir schlagen nicht vor, eine Initiative zur Förderung der Vielfalt in Ihrem Unternehmen zu gründen, die eine farbenfrohe Seite für Ihren Geschäftsbericht hergibt. Sie sollten auch nicht aus reinem Altruismus oder aus ­sozialem Engagement heraus atypische Personen einstellen. Solche Motive können zu Ihren Überlegungen beitragen, aber im Kern geht es darum, die Diversität, die Sie benötigen, strategisch aufzubauen. Im Führungsteam Ihres Unternehmens muss sich die Zukunft widerspiegeln, die Sie anstreben.

Suchen Sie nach Personen mit unterschiedlichen Erfahrungen, die in verschiedenen Ökosystemen gearbeitet haben und die Fähigkeiten, Technologien, Wege und Transformationsansätze kennen, die Sie brauchen werden. Sie wollen mit Führungskräften arbeiten, die unter Beweis gestellt haben, dass sie die Fähigkeiten, die Sie perfektionieren wollen, auf- und ausbauen können.

Ihr Team sollte auch die unterschied­lichen Meinungen innerhalb Ihres Ökosystems widerspiegeln. Zu diesen gehören die Kunden, die Sie bedienen möchten, Ihre Belegschaft und Ihre Partner. Sehr wahrscheinlich wird die Bandbreite von verschiedenen Geschlechtern über unterschiedliche nationale und ethnische Identitäten oder unterschiedliche Fähigkeiten bis hin zu Unterschieden in Bildung und wirtschaftlichem Hintergrund reichen.

Carla Kriwet, die ehemalige Leiterin von Connected Care, einer Sparte des niederländischen Gesundheitstechnologiekonzerns Philips, sagte uns, dass ihr Führungsteam dort sich manchmal „wie die Vereinten Nationen“ angefühlt habe. Eine derart multikulturelle Truppe schien ihr jedoch eine Notwendigkeit zu sein: „Wenn ein Team aus Amerikanern besteht, die Europa nur als einen US-Bundesstaat ansehen, funktioniert das nicht, da sich die Gesundheitssysteme und Kostenerstattungsmodelle [von Land zu Land] sehr stark unterscheiden. Besteht es umgekehrt nur aus Europäern, die nicht wissen, wie die großen Krankenhausketten in den USA arbeiten und welche Probleme diese beispielsweise in Sachen Cybersicherheit beschäftigen, funktioniert das allerdings auch nicht.“

Ihr Schluss: „Sollte jemand Teil meines Führungsteams werden, gehörte es für mich zu den wichtigsten Anforderungen, dass diese Person tatsächlich [im Ausland] gelebt haben musste. Nur so kann jemand wissen, was kulturelle Unterschiede wirklich bedeuten.“

Ein CEO, mit dem wir zusammengearbeitet haben, berichtete uns, dass sich seine Arbeit wenig effektiv angefühlt habe – bis er eines Tages von Grund auf geändert habe, wie er sie gestaltete. „Früher habe ich meine ganze Zeit damit verbracht, auf die Probleme anderer Leute zu reagieren, per E-Mail, mit Meetings – der ganze Tag war damit gefüllt, Entscheidungen über Fragen zu treffen, die andere Leute an mich herantrugen. Eines Tages erkannte ich: Die einzige Möglichkeit, das Unternehmen tatsächlich zu führen, bestand für mich darin, die Arbeit zu tun, die ich für erforderlich hielt, um das Unternehmen voranzubringen.“

Zeit ist die knappste Ressource im Topmanagement. Worauf konzentrieren sich die Chefs und Chefinnen in den Führungsetagen – und wie gewährleisten sie, dass das Dringliche nicht das Wichtige verdrängt? Angesichts der Komplexität der Aufgabe, heute ein Unternehmen erfolgreich zu führen, ist es wichtiger denn je, dass Ihr Führungsteam seine Ziele sehr bewusst formuliert. Es muss sicherstellen, dass es den Wandel vorantreibt – statt zuzulassen, dass seine Agenda von Wünschen dominiert wird, die von unten an die Spitze dringen.

Führungsteams werden immer zwei sehr unterschiedliche Aufgaben bewältigen müssen: sich einerseits um das Tagesgeschäft zu kümmern und anderseits an der Zukunft zu arbeiten, der sie sich verpflichtet haben.

Der CEO von Philips, Frans van Houten, sagt: „Wir sprechen über die Notwendigkeit, Leistung zu bringen und zugleich das Unternehmen zu transformieren. Wenn Sie nur noch mit Transformation beschäftigt sind, aber keine Leistung mehr bringen, sind Sie nicht mehr im Hier und Jetzt. Wenn Sie hingegen nur Leistung bringen, ohne das Unternehmen zu transformieren, haben Sie keine Zukunft. Deshalb messen wir beides, deshalb gehen wir in unseren Scorecards auf beides ein. Und zu den Zielen, die ich all meinen Führungskräften vorgebe, gehören immer auch einige, die mit der Transformation des Unternehmens zu tun haben.“

Einige Firmen richten Arbeitsgruppen nur zu dem Zweck ein, ihre Bemühungen zur strategischen Transformation zu steuern. Dies soll gewährleisten, dass diese Bemühungen Priorität erhalten und tatsächlich umgesetzt werden. Zu einer solchen Arbeitsgruppe gehören in der Regel viele der operativ Verantwortlichen – und um neue Denkansätze zu geben, umfasst sie womöglich auch Mitarbeiter der unteren Ebenen. Für welche Struktur Sie sich auch entscheiden: Nehmen Sie Ihr Team in die Pflicht, schwierige Fragen anzu­gehen, um die Zukunft des Unternehmens zu gestalten.

Das erschöpft sich allerdings nicht darin, die großen Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen. Vielmehr muss sich das Topmanagement auch darum kümmern, dass diese Entscheidungen erfolgreich umgesetzt werden. Genau darum geht es beim Führungsparadoxon des „strategischen Machers“. Ihre Topmanagerinnen und -manager müssen sich die Hände schmutzig machen, wenn sie sich durch die vielen kleinen Details der Umsetzung kämpfen und dafür sorgen, dass die Aktivitäten in all den verschiedenen Teilen des Unternehmens ein einheit­liches Ganzes ergeben.

Howard Schultz hat das als CEO von Starbucks verinnerlicht. Er hatte die Vision, dass seine Cafés ein „dritter Ort“ sein sollten, wo Menschen gern Zeit verbringen, jenseits ihres Büros und ihres Zuhauses. Und er arbeitete bis ins kleinste Detail an der Umsetzung seiner Vision mit.

So entschied er beispielsweise, dass die Mitarbeiter in den Coffeeshops Kaffeebohnen mahlen sollten, um schöne Aromen zu erzeugen, statt geschmacksversiegelte Kaffeetüten mit gemahlenen Bohnen zu verwenden. Er ließ auch große Espressomaschinen durch kleinere ersetzen, sodass Kunden leichter mit den Baristas reden konnten, die den Kaffee zubereiteten. Er ordnete an, keine Produkte mehr neben den Kassen zu platzieren, obwohl diese Umsatz brachten. Er war der Meinung, dass darunter das Kundenerlebnis litt, das Starbucks von Konkurrenten wie McDonald’s und Dunkin’ Donuts unterschied. Schultz kümmerte sich sogar um die Auswahl der Musik, die in seinen ­Läden gespielt wurde.

In vielen Unternehmen gibt es jede Menge Rivalität in den oberen Rängen. Topmanager wetteifern gern, wessen Sparte die beste Performance hingelegt hat, wer am meisten zum Unternehmensergebnis beigetragen hat oder wer der Nachfolger oder die Nachfolgerin des CEOs wird. Derlei individualistisches Denken wird in modernen Unternehmen belohnt, da es zuweilen das Verantwortungsgefühl für das eigene Ergebnis fördert. Der Transformation steht es jedoch im Weg. Ihr Ziel sollte es daher sein, dass jedes Teammitglied versteht, warum sich Ihr Unternehmen verändern muss, welche einzigartige Position Sie in der Welt anstreben und welche besonderen Kompetenzen Sie benötigen, um ans Ziel zu kommen. Alle Mitglieder Ihres Teams müssen sich das Transformationsprogramm voll und ganz zu eigen machen und erkennen, dass ihre persönlichen Ziele und Pläne an dessen Erfolg geknüpft sind.

Verantwortung für die Vision ist indes nicht genug. Sie müssen auch einen gemeinsamen Zweck formulieren: Warum existiert Ihr Team? Welche großen Probleme soll es lösen? Wenn sie ihre Verantwortungsbereiche definieren, sollten Ihre Teammitglieder davon überzeugt sein, dass ihre größte Aufgabe darin besteht, das Unternehmen erfolgreich durch den Transformationsprozess zu führen – und dass der Erfolg von ihrer Zusammenarbeit abhängt, dass er mehr ist als die Summe der Einzelleistungen aller Abteilungen. Auch sollten Sie klarstellen, dass Zusammenkünfte der Führungsmannschaft nicht dazu da sind, Vorschläge zu genehmigen oder abzu­lehnen, sondern um gemeinsam Mehrwert zu erschaffen.

Formulieren Sie einen gemeinsamen Zweck: Warum existiert Ihr Team? Welche Probleme soll es lösen?

Der vielleicht wirksamste Mechanismus, das Team zur Zusammenarbeit zu bewegen, besteht darin, zur Lösung von Aufgaben, die das gesamte Unternehmen betreffen, zwei Führungskräfte zusammenzuspannen. Wenn Sie sich neu erfinden, haben Sie mehr als genug Probleme zu bewältigen. Und um diese Probleme zu lösen, müssen Sie innerhalb des Teams vielschichtige Kompetenzen entwickeln. Ihre Führungskräfte werden sich im Gespann besser kennenlernen, Stärken vereinen und besser verstehen, was für den Erfolg wichtig ist und welche Zwänge existieren, die außerhalb ihres Einflusses liegen. Wenn sie dann Lösungen finden, können sie das Lob teilen und die Kraft erkennen, die darin steckt, bei komplizierten Problemen verschiedene Perspektiven einzubringen.

Diese Art der Zusammenarbeit setzt Vertrauen voraus – etwas, das bei kompetitiven Topmanagerinnen und -managern zuweilen rar ist. Daher müssen CEOs die Überzeugung verbreiten, dass sich jeder für das Team und dessen Mission engagiert. Anders wird eine umfassende Transformation nicht funktionieren.

Frans van Houten von Philips berichtet: „Ich fing damit an, mit meinem Führungsteam Meetings außerhalb des Büros abzuhalten. Dadurch wollte ich einen Raum schaffen, in dem wir über schwierige Probleme diskutieren und über uns selbst nachdenken konnten. Was wollen wir erreichen? Wie sieht Erfolg aus? Aber auch: Warum bist genau du hier? Möchtest du hier sein? Und wenn du hier bist, kannst du deine Themen in den Gesprächen mit den Kollegen anders ansprechen?“

Bei der Frage, wie sich das Team verhält, geht es nicht darum, die Führungskräfte dazu zu bringen, sich gegenseitig zu mögen und einer Meinung zu sein. Es geht vielmehr darum, jeden zu ermutigen, die Themen aufs Tapet zu bringen, Probleme gemeinsam zu lösen, Entscheidungen schnell zu treffen und sich für den Erfolg eines jeden zu engagieren. Deshalb stellen effektive Teams auch Regeln und Mechanismen auf, die es erleichtern, um Hilfe zu bitten oder Kollegen darauf hinzuweisen, wenn sie Zusagen nicht eingehalten haben.

Philips zum Beispiel führte bei den Offsite-Meetings des Vorstands Übungen im Stil eines Speeddatings ein, um sich gegenseitig Feedback zu geben. Jeden Tag musste sich jedes Teammitglied mit fünf anderen Mitgliedern austauschen und zwei Dinge mitteilen: einen wertschätzenden Kommentar über den anderen und einen Vorschlag, wie der andere in seinem Job wachsen kann.

Das Topmanagement kann eine große Transformation nicht allein stemmen. Die neue Art der Führung, die wir vertreten, wird sich kaskadenartig bis in die unteren Ebenen des Unternehmens durchsetzen müssen, um überall für mehr Führungsstärke zu sorgen (siehe Kasten: „Wie gut führt Ihr Führungsteam?“).

Allerdings fängt alles in der obersten Etage an. Umgeben Sie sich mit talentierten Menschen, die scheinbar paradoxes Führungsverhalten vereinen können und sich gegenseitig herausfordern, um zusammen Großes zu erreichen. Das Wichtigste ist jedoch, sicherzustellen, dass Ihr Führungsteam tatsächlich führt: Das Team muss sich die Zeit nehmen und die Energie aufbringen, ein mutiges Ziel zu formulieren und die ehrgeizigen Vorhaben anzustoßen, von denen Ihre Zukunft abhängt. Unterlassen Sie das, wird es sich als kostspieliger Fehler erweisen. Sind Sie hingegen erfolgreich, werden Sie ein starkes Team haben, das Ihr Unternehmen in einer zunehmend komplexen Welt auf Erfolgskurs bringt. © HBP 2022

Die Autoren

Paul Leinwand ist der Managing Director für kompetenzorientierte Strategie und Wachstum bei Strategy&, dem Beratungszweig der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. Er ist Professor für Strategie an der Kellogg School of Management der Northwestern University in Illinois, USA, und Co-Autor mehrerer Bücher, unter ihnen "Beyond Digital: How Great Leaders Transform Their Organization and Shape the Future" (Harvard Business Review Press 2022).

Mahadeva Matt Mani ist Partner bei Strategy& in Amsterdam und leitet die Transformationsplattform von PwC und Strategy&. Er ist Co-Autor des Buches "Beyond Digital".

Blair Sheppard ist der weltweite Chef für Strategie und Führung bei PwC.

Kompakt

Das Problem Um in unserer komplexen Welt ­erfolgreich zu sein, müssen sich Unternehmen über die Digitalisierung hinaus weiterentwickeln. Sie müssen das, was sie tun, neu erfinden, um sich vom Wettbewerb abzu­setzen. Die meisten Führungsteams sind jedoch nicht in der Lage, ihre Unternehmen grund­legend zu transformieren und für die Zukunft richtig aufzustellen.

Die Lösung CEOs müssen ihre Teams anders zusammenstellen und leiten. Ihre Topführungskräfte müssen sich künftig darauf konzentrieren, den Wandel voranzutreiben, statt nur das Tagesgeschäft zu verwalten. CEOs sollten dafür die nötigen Führungsrollen identifizieren, die Positionen mit den richtigen Persönlichkeiten besetzen, das Team auf Wandel ausrichten und die Zusammenarbeit seiner Mitglieder fördern.

Wie gut führt Ihr Führungsteam?

Wir fordern Topmanager gern dazu auf, darüber nachzudenken, ob sie ihre gemeinsame Zeit tatsächlich damit verbringen, das Unternehmen zu führen und Wachstum voranzutreiben. Beantworten Sie sich die folgenden Fragen, um zu beurteilen, ob Sie und Ihr Team das Beste aus Ihren Meetings herausholen.

  • Wie viel Zeit verbringen Sie mit dem Tagesgeschäft – und wie viel Zeit damit, die Zukunft Ihres Unternehmens zu gestalten?

  • Wie viel Zeit verbringen Sie damit, auf das zu reagieren, was andere an Sie herantragen, statt die Agenda des Topteams zu verfolgen?

  • Wie oft bringen Ihre strategischen Diskussionen Sie dazu, dass Sie schwierige Entscheidungen zur Zukunft Ihres Unternehmens treffen müssen?

  • Wenn Ihr Team sich mit der Strategie befasst, konzentrieren Sie sich dann auf externe Faktoren oder auf die Entscheidungen, die Ihre Organisation treffen muss?

  • Wie viel Zeit verbringen Sie damit, im Nachhinein Maßnahmen zu überprüfen, statt frühzeitig selbst Handlungen und eine Richtung vorzugeben?

  • Wie oft bitten Sie Ihre Kollegen, einen Vorschlag detaillierter auszuarbeiten und erneut vorzulegen, weil Ihr Team gerade nicht über die Energie oder eine klare Zielsetzung verfügt, um eine Entscheidung zu treffen?

  • Wie oft verbringen Sie Ihre Zeit ­damit zu diskutieren, wer für die Lösung eines Problems zuständig ist, statt es anzugehen?

  • Wie oft arbeiten Sie und andere Mitglieder des Führungsteams gemeinsam an einem Problem?

  • Wie gut kennen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen im Führungsteam? Denken Sie, dass sich die anderen für Ihren Erfolg interessieren – und umgekehrt?

Die Antworten könnten Sie überraschen. Einige Teams stellen fest, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Zeit auf eher unproduktive Weise verbringen. Noch entscheidender ist, dass sie erkennen, dass sie ihre Energie nicht in die Transformation stecken, die ihr Unternehmen für den Erfolg in der Zukunft benötigt.

Dieser Artikel erschien erstmals in der Juli-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

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