Navigation überspringen
article cover
Bild: Dmitri Broido
Premium

Wie Chefs auch die Schüchternen im Team fördern

Wer leise ist, wird seltener befördert. Dabei schlummert in Introvertierten ein immenses Potenzial, das Chefs durchaus heben können.

Eine Führungsposition? Lidija Müller lehnt das immer wieder ab. „Ich bin dafür nicht laut genug“, teilt sie ihrem Vorgesetzten mit, wenn der sie mal wieder befördern will. Dann, eines Tages, gibt sich der Chef nicht mehr damit zufrieden: „In allen Projektteams, in denen du gearbeitet hast, hast du einen super Job gemacht, du gibst Menschen Vertrauen, bist transparent – auch, wenn es Dinge gibt, die du nicht kannst“, holt er aus. Das Fazit: „Du hast alles, was eine Führungskraft für uns braucht.“ Und klar, es gibt auch mehr Geld. Also: „Mach!“

Müller sagt zu – und blickt nie mehr zurück. Immer weiter steigt die studierte Biologin im Unternehmen auf, hat irgendwann 30 Mitarbeiter unter sich. Vor eineinhalb Jahren wechselt sie zu einem großen Pharmakonzern, auf eine „Head of“-Position. Noch immer stellt sie sich ungern selbst in den Mittelpunkt. Anonym bleiben aber will die Managerin, die eigentlich anders heißt, vor allem, weil sie Introversion, Zurückhaltung und Schüchternheit in der Wirtschaftswelt noch immer als stigmatisierte Begriffe wahrnimmt, sagt sie – jedenfalls in der Führungsriege.

Zu Unrecht unterschätzt

Denn wer andere führen will, so die gängige Meinung, darf nicht so sein, wie Müller sich selbst beschreibt: „weniger laut“. Extrovertierte Menschen bauen schneller Netzwerke auf, insbesondere Beziehungen zu anderen Extrovertierten. Und so befördern sie immer wieder ihresgleichen – seit Jahrzehnten schon, ob bewusst oder unbewusst.

Dabei belegen zahlreiche Studien, dass Introvertierte nicht schlechter führen – im Gegenteil: Obwohl extrovertierte Führungskräfte die Leistung steigern, wenn Mitarbeiter wenig Eigeninitiative zeigen, kehrt sich dieser Effekt bei besonders engagierteren Mitarbeitern um, fanden etwa Forscher der University of Pennsylvania, der Harvard University und der University of North Carolina heraus. Introvertierte Führungskräfte lieferten „genauso gute oder bessere Ergebnisse als extrovertierte“, betont auch die US-Autorin Susan Cain, die mehrere Bücher über Introversion verfasst hat, darunter den Bestseller „Quiet“ (deutscher Titel: „Still – Die Kraft der Introvertierten“). Und: Ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung ist Schätzungen zufolge introvertiert – ein immenses ungenutztes Potenzial. Deshalb lautet Cains Appell: „Wir müssen dafür sorgen, dass talentierte junge Introvertierte als Führungskräfte gefördert werden!“

Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

Die Macht der Sicherheit

Vielleicht so wie der Chef von Lidija Müller: Er machte sich und ihr selbst bewusst, was Müllers Stärken sind, lud dazu ein, alte Überzeugungen über vermeintlich gute Führungskräfte über Bord zu werfen. Ihr Chef habe ihr damals klargemacht, dass sie nicht trotz ihrer ruhigen Art geschätzt wird, sondern genau deswegen, erinnert sich die Managerin. „Und genau das versuche ich meinen introvertierten Mitarbeitern heute auch zu vermitteln: Du bist gut, wie du bist. Und du arbeitest hier, weil du viel Fachwissen hast, das sonst keiner hier hat.“ Diese Sicherheit zu geben, „dass man genau für das geschätzt wird, was man ist und kann – das ist das Wichtigste, was ich meinem Team schenken kann“, zeigt sie sich überzeugt.

Dass das gerade für Introvertierte nicht selbstverständlich ist, hat auch Müller selbst in ihrem beruflichen Leben oft genug erfahren. Denn bei Weitem nicht alle Vorgesetzten förderten sie so wie jener, der ihr letztlich den Weg zur Laufbahn als Führungskraft ebnen sollte. Als Müller nach ihrem Studium im Labor forscht, hat sie sogar den Eindruck, als jemand, der stiller ist, „überrannt“ zu werden, erinnert sie sich: „Leute wie ich, die nicht so laut waren, bekamen dort deutlich weniger Möglichkeiten, ihre Kompetenz zu zeigen.“ Oft habe sie das Gefühl gehabt, dass sich andere, jene mit „offensichtlicherer Durchsetzungsstärke“, mit ihrer Arbeit schmückten. „Ich dagegen bekam nie das Forum, sie auch vorzustellen, etwa auf einem Kongress.“

Dahinter steckt in vielen Fällen gar kein böser Wille. Schuld seien vielmehr unbewusste Vorurteile, die sich über Jahrzehnte kulturell eingeprägt hätten, sagt die US-Autorin Jennifer Kahnweiler, die sich seit mehr als 15 Jahren mit Introversion am Arbeitsplatz beschäftigt: „Viele Kulturen in unserer westlichen Gesellschaft sind eher extrovertiert. Und die damit verbundenen Erwartungen übertragen sich eins zu eins auf den Arbeitsplatz.“ Sie rät Führungskräften dazu, in sich zu gehen, bevor sie gewisse Erwartungen an Mitarbeiter hegen, vorher abzuwägen: „Mit welchem Temperament habe ich es zu tun?“ Oft werde etwa vorausgesetzt, dass jemand sofort auf Fragen antwortet – eine typisch extrovertierte Verhaltensweise. Introvertierte Mitarbeiter gingen aber oft lieber zunächst in sich – und kämen dafür mit umso fundierteren und zielführenderen Antworten zurück. Führungskräfte sollten sich das bewusst machen, empfiehlt Kahnweiler.

Das gilt etwa auch für die Mimik. „Es wird häufig erwartet, dass Mitarbeiter viele Emotionen im Gesicht zeigen“, sagt Kahnweiler. Wer seine Emotionen weniger nach außen trage, habe es schwerer, gefördert zu werden oder im Unternehmen aufzusteigen. Eine aktuelle Studie der Harvard Business School bestätigt das: Ungeachtet ihres tatsächlichen Maßes an Leidenschaft, werden extrovertierte Mitarbeiter demnach als leidenschaftlicher wahrgenommen. Was wiederum „zu erheblichen Ungleichheiten am Arbeitsplatz“ führe, schreiben die Autoren der Studie: Denn wer als leidenschaftlicher wahrgenommen werde, der werde auch eher gefördert.

Verborgene Leidenschaft

Dabei drücken Introvertierte ihre Leidenschaft nur häufig anders aus, etwa indem sie sich lange und tief in Themen vergraben – ohne dass Außenstehende das mitbekommen. Deshalb sei es für Führungskräfte enorm wichtig, gegen die eigene Voreingenommenheit vorzugehen und zu verhindern, „dass sie ihren eher introvertierten Mitarbeitern schadet“, schreiben die Autoren der Harvard-Studie. Und raten: „Nehmen Sie sich Zeit, die Verhaltensweisen und Ausdrucksformen kennenzulernen, die für jeden Einzelnen am natürlichsten sind.“ Anschließend, so die Empfehlung der Forscher, sollten Manager gemeinsam mit den Mitarbeitern Lösungen finden: Wenn jemand in Meetings beispielsweise ungern im Mittelpunkt stehe, könne er sein Engagement auch anders vermitteln – etwa durch regelmäßige schriftliche Berichte.

Toan Nguyen, Chef der Werbeagentur Jung von Matt Nerd, hat das bereits beherzigt. Auch, weil er selbst introvertiert ist. Einen Großteil seines 18-köpfigen Teams beschreibt der Manager als „klassisch introvertiert – sehr ruhig und bedacht“. Aber: „Die sind nur still in der Lautstärke.“ Sobald er in die Chats blicke, erlebe er einen äußerst regen Austausch. Deswegen habe er in seinem Unternehmen ganz gezielt Möglichkeiten geschaffen, um schriftlich zu kommunizieren: Die Chatrooms etwa schafften „eine perfekte Plattform, um zu sehen, wer es richtig drauf hat“, sagt Nguyen. Dort gehe es dann nicht darum, wer am lautesten schreit, sondern darum, wer die besten Gedanken und Fakten bringt. Und: Im Chatfenster sind keine mehr oder weniger leidenschaftlichen Gesichter zu sehen.

Eine Alternative sind Einzelgespräche. Allerdings: „Wenn Sie es mit einem introvertierten Mitarbeiter zu tun haben, sollten Sie niemals sagen: Kommen Sie mal am Freitag in mein Büro“, betont Jennifer Kahnweiler. Stattdessen: „klar mitteilen, was das Ziel eines Meetings ist“, Zeit und Informationen zur Vorbereitung geben. Nguyen etwa geht regelmäßig ein bis zwei Stunden mit einzelnen Mitarbeitern brunchen. Er versuche, in solchen Gesprächen auf eine Ebene des gegenseitigen Verständnisses zu kommen, sagt er: „Was bewegt dich? Was interessiert dich? Wie kannst du am besten arbeiten?“

Dabei ist Nguyen selbst nicht schüchtern, im Gegenteil: Er sei schon auch eine „Rampensau“, sagt er. Diese Persona kann er auf Knopfdruck einschalten. Und macht das auch, eigentlich jeden Tag: Er steht auf Bühnen, gibt Interviews. Bis ihm plötzlich alles zu viel wird. Dann, von einem Moment auf den anderen, zieht er sich zurück. Dass Nguyen introvertiert ist, war ihm lange nicht bewusst: „Bis 30 dachte ich noch, es sei gar nicht so.“ Dann, vor sieben Jahren, fiel ihm plötzlich auf: Energie gewinnt er ausschließlich in Isolation und Einsamkeit. Die Rolle als Rampensau ist für ihn zwar auch erfüllend. Aber vor allem: anstrengend.

„Es ist ein Spektrum, wir alle haben Extrovertiertes und Introvertiertes in uns“, so formuliert es Jennifer Kahnweiler. Der wichtigste Schritt für Manager liege deshalb, auch beim Umgang mit introvertierten Mitarbeitern, in der Selbsterkenntnis: „Zuallererst müssen Führungskräfte sich selbst verstehen. Erst dann kommen die anderen.“

Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

Wie Chefs auch die Schüchternen im Team fördern

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

WirtschaftsWoche

Deutschlands führendes Wirtschaftsmagazin – verstehen zahlt sich aus.

Artikelsammlung ansehen