Chipfertigung: In China entstehen deutlich mehr Halbleiterwerke als in anderen Ländern. - Foto: Moment/Getty Images
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Wie China eine neue Industrie aus dem Boden stampft

Eine exklusive Analyse für das Handelsblatt zeigt, dass die Volksrepublik mehr Halbleiterwerke baut als jedes andere Land. Die Sorge: China könnte die Welt mit billigen Chips überfluten. Die EU ist alarmiert.

München, Peking. Nirgendwo entstehen so viele neue Chipwerke wie in China. Seit 2021 haben die Halbleiterhersteller in dem Land knapp 100 Investitionen in neue Fabriken angekündigt. Das geht aus Daten hervor, die der Lieferkettenspezialist Everstream exklusiv für das Handelsblatt ausgewertet hat.

Die Volksrepublik hat die westlichen Nationen damit deutlich übertroffen. Laut Everstream wurden in den USA im gleichen Zeitraum 29 Chipfabriken initiiert, in Europa 20. Allein in diesem Jahr wurden in China mehr als zwei Dutzend Projekte bekannt gemacht.

Die einzelnen Werke sind der Analyse zufolge zudem vergleichsweise günstig, im Schnitt kosten sie nur 1,2 Milliarden Dollar. Bei den neuen Werken in den USA sind es gut elf Milliarden. Das Gros der Fabriken entsteht laut Studie für zwei- beziehungsweise dreistellige Millionenbeträge.

Die vergleichsweise niedrigen Investitionen in China würden darauf hindeuten, dass dort „keine Hochleistungschips, sondern Massenware produziert wird“, sagt Everstream-Spezialist Mirko Woitzik. Derartige Chips werden in praktisch allen Bereichen des täglichen Lebens eingesetzt, von Autos über Kaffeemaschinen bis zu Waschmaschinen. Die einzelnen Chips kosten häufig nur Centbeträge.

Die chinesische Regierung will das Land unabhängiger von ausländischer Technologie machen – und damit weniger angreifbar für westliche Tech-Sanktionen. Der Aufbau einer eigenen Halbleiterindustrie ist für diesen Plan zentral.

Drohen Verhältnisse wie in der Solarindustrie?

Die EU-Kommission ist angesichts des Booms der Billig-Chipproduktion in China alarmiert. Sie habe damit begonnen, bei europäischen Unternehmen Informationen dazu einzuholen, wie sie den Kapazitätsaufbau in dem Land bei Chips älterer Generationen bewerten, berichtete jüngst die Nachrichtenagentur Reuters.

Die Sorge: Es werden Überkapazitäten aufgebaut und die Produkte dann zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen. Wie einst die Hersteller von Solaranlagen könnte dies künftig auch die europäische Chipindustrie ins Mark treffen.

Die Ambitionen Chinas sind dabei klar: Die heimische Chipindustrie habe zwar „noch kein explosives Wachstum erreicht“, sagte Chen Nanxiang, Chef des größten chinesischen Speicherchipherstellers Yangtze Memory Technologies Corporation (YMTC), jüngst in einem Interview mit dem Staatssender CGTN, „aber dieser Tag wird in den nächsten drei bis fünf Jahren kommen.“ Chen ist auch Vorsitzender der China Semiconductor Industry Association (CSIA).

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Seit Jahren investiert der chinesische Staat beträchtliche Summen in die Chipindustrie. Ende Mai hat die Staatsführung den bisher größten Halbleiterfonds in der Geschichte Chinas ins Leben gerufen. Das Ziel ist, 47,5 Milliarden Dollar zu mobilisieren. Dies ist bereits das dritte Subventionspaket dieser Art. Das erste wurde von Staatschef Xi Jinping vor zehn Jahren initiiert, lange bevor der Westen begann, die Branche umfassend staatlich zu fördern.

Chipfabrik von Micron in den USA: Wer Staatshilfen in Amerika annimmt, darf in China nur noch eingeschränkt investieren. - Foto: Bloomberg
Chipfabrik von Micron in den USA: Wer Staatshilfen in Amerika annimmt, darf in China nur noch eingeschränkt investieren. - Foto: Bloomberg

Bereits 2015 hat die Staatsführung in ihrer industriepolitischen Strategie „Made in China 2025“ das Ziel ausgegeben, bis 2025 rund 70 Prozent der benötigten Halbleiter lokal herzustellen.

Zuletzt hatte die Spitze der herrschenden Kommunistischen Partei einmal mehr die Bedeutung der Förderung von Schlüsseltechnologien betont. So beschloss das Zentralkomitee in der vergangenen Woche, einen Mechanismus einzurichten, der die „Aufstockung der Mittel für Zukunftsbranchen sicherstellt“. Zudem sollen „wichtige Lieferketten wie die der integrierten Schaltkreise“ gestärkt werden.

Chinas Präsident kümmert sich um die Chips

Welche Bedeutung Xi dem Thema beimisst, macht eine Szene vom Volkskongress aus dem vergangenen Jahr deutlich: Stolz berichtete Shan Zhenghai, Chef des größten chinesischen Kranherstellers, dass sein Gelände-Kran XCA220 inzwischen zu 100 Prozent lokal gefertigt wird.

Der Staatschef hakte prompt nach: „Sind die Chips in euren Kränen in China hergestellt?“ Als Shan die Frage bejahte, betonte Xi: Ein großes Land wie China könne sich nicht auf den internationalen Markt verlassen, es müsse seine Herausforderungen aus eigener Kraft meistern.

Dass die Staatsführung die eigene Chipindustrie nun noch stärker unterstützt, ist auch eine Reaktion auf Sanktionen der USA. Im Oktober 2022 hatte die US-Regierung Exportrestriktionen auf Hightech-Halbleiter erlassen, die im vergangenen Jahr noch mal verschärft wurden. Chinesische Unternehmen sind seitdem weitgehend vom Zugang abgeschnitten.

Zudem dürfen Maschinenbauer wie ASML aus den Niederlanden ihre fortschrittlichsten Anlagen für die Chipproduktion nicht nach China liefern. Diese sind jedoch unerlässlich, um Chips mit den kleinsten Strukturgrößen unter sieben Nanometern herzustellen. Dass in China vorrangig Werke für bereits ausgereifte Chiptechnologien entstehen, ist deshalb kein Zufall.

Die sogenannten EUV-Maschinen von ASML kosten in der modernsten Variante mehrere hundert Millionen Euro. Mit ihnen lassen sich zum Beispiel Chips von Nvidia herstellen, die für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz nötig sind. In den USA entsteht derzeit eine ganze Reihe von Werken mit diesen Maschinen.

Notgedrungen kaufen chinesische Hersteller nun verstärkt Equipment für in die Jahre gekommene Chipgenerationen. So berichtet der Finanzchef des japanische Ausrüsters Nikon, Muneaki Tokunari, von einer starken Nachfrage aus China nach Anlagen, die genau dafür geeignet sind: „Unsere älteren Maschinen werden in China zur Herstellung sogenannter Legacy-Chips verwendet, und wir erhalten bemerkenswerte Anfragen für unser neues Modell.“ Nikon bringt diesen Sommer eine neue Maschine speziell für weniger filigrane Chipstrukturen auf den Markt.

Trotz Milliardeninvestitionen ist es China bislang nicht gelungen, den technologischen Rückstand aufzuholen, wohl auch weil das staatliche Geld zum Teil in die falschen Taschen floss. Im vergangenen Jahr erschütterte ein Korruptionsskandal den nationalen Chipfonds. Eine ganze Reihe hochrangiger Manager wurden verhaftet, darunter der ehemalige Chef Ding Wenwu.

Messeauftritt von Huawei: Der IT-Konzern spielt eine zentrale Rolle für Chinas Aufholjagd bei Chips. - Foto: Wolf von Dewitz/dpa-Zentralbild/
Messeauftritt von Huawei: Der IT-Konzern spielt eine zentrale Rolle für Chinas Aufholjagd bei Chips. - Foto: Wolf von Dewitz/dpa-Zentralbild/

Inzwischen setzt Peking Experten zufolge auf eine neue Chipstrategie, in deren Zentrum der IT-Ausrüster Huawei steht. Ziel sei es, eine rein chinesische Lieferkette für die Fertigung von Hightech-Chips zu schaffen, schreibt der Tech-Experte Paul Triolo vom US-Thinktank CSIS in einer Analyse für die Zeitschrift „American Affairs“. Huawei habe „mit ziemlicher Sicherheit auch eigene Anstrengungen unternommen, um einen rein chinesischen Produktionsprozess aufzubauen“. Der Konzern forsche auch an fortschrittlichen Chipproduktionsmaschinen.

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Ausländer investieren kaum noch in China

Wie schwer sich Huawei und sein Partner, Chinas führender Chiphersteller SMIC, allerdings bei der technologischen Aufholjagd tun, zeigte ein Artikel der koreanischen Zeitung „Chosun“ Ende Juni: Demnach sind vier von fünf Chips des Typs Ascend 910B mit einer Strukturgröße von sieben Nanometern fehlerhaft.

Laut Medienberichten sind für die Herstellung von Sieben-Nanometer-Chips mit fortschrittlichsten Anlagen nur neun Produktionsschritte erforderlich. Diese Maschinen dürfen jedoch nicht an China geliefert werden. Mit den in der Volksrepublik verwendeten Maschinen werden den Berichten zufolge für die Fertigung der Chips 34 Schritte benötigt. Je mehr Produktionsschritte notwendig sind, desto höher die Produktionskosten – und die Fehlerquote.

Das Beispiel verdeutlicht, wie die US-Tech-Restriktionen die Entwicklung der chinesischen Chipindustrie beeinträchtigen.

Hinzu kommt, dass global tätige Unternehmen schon jetzt eher vorsichtig sind, Produkte mit chinesischen Chips in ihre Lieferketten aufzunehmen. In einer aktuellen Umfrage des Industrieverbands Global Semiconductor Alliance (GSA) und des Beratungsunternehmens Integrated Insight unter 130 Managern aus der Chipindustrie geht die Mehrheit davon aus, dass sich die Endkunden weltweit, inklusive des globalen Südens, eher an das US-Tech-Ökosystem anschließen als an das chinesische.

Auch ausländische Chiphersteller investieren schon jetzt kaum noch in China. Denn wer in Amerika Subventionen erhält, darf nicht gleichzeitig in großem Stil in der Volksrepublik expandieren – so sind die Regeln der US-Regierung. Weil Konzerne wie Intel, Micron, Samsung, TSMC und Texas Instruments stark von öffentlicher Unterstützung in den USA profitieren, sind große neue Fabriken in China ausgeschlossen.

Der Chef von ST Microelectronics, Jean-Marc Chery, stellt das neue Werk des Chipkonzerns in Catania vor. - Foto: REUTERS
Der Chef von ST Microelectronics, Jean-Marc Chery, stellt das neue Werk des Chipkonzerns in Catania vor. - Foto: REUTERS

Allerdings: Europas größter Chiphersteller investiert gegen den Trend in China. Der französisch-italienische Produzent ST Microelectronics errichtet ein Werk für Stromsparchips aus dem innovativen Material Siliziumkarbid in Chongqing. Partner bei dem gut drei Milliarden Dollar schweren Vorhaben ist der chinesische Halbleiterhersteller Sanan Optoelectronics.

Europa ist bei den Bedingungen für Subventionen weniger restriktiv als die USA. So erhielt ST ungeachtet des Engagements in China rund zwei Milliarden Euro, um eine fünf Milliarden Euro teure neue SiC-Fabrik in Sizilien zu errichten. Das kündigte Vorstandschef Jean-Marc Chery Anfang Mai an. Die Sorge, dass wertvolles europäisches Know-how nach Fernost abfließen könnte, scheint weder die italienische Regierung als Geldgeberin noch die EU-Kommission, die die Unterstützung genehmigt hat, zu teilen. Es ist auch das einzige milliardenschwere Chipprojekt, das ein Hersteller dieses Jahr in Europa angekündigt hat.

In Deutschland stocken zudem gleich zwei wichtige Vorhaben: Die 30 Milliarden Dollar schwere Investition von Intel in Magdeburg sowie ein im Saarland geplantes Werk für Stromsparchips des US-Konzerns Wolfspeed.

Die Patente stammen aus Deutschland

In China hingegen kommen laufend neue Projekte dazu. Die neueste Chipfabrik gehört gleichzeitig auch zu den größeren Vorhaben des Landes. So errichtet Innotron für rund zwei Milliarden Dollar eine Fabrik fürs Verpacken und Testen von Halbleitern. Innotron ist die Mutterfirma von Changxin Memory. Der Konzern ist 2016 entstanden – mit acht Milliarden Dollar Starthilfe des staatlichen Fonds Hefei Industrial Investment Fund. Vier Jahre später stellte Changxin Speicherchips her.

Starthilfe kam dafür aus Deutschland: Das Know-how stammt unter anderem aus Patenten, die Changxin aus der Insolvenzmasse des Münchener Speicherchip-Spezialisten Qimonda übernahm.

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