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Wie die Umstellung auf kreislauforientierte Wirtschaftsweisen in der Bauwirtschaft gelingen kann

Der sorgsame Umgang mit Rohstoffen, die Zukunft des Bauens und Wohnens sind entscheidende Zukunftsfragen. Es ist dringlich, dass die negativen Auswirkungen der Rohstoffgewinnung und -nutzung auf Umwelt und Klima langfristig so gering wie möglich gehalten werden.

Kreislauffähiges Bauen stellt sicher, dass Rohstoffe und Baumaterialien so genutzt werden, dass Abfälle möglichst vermieden und Ressourcen erhalten bleiben. Allerdings hat die Branche mit zahlreichen Hemmnissen zu kämpfen:

  • aktuelle Gesetze und Vorgaben geben nur geringe Anreize für Akteure, eine zirkuläre Bauweise umzusetzen

  • häufige Argumentation, dass die Qualität am Ende der ersten Lebensphase nicht mehr den Anforderungen entspricht, Trennverfahren zu kompliziert sind oder dass keine Notwendigkeit darin gesehen wird, Rohstoffe zurückzugewinnen, wil Primärmaterialien noch oft zu günstig sind

  • Akteuren der Baubranche fehlt es häufig an einer praxisnahen Befähigung zum zirkulären Bauen

  • mangelndes Engagement bei der Datenerfassung und -speicherung mit einem hohem Zeit- und Geldaufwand begründet

  • der Großteil der wiederverwerteten Baustoffe wird dem Straßenbau und nicht neuen Immobilien zugeführt: Downcycling ist in Deutschland eher die Norm als die Ausnahme

  • komplexer Koordinationsaufwand für eine zirkuläre Bauwirtschaft

  • fehlende Kommunikation zwischen den jeweiligen Akteuren und Planenden

  • instabile globale Lieferketten

  • fehlende Kreativität für die Umsetzung und Mut für unkonventionelle Denkweisen außerhalb der etablierten Strukturen

  • Pfadabhängigkeiten behindern massiv innovative Transformationsbemühungen in den Branchen

  • komplexer Planungsprozess von Gebäuden (oft lang und unwegsam)

  • theoretisches Wissen und die Fähigkeiten, zirkulär zu bauen, sind meistens in der Branche vorhanden - allerdings wird dieses oft nicht gefördert und kommt nicht in der Praxis zum Einsatz

  • fehlende Prüfverfahren der Sekundärmaterialien

  • Ressourcenverfügbarkeit als Problem vieler Bauvorhaben (hohe Rohstoffpreise)

  • ökonomische Risiken für die Akteure (doppelten Steuerbelastung, Gesetzen wie der erweiterten Herstellerhaftung, nach der bei einer Wiederverwendung von Bauteilen der ursprüngliche Produzent haftet)

  • teure Technologien (Anschaffungskosten, Schulungskosten)

  • Akteure der Bauwirtschaft sind aktuell mit hohen Such- und Transaktionskosten konfrontiert, wenn sie Sekundärmaterialien nutzen möchten (fehlende Marktplätze)

  • vielen Akteuren fehlt die Vorstellungskraft, wie sich Sekundärbaustoffe wiederverwenden lassen

  • Vorurteile: technisch nicht möglich, zu teuer, schlechte Qualität

  • fehlende politische Unterstützung - vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen, damit der Umbau hin zu einer Circular Economy gelingen kann (Transformation wird auf politischer Ebene verlangsamt (Verhinderung, dass zirkuläre Produkte für den Markt zugelassen werden).

Handlungsempfehlungen für eine zirkuläre Bauwirtschaft

  • Analyse der Rohstoff- und Komponentenabhängigkeiten und deren mögliche Preis- und Mengenentwicklung

  • Frühzeitiges Aufgreifen des Themas in den Bauprojekten (Kreislauffähigkeit kann nicht nachträglich umgesetzt werden)

  • nachhaltigere Beschaffung

  • Anpassung der Besteuerung

  • Ganzheitliche Betrachtungsweise der Gebäude – einschließlich der Konstruktionsweise der Produkte und ihrer jeweiligen Lebensdauer

  • Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass ein schonender Umgang der Baubranche mit endlichen Ressourcen und der Umwelt einst gängige Praxis war (wenn Ressourcen und Baumaterialien historisch knapp waren, kamen wiederverwendete Gebäudeteile und Produkte zum Einsatz)

  • Dokumentation der verbauten Materialien, damit sie am Lebensende leichter erkannt und zurückgewonnen werden sowie aller Ideen und Anregungen sowie Herausforderungen und Zusammenfassung in einem Strategieprogramm

  • Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Haltbarkeit und Anpassungsfähigkeit von Bauwerken (Verringerung der Bodenversiegelung, der Sanierung aufgegebener oder kontaminierter Industrieflächen und der sicheren, nachhaltigen und zirkulären Nutzung von Bodenaushub)

  • Anpassung der erweiterten Herstellerhaftung, die sich dahingehend verändern muss, dass sie auf Zwischenhändler von Sekundärmaterialien oder vergleichbare Akteure übertragen werden kann (mindert das unternehmerische Risiko von Ursprungsherstellenden)

  • Entwicklung zirkulärer Lösungsansätze in unternehmerischen Wertschöpfungsnetzwerken, die Kunden unterstützen, Materialien und Komponenten länger zu nutzen und Primärrohstoffe durch Rezyklate zu ersetzen

  • Planende sollten eine spätere Weiter- bzw. Umnutzung von Gebäuden mitdenken (Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden, auch Instandhaltungen oder Anpassungen können schneller und leichter umgesetzt werden)

  • Schaffung nationaler und europäischer Rahmenbedingungen, damit zirkuläre Ansätze stärker entwickelt und umgesetzt werden sowie Anpassung existierender Rahmenwerke und Etablierung standardisierter Rezertifizierungsverfahren

  • Implementierung von Recyclingprozessen

  • ein Portfoliomanagement kann die Risiken der Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten diversifizieren

  • bei der Sanierung von bereits gebauten Gebäuden braucht es eine ganzheitliche Betrachtung

  • Integration der erarbeiteten Strategien in die bestehenden Systeme und Prozesse des Unternehmens

  • Substitutionsalternativen sollten frühzeitig gesucht oder selbst entwickelt werden (kann durch Forschungsprojekte zur Entwicklung neuer Materialien oder Substitutionsstrategien unterstützt werden)

  • ganzheitliche Transformationspfade und konsequente Ausrichtung von Entscheidungsprozessen und Maßnahmen

  • kurze Transportwege vom Produktionsort der Bauprodukte zur Baustelle

  • Kommunen und Städte können Nachhaltigkeitskriterien in die Vergabe von Baustoffen und Leistungen mit aufnehmen (dabei sollten Sekundärrohstoffe den Primärrohstoffen mindestens gleichgestellt werden)

  • stärkere Vernetzung aller Akteure

  • Entwicklung einer gemeinsamen Vision für den Umgang mit Ressourcen innerhalb der Stadt

  • Unternehmen sollten diverse Zugangsmöglichkeiten zu internationalen Rohstoffmärkten und Lieferländern erhalten.

  • Zusammenarbeit zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion, um zukunftsfähige und umweltfreundliche Lösungen zu schaffen.

Von der Idee zur Wirklichkeit - aktuelle Entwicklungen

2020 entstand die Vision eines Gebäudes, das nachhaltiges Bauen mit einem ganzheitlichen Ansatz verbindet. Nach dem Spatenstich im Herbst 2023 und dem Baubeginn des Holzständerbaus im Frühsommer 2024 sind die Inara Suites im Seehotel Wiesler www.seehotel-wiesler.de am Titisee nun fast fertiggestellt. Sie wurden mit geprüften Materialien gebaut und nach modernen Nachhaltigkeitsstandards konzipiert. Die neuen Suiten im Seehotel Wiesler am Titisee sind nachhaltig durchdacht, komfortabel und inspiriert von der Natur. Die Eröffnung der Inara Suites findet am 8. April 2025 im Seehotel Wiesler statt. An diesem Tag haben Interessierte die Möglichkeit, Nachhaltigkeit in der Praxis erleben – eine Führung durch die Inara Suites sowie Einblicke in Planung und Bauweise, TaxonomieScan-Ergebnisse über die verwendeten Materialien und ihre EU-Taxonomiekonformität. Die EU-Taxonomie leitet dazu an, die finanzielle Materialität sowie das Risikopotenzial der wirtschaftlichen Aktivitäten auf Standort- oder Geschäftsebene zu bewerten und klassifiziert sie nach ihrer Umweltverträglichkeit.

Das Datenmanagement gewinnt dabei künftig immer mehr an Bedeutung. Zu den relevanten Informationen gehören beispielsweise die Zusammensetzung und Bestandteile eines Produkts, die im Gebäude verbaute Menge jedes Materials, eine genaue Verortung der einzelnen Stoffe im Gebäude sowie die Art und Weise, wie ein Produkt mit anderen Materialien verbaut ist. Diese Daten müssen für Planer, Bauunternehmer und Eigentümer verfügbar, aber auch bei einem Eigentümerwechsel transparent dokumentiert sein. Grundlage zur Bewertung der Zirkularität von Baustoffen ist eine umfassende Datenerfassung vor Ort. Dabei wird das gesamte Objekt begutachtet bzw. - je nach Anforderung - nur eine Baumassenaufnahme durchgeführt oder der Ausbau inventarisiert. Sämtliche Materialien werden vermessen, gezählt und nach allen Eigenschaften beschrieben und dokumentiert. In der Software entstehen aus diesen Daten digitale Materialpässe und ein katalogisiertes Inventar. In Kooperation mit ausgewiesenen Instituten, Prüfanstalten und Zertifizierungsbetrieben werden nachträglich die Materialien auf ihre technischen Eigenschaften beprobt und zertifiziert.

Material-, Rohstoff- und Gebäudedaten sind vor allem im Rahmen von gesetzlich vorgeschriebenen Gebäuderessourcenpässen, ESG und der EU-Taxonomie wichtig.

Die teilweise hohen Investitionen (Zeit und Geld) zu Beginn der Implementierung eines digitalen Datenmanagements zahlen sich allerdings langfristig gesehen aus. Besonders im Hinblick auf die EU-Taxonomie und neuen Reporting- Anforderungen sind digital verfügbare Daten in Zukunft unabdingbar. Mit der Frage, was die EU-Taxonomie und ESG-Anforderungen für Neubau und Sanierung bedeuten, und welche zukunftssicheren Lösungen es für die Praxis gibt, beschäftigt sich Peter Bachmann als Speaker am 1. April 2025 beim ESG-Praxistag von Heuer Dialog GmbH in Düsseldorf. In WORKSHOP B stellt er gemeinsam mit Steffen Hebestreit (THOLL Consulting), Dirk Monreal (KUNST RAUM KONZEPTE) und Dr. Caroline Siegel (Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB) praxisnahe Lösungen für das „E“, „S“ und „G“ vor. Als Experte für nachhaltiges Bauen und Kreislaufwirtschaft sieht er täglich, wie groß die Unsicherheit in der Immobilienbranche ist. Aktuell arbeitet Bachmann an der Integration zirkulärer Methoden in die Bau- und Immobilienwirtschaft. 2024 erfolgte mit Fabian Wiesler die Gründung der CircularSkills GmbH.

EU-Taxonomie, CRREM, ESG – alles ist notwendig. Doch die Frage ist: Wie lässt es sich konkret im Bestand umsetzen? Wie wird ein ESG-Fahrplan für Bestandsgebäude aufgebaut? Wie wird der CRREM-Pfad integriert, um Dekarbonisierungsstrategien wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen? Welche Lösungen gibt es für soziale und Governance-Herausforderungen in der Immobilienbranche? Er ist überzeugt: „Wer ESG und die EU-Taxonomie richtig versteht, kann nicht nur Risiken minimieren, sondern echte Werte für die Zukunft schaffen."

Weiterführende Informationen:

  • Wie die EU-Taxonomie unsere Wirtschaft rettet und in die Praxis kommt

  • Zukunft Stadt: Die globale und lokale Bedeutung von SDG 11. Wie die sozialökologische Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft gelingen kann. Handlungsempfehlungen – Chancen – Entwicklungen. Hg. von Alexandra Hildebrandt, Matthias Krieger und Peter Bachmann. SpringerGabler. Berlin, Heidelberg 2025.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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