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Wie es um die Welt steht: Spitzbergen als Temperaturfühler

Bewusstsein für Dringlichkeit

„Dringlich“ ist etwas anderes als „wichtig“ – das Wort verweist darauf, dass sofort gehandelt werden muss, und dass es handfeste Beiträge braucht, damit Veränderungen in die Gänge kommen. In der letzten Zeit vor seinem Tod war der Publizist Roger Willemsen von einer inneren Zwanghaftigkeit getrieben, vor allem auf die blinden Flecken in der Beobachtung der Welt, ihres ökologischen und des gesamten Zustandes, aber auch des Bewusstseinszustandes zu verweisen. Von seiner Krebserkrankung gezeichnet brach er noch einmal nach Norwegen auf, um einen Fjord zu sehen. In seinem postum erschienenen Buch „Wer wir waren“ blickt er aus der Zukunft auf die Gegenwart: „Wenn man es genau bedenkt, ist vom Anfang aller Tage alles immer schlechter geworden.“ Willemsen fragt, wie es möglich sein kann, dass wir heute alles vor uns auf dem Tisch liegen haben, aber daraus keine Konsequenzen für unser Handeln gezogen werden. Wir sind „jene die wussten, aber nicht verstanden.“ Sein letztes Buch fordert uns auf, uns einen Überblick zu verschaffen und selbst Antworten auf die aktuelle Situation zu finden: „Nutzt eure Möglichkeiten.“ Dass er noch einmal nach Norwegen aufbrach, hat zugleich etwas Symbolträchtiges, denn im hohen Norden ist der Klimawandel viel greifbarer und messbarer als an anderen Orten der Welt.

Die Inselgruppe Spitzbergen liegt in dem Teil der Welt, der sich am schnellsten erwärmt.

Hier lebt auch die Journalistin Line Nagell Ylvisåker, Jahrgang 1982, mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Sie wuchs in Sognal, Norwegen auf, studierte Journalismus und arbeitete von 2006 bis 2018 bei der Svalbardposten. „Wenn die Weltbevölkerung den gegenwärtigen CO2-Ausstoß beibehält, kann es auf Spitzbergen im Jahr 2100 7 Grad wärmer sein als jetzt“, schreibt sie in ihrem alarmierenden Buch „Meine Welt schmilzt“. Sie berichtet darin von ihrem kleinen Dorf Longyearbyen und dem hier erfolgten Kohleabbau, unter dem die Menschen in Spitzbergen leiden: „Auf Spitzbergen wachsen keine Bäume. Es gibt keine tiefen Wurzeln, die das Erdreich binden, oder Gebüsche, die an steilen Hängen den Schnee halten.“ Als eine Lawine mehrere Häuser verschüttet und Menschen sterben, spürt sie den Ursachen und Folgen der Erwärmung der Arktis nach, spricht mit Meteorologen, Klimaforschern und Trappern. Sie begegnet hungrigen Eisbären und misst die steigenden Wassertemperaturen des Polarmeers. Sie beschreibt aber auch, wie im Sommer 2018 die norwegische Königsfamilie nach Spitzbergen reiste, damit die Kinder die Arktis erleben konnten: „Sie haben Bartrobben und Belugawale und, aus gehöriger Entfernung, Eisbären gesehen. Sie haben Plastik gesammelt und die abschmelzenden Gletscher angeschaut.“ Ylvisåker warnt wie Roger Willemsen in aller Dringlichkeit:

Wenn wir nicht sofort handeln, wird auch unser Leben durch den Klimawandel radikal beeinträchtigt werden.

Es ist für sie beeindruckend zu sehen, wie Greta Thunberg „die Mächtigen dieser Welt zurechtweist. Ich hoffe, es hilft. Mich hat das jedenfalls aufgerüttelt.“

Weiterführende Literatur:

Line Nagell Ylvisåker: Meine Welt schmilzt- Wie das Klima mein Dorf verwandelt. Aus dem, Norwegischen von Anne von Canal. Hoffmann & Campe, Hamburg 2021.

Roger Willemsen: Wer wir waren. S. Fischer Verlag. Frankfurt a. M. 2016.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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