Wie Garmin Attacken von Tech-Konzernen abwehrt
Erst Google Maps, dann Apple Watch: An übermächtiger Konkurrenz hätte Garmin schon mehrfach scheitern müssen – und ist immer noch da. Wie schaffen die das?
Es ist ein warmer Frühlingsnachmittag in Olathe, einem Vorort von Kansas City. An der Zentrale von Garmin weht eine steife Brise, so wie sie hier im Mittleren Westen üblich ist. Vom Osten her nähert sich eine Laufgruppe. Sie wird angeführt von einem grauhaarigen Mann in Trainingshosen und schwarzem Shirt, der mit seinen kantigen Gesichtszügen und dem durchtrainierten Körper wie ein Triathlet wirkt: Cliff Pemble, seit mehr als zwölf Jahren Chef des Unternehmens – und ein Unikat in der Techwelt, was seine Ausdauer und Widerstandsfähigkeit angeht.
Wenn Pemble der Wind ins Gesicht bläst, verschärft er das Tempo und dreht zu Höchstleistungen auf. Und weiß Gott: Der Wind blies ihm scharf und oft ins Gesicht in den vergangenen Jahren. Pemble, 59, Ingenieur, leitet ein kleines, stetig wachsendes Imperium um alles, was mit Navigation und der Präzision von (Geo-)Daten zu tun hat, von Smartwatches mit GPS über allerhand Sensoren für Jogger, Triathleten, Bergsteiger, Radfahrer, Segler, Golfer oder Taucher bis zu Elektronik in Cockpits von Autos, Flugzeugen und Schiffen.
In diesem Jahr peilt Garmin mehr als 6,8 Milliarden Dollar Umsatz an. Der Konzern ist – im Markt für Lifestyleelektronik nicht selbstverständlich – profitabel und schuldenfrei. Dass Pemble mit Besuchergruppen und Mitarbeitern joggt? Für ihn ganz normal: „Wir leben unsere Produkte vor.“ Pemble selbst geht gern bergsteigen und besitzt einen Pilotenschein. Er prahlt nicht mit seinen Hobbys, auch nicht mit seinen geschäftlichen Erfolgen. Sondern schwingt sich einfach immer weiter zu neuen Höhen auf. Dabei gäbe er gewiss einen guten Motivationstrainer ab. Oder einen anregenden Keynote-Speaker. Denkbares Lieblingsthema: Wie wehre ich Frontalangriffe der finanzstärksten Techkonzerne der Welt ab?
AUF EINEN SCHLAG ÜBERFLÜSSIG
Garmin musste sich in dieser Disziplin mehrfach beweisen. Einen guten Namen erarbeitet hat sich das Unternehmen mit portablen und eingebauten Navigationsgeräten für Autos. Doch die Smartphone-Kartendienste insbesondere von Google schmälerten den Markt; der Umsatzanteil des Kerngeschäfts von Garmin sank von mehr als 50 Prozent auf unter 20 Prozent.
Der erste Schlag war kaum verdaut, da fuhr Apple Garmin in die Parade: Die Apple Watch, auch eine Reaktion auf die Smartwatch-Ambitionen von Google und Samsung, konterte Garmins frisches Geschäft mit GPS-Uhren aus.
Natürlich, sagt Pemble, könne er sich noch an den 9. September 2014 erinnern, als Apple-Chef Tim Cook im Flint Center, Cupertino, Kalifornien, die erste neue Produktkategorie nach dem Tod von Firmenmitgründer Steve Jobs vorstellte. Die Wahl des Veranstaltungsorts unterstrich Apples Ambitionen: Genau hier hatte Jobs 1984 den ersten Macintosh präsentiert. Auch in der Börsengeschichte von Garmin ist der Tag bis heute vermerkt: als südwärts zeigender Zacken im Aktienkurs. Pemble war damals in seinem zweiten Jahr CEO, als erste Nachfolger von Garmin-Mitgründer Min Kao. Nein, Panik habe er damals keine gespürt, behauptet er: „Es war klar, dass der Wettbewerb noch stärker wird.“ Er habe seinem Team gesagt, dass man „Apple nicht aus-äppeln kann.“ Dass man anders sein, sich auf seine eigenen Stärken besinnen, allein daraus neues Selbstbewusstsein ziehen müsse: „Wir sind Garmin.“
Viele Manager, sagt Pemble, folgten ihrem Instinkt und gingen in die Defensive, sobald ein Gigant angreife. Aber das sei falsch. Stattdessen gehe es um Gegen- und Eigeninitiative. „Die richtige Frage lautet: Was kann ich machen, das entweder neu oder anders ist?“
SPORTSCHUHSTRATEGIE
Was die Navigationsgeräte fürs Auto anbelangt, sei recht schnell klar gewesen: Die Boomzeiten sind vorbei. Also verschob der Konzern seinen Fokus, erweiterte sein wachsendes Geschäft mit Marineelektronik, investierte stärker in die Forschung und Entwicklung für tragbare GPS-Geräte für Lifestyle und Sport.
Bei Fahrzeugen fokussiert man sich inzwischen auf das Funktionieren der Cockpitelektronik, rüstet etwa BMW und Mercedes aus. Wenn Leute lieber Apple CarPlay oder Android Auto in ihren Fahrzeugen nutzen wollten, sei es töricht, sich dem Wunsch zu verschließen, sagt Pemble: „Wir sorgen dafür, dass CarPlay und Android Auto zuverlässig laufen.“
Bei Apples Attacke auf die Uhren sei die Analyse noch einfacher gewesen, sagt Pemble: weil der Silicon-Valley-Konzern dafür bekannt ist, sein Produktsortiment überschaubar zu halten. Die Apple Watch war eine Herausforderung, klar. Aber eine klar umrissene: eine Form plus ein paar verschiedene Displaygrößen und Gehäusematerialien.
In Abgrenzung dazu entschloss sich Pemble zu einer Art Sportschuhstrategie: Spezialisierung. Nische. Nerd. Es gibt maskuline Linien und feminine, etwas Passendes für Jogger, Bergsteigerinnen, Wanderer, Taucher, Radfahrerinnen und Marathonläufer. Garmin deckt jede Disziplin ab. Auch preislich geht hier, anders als bei Apple, fast alles: vom Fitnesstracker ab 120 Euro über Sportuhren mit vorinstallierten Karten, Solaraufladung und integrierter LED-Taschenlampe bis zur Titanluxussportuhr für mehr als 3000 Euro. Selbst für Mitarbeiter ist die Menge an Produkten mit teils kryptischen Namen und Modellnummern kaum überschaubar. In einem Labor im Hauptquartier ist eine sechs Meter hohe und zehn Meter lange Regalreihe mit je einem Exemplar der verschiedenen Uhren bestückt: mit jeweils einem Karton als Stellvertreter. Vollständig ist die Sammlung nicht.
DURCH DISRUPTIONEN GESTÄRKT
Die regelmäßigen Disruptionen in Garmins Geschäft, meint Pemble, haben sein Unternehmen gestärkt. Im Grunde fänden sie alle zwei oder drei Jahre statt, mal spektakulärer, mal weniger, sagt er. Der derzeitige Zollkrieg sei in dieser Reihe nur eine weitere Episode. Und Garmin ist auch für diese neue Herausforderung gut gerüstet. Man verstehe sich als von Ingenieuren getriebenes Unternehmen, habe daher nie Produktionsverlagerungen forciert, sagt Pemble. Garmin unterhält eigene Fabriken in den USA, Polen, Taiwan und China. Bei den Produkten für die Luftfahrt und Marine sei man durch die US-Produktion im Vorteil. Allerdings sei die Beschaffung von Komponenten international, genau wie der Absatz.
In Summe erlauben „die eigenen Fertigungskapazitäten“ ein „innovatives Design“, eine „schnelle Produktentwicklung“ und „Flexibilität in der Produktion“, lobt Ivan Feinseth, Chief Investment Officer von Tigress Financial Partners in New York: „Das ist ein bedeutender Wettbewerbsvorteil.“
Gegründet wurde Garmin 1989 von den beiden Elektroingenieuren Gary Burrell und Min Kao, die ihre Vornamen zum Unternehmensnamen verschmolzen. Sie entdeckten das Potenzial des Global Positioning System (GPS), ursprünglich fürs Militär entwickelt: In den 1980er-Jahren versprach US-Präsident Roland Reagan, das Satellitensystem auch für die zivile Nutzung verfügbar zu machen. Im Jahr 2000 erschloss US-Präsident Bill Clinton GPS für den Massenmarkt.
Burrell und Kao konzentrierten sich zunächst auf GPS-Produkte für die Luftfahrt und die Marine, entwickelten dann Navigationsgeräte fürs Auto. Seit 1989 hat das Unternehmen mehr als 300 Millionen Produkte ausgeliefert. Es beschäftigt heute 22.000 Mitarbeiter.
Dass Pemble so lange bei Garmin ist, hat er Burrell zu verdanken. Der Gründer holte den jungen Softwareentwickler als sechsten Mitarbeiter zu Garmin und hat ihn früh gefördert. Burrell ist inzwischen verstorben, Kao immer noch als Verwaltungsratschef im Unternehmen tätig.
Viele Mitarbeiter halten Garmin sehr lange die Treue, zumal für ein Techunternehmen. Es sei schon von Vorteil, dass man nicht im Silicon Valley angesiedelt sei, wo Talente gern und oft von einem zum nächsten Unternehmen springen, meint Pemble. Die Fluktuation liege bei 8 Prozent im Jahr; üblich sind in der Branche 15 Prozent und mehr.
GARMIN: AUCH HOCHTECHNOLOGIE IM SORTIMENT
Kai Tutschke, der das Garmin-Geschäft für Deutschland, Österreich und die Schweiz von Garching bei München aus führt, ist seit zwei Jahrzehnten dabei. Vor allem die Bekanntheit der Marke zahle sich inzwischen aus, sagt er. Früher habe man nach neuen Mitarbeitern suchen müssen. „Heute bekommen wir mehr Bewerbungen von Hochschulen, als wir Stellen haben.“ Doch auch das ist Pemble wichtig: Garmin ist weit mehr als eine attraktive Konsumentenmarke; was seine Leute entwickeln, sei echte Hochtechnologie. Unterstreichen will Pemble das am Beispiel eines Hangars, gut 15 Minuten von der Garmin-Zentrale auf einem kleinen Flugplatz gelegen. Mitgebracht hat er dafür Phil Straub, einen Softwareingenieur, der die Flugzeugsparte von Garmin leitet. Dessen wichtigstes Produkt: Garmin Autoland, ab 2001 erforscht, ab 2010 entwickelt. Es ist das erste System, das Flugzeuge vollautomatisch landen kann.
Angestoßen wurde die Entwicklung durch einen tragischen Unfall im Oktober 1999. Damals wollte US-Golfprofi Payne Stewart mit Betreuern in einem privaten Learjet von Orlando nach Dallas fliegen. Kurz nach dem Start kam es zu einem Druckverlust in der Kabine. Piloten (und Passagiere) verloren das Bewusstsein, der Jet flog stundenlang unkontrolliert über die USA hinweg. F-16-Kampfjets des US-Militärs begleiteten das Flugzeug. Helfen konnten sie nicht. Nachdem der Treibstoff aufgebraucht war, stürzte der Learjet ab. Alle Insassen kamen ums Leben. „Solche Vorfälle – ein Pilot kann nicht reagieren – kommen leider vor“, sagt Straub. Garmin hat im Mai 2020 die erste Zertifizierung seines Systems von der US-Flugaufsichtsbehörde FAA erhalten. Inzwischen wurde es laut Straub testweise in mehr als tausend Landungen eingesetzt. Die Technologie ist nur für den Notfall zugelassen. Sobald das System ihn feststellt, schaltet es sich ein, sucht den sichersten erreichbaren Flughafen und verständigt die Leitstelle. Der Pilot kann, so er wieder einsatzfähig ist, das System deaktivieren.
VIEL INTERESSE, WENIGE KÄUFER
Das System wurde ursprünglich für Businessjets und Propellermaschinen entwickelt, in die es hauptsächlich eingebaut wird. Aber laut Straub ist man auch mit den Ausrüstern der großen Flugzeughersteller Boeing und Airbus im Gespräch. Wann es so weit ist? „In der Luftfahrt kann so was Jahrzehnte dauern“, sagt Straub. Es gebe in der Branche Debatten über Cybersicherheit, weil die Maschine womöglich aus der Ferne kontrolliert werden könne. Fakt sei: „Bislang ist unser System das einzige, das ohne einen Piloten fliegen kann.“
Laut Pemble hält man sich alle Optionen offen, ist von seiner singulären Marktposition überzeugt – anders als in anderen Bereichen. Dem autonomen Fahren etwa. Garmin hätte grundsätzlich das technologische Vermögen, um hier mitzuspielen. Aber in dem Feld „sind so viele tätig, das bringt uns nichts“, sagt Pemble.
Andere Märkte seien kniffliger zu bewerten. So entwickeln Meta, Google, Samsung und Apple momentan Brillen mit Sprachsteuerung und Display. Experten erwarten, dass sie tragbare Geräte wie Smartphones und Uhren ersetzen könnten. Soll Garmin einsteigen? Pemble ist vorsichtig. 2016 brachte sein Unternehmen ein Head-up-Display auf den Markt, das an einer Brille befestigt wurde und Daten wie Navigationshinweise, Geschwindigkeit und Herzfrequenz einblendete. Es war für Radfahrer gedacht. „Es gab unwahrscheinlich viel Interesse, aber leider zu wenig Käufer“, sagt Pemble. Also stellte man die Weiterentwicklung ein.
Ob man derzeit ebenfalls an einer Brille arbeite, will Pemble nicht verraten. Klar ist, dass man sich bei Garmin auf weitere Umbrüche im Markt einstellt. Und dass Pemble nicht panisch wird, ganz ruhig bleibt, wie immer: „Ich glaube nicht, dass tragbare Geräte überflüssig werden.“
❗️Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen
