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Wie KI die Werbung neu formatiert

Die KI-Revolution hat die Marketingabteilungen längst erreicht. Sie prägt deren Aufgabenstellungen auf vielfältige Weise und bietet enorme Chancen für Effizienzsteigerung sowie höhere Kundenzufriedenheit. Ihr Einsatz in der Werbung wird jedoch kontrovers diskutiert.

Künstliche Intelligenz ist der prägendste Trend der Handels- und der FMCG-Branche. Sie hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren zur treibenden Kraft im Alltag und im Marketing entwickelt. Dabei steht der Entwicklungsschub erst am Anfang: Vor wenigen Tagen hat das US-Start-up OpenAI die lang erwartete, mehrfach verschobene Einführung der neuen Version GPT-5 seines Sprachmodells als "schlauestes, schnellstes und praktischstes" KI-Modell vorgestellt. Es soll noch schneller und leistungsfähiger als seine Vorgänger sein und besonders bei Programmieraufgaben überzeugen. Unternehmenschef Sam Altman sieht in der Fortentwicklung von GPT-4 nicht weniger als den "iPhone-Moment" für die Branche.

Auch wenn Experten über den Wahrheitsgehalt dieser Aussage noch streiten – für Marketingschaffende ist die Diskussion müßig. Ihre Welt – und damit auch die von Agenturen und Mediaexperten – hat sich durch den Einsatz von KI bereits seit geraumer Zeit grundlegend verändert – und sie wird es weiter tun. Denn KI bietet für das Marketing in vielen Bereichen enormes Potenzial. Sie analysiert Nutzerdaten in Echtzeit, personalisiert Content und Kampagnen, erstellt Texte und Blogartikel, ersetzt Fotoshootings, beschleunigt die Videoproduktion, optimiert Webseiten und unterstützt Chatbots im Kundenservice. Kaum noch ein Bereich, in dem KI nicht mitmischt. Sie erleichtert Prozesse und verändert Denkweisen. Das steigert die Relevanz und Kundenbindung – zu reduzierten Kosten.

Veränderung durch Künstliche Intelligenz

  • KI-produzierte Werbefilme haben das Experimentierstadium verlassen. Sie tauchen aktuell immer häufiger in den Werbeblöcken auf.

  • Künstliche Intelligenz ersetzt überwiegend repetitive Tätigkeiten.

  • Content/Texte/Commercials lassen sich schnell und effizient erstellen, auch Produktbilder oder Werbevideos. Das macht den KI-Einsatz insbesondere für kleinere Marken mit niedrigeren Budgets interessant.

  • Kampagnen lassen sich schneller und günstiger auf andere Länder adaptieren; Media-Ausspielung werden effizienter und automatisierbar.

  • KI erkennt Muster und Zusammenhänge in großen Datenmengen. Durch Echtzeitanalyse von Nutzerdaten lassen sich Inhalte und Angebote individuell anpassen.

  • KI muss gezielt und mit Verstand eingesetzt werden.

Bereits Ende vergangenen Jahres hatten Mitglieder der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) in einer mit dem Beratungsunternehmen Accenture durchgeführten Studie die entscheidende Rolle von KI für die Wettbewerbsfähigkeit herausgehoben. Zu diesem Zeitpunkt hatten schon mehr als 55 Prozent der deutschen werbenden Unternehmen KI-Systeme in ihre Marketingstrategien integriert. Laut OWM-Mitgliederbefragung erwarten die Marketing- und Mediaverantwortlichen vom Einsatz der KI in erster Linie eine deutliche Effizienzsteigerung ihrer Kampagnen sowie eine präzisere und optimal personalisierte Zielgruppenansprache.

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Vorausgesetzt, die Markenmacher gehen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl zur Sache. Ein Beispiel unter vielen: Unlängst hat Fruchtgummihersteller Haribo seinen "Camping"-TV-Spot" aus der "Kids‘-Voices"-Reihe für die Marke Color-Rado, der erstmals im September 2022 on Air gegangen ist, mit einer "Kombination aus klassischer Produktion und KI-Technologie tierisch aufgewertet".

Der Spot mit den von Erwachsenen gesprochen Kinderstimmen mixt dazu reale Szenen mit Schauspielern mit KI-Elementen. Das schaffe "einen völlig neuen Überraschungseffekt", verspricht Holger Lackhoff, Chief Marketing Officer Haribo D-A-CH. Genutzt wurde eine hybride Produktion mit KI-Workflow, die neue Möglichkeiten in der Bewegtbildgestaltung eröffne, erläutert der Haribo-Marketer. Der KI-Ansatz setze auf Geschwindigkeit, Flexibilität und gestalterische Freiheit. Derart gepimpt, sorgte der Spot für neue Begeisterung.

KI ist keine Magic Box und kein Gimmick mehr
Philipp Langer, Jung von Matt

"Sinnstiftend eingesetzt liefert KI in kürzester Zeit visuelle Entwürfe und macht Experimente mit Stil und Ausdruck möglich", glaubt Henning Lisson, Executive Creative Director und Mitglied der Geschäftsleitung bei Jung von Matt Spree, der Haribo betreuenden Agentur. Und sein Kollege Philipp Langer, Principal Creative Art & AI bei Jung von Matt, ergänzt: "KI ist keine Magic Box und kein Gimmick mehr, sondern ein sehr wirkungsstarkes Werkzeug, das – richtig angewandt – neue Spiellevel in Kreation und Produktion freischaltet."

Personen aus verschiedenen Jahrzehnten lächeln in die Kamera

Soll heißen: Auf die richtige Dosis und die Passgenauigkeit zur Marke kommt es an. Das scheint der Homburger Gesundheits- und Körperpflegespezialist Dr. Theiss Naturwaren verstanden zu haben. Ein vollständig KI-generierter Branding-Spot "100 Jahre Lacalut – 100 Jahre des Lächelns" für die gleichnamige Zahncreme traf die Erwartungen des Publikums – weitgehend.

Der vollständig mit Hilfe von KI entstandene Commercial für die Zahncreme Lacalut passt nach Ansicht von Marketingfachleuten zur Markenidentität.

Die KI-Spezialeffekte zeigten statt gecasteter Protagonisten, aufwendiger Kulissen und Kostüme Menschen, die mit künstlicher Intelligenz zum Leben erweckt wurden. Die Personen aus verschiedenen Jahrzehnten, lächeln auf einer historischen Zeitreise in die Kamera, während die Umgebungen und nostalgischen Stimmungen der jeweiligen Zeit lebendig werden. Das war nicht überzogen und passte zum Anspruch der Marke "Liebe für gesunde Zähne". Für ein strahlendes Lächeln sorgt die richtige Zahnpasta.

Dass die Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz in Marketing und Werbung nicht mehr aufzuhalten ist, demonstriert eindrucksvoll auch die Kampagne für die Berliner Kräuterbrause Spreequell. Die in der Bundeshauptstadt ansässige Marke der hessischen Rhön-Sprudel-Gruppe hat vor Kurzem mit der "Berliner Kräuterbrause" ein neues Produkt auf den Markt gebracht.

Der KI-generierte Spot von Spreequell kam beim Publikum gut an

Den Produktstart nahm das Unternehmen und die betreuende Agentur Jung von Matt Spree zum Anlass für einen komplett mit generativer KI generierten Werbespot. "Trink dir Berlin bergig" lautet das Motto des surreal-humorvollen, wild-bunten Commercials, in dem die Kräuterbrause in einer fantastischen Welt inszeniert wird, in der Berliner Wahrzeichen durch alpine Szenerien treiben, U-Bahnen fliegen und Murmeltiere vor einem Club abhängen.

Schneller und kostengünstiger

"Diese Bildwelt hätten wir klassisch oder mit einer 3D-Produktion nicht realisieren können – zumindest nicht in diesem Zeit– und Budgetrahmen", erklärte Philipp Langer gegenüber der LZ-Schwesterzeitung "Horizont". Warum der Werbeauftritt auch bei den Umworbenen ankam? Die von Software gestrickte Kampagne stand nicht im Widerspruch zur Erwartungshaltung der angesprochenen Brausetrinker. Der Markenanspruch sei leicht crazy. Dann dürfe es auch der Werbeauftritt sein, schallt es aus der Werbebranche.Doch nicht immer geht die KI-Rechnung auf. Beispiel Griesson-de Beukelaer. Der Gebäckhersteller aus Polch hatte im Frühjahr einen KI-Vignettenfilm zum 70-jährigen Bestehen seiner Prinzenrolle präsentiert, dessen Storytelling in den sozialen Netzwerken heftig kritisiert wurde. Die KI-unterstütze Kampagne der Traditionsmarke wirkte auf viele Betrachter befremdlich – und löste einen Shitstorm aus.

Auftritt muss zur Markenidentität passen

Der Werbespot sollte klassische Familienidylle suggerieren: Mutter, Vater, Kind beim Kekssnack. Doch das Commercial, in dem Kinder unter anderem beim Fahrradfahren durch eine idyllische Herbstlandschaft sowie beim Skaten und Zocken mit ihrem Opa zu sehen sind, wirkte nach Meinung von etlichen Zuschauern künstlich, faltenfrei, austauschbar. Fazit der Kritiker: Die von KI erschaffenen Auftritte müssen glaubwürdig sein und zur Markenidentität passen.

Kritiker monierten den Auftritt von Griesson-de Beukelaer

Auf einen weiteren Aspekt weist Marcus Macioszek hin: "KI verhilft schlechter geführten Marken zu einem besseren Auftritt, wobei deutlich besser geführte Marken von KI nicht mehr in dem Maße profitieren können", glaubt Macioszek. Die Distanz zwischen starken A- und schwächeren B- und C-Marken werde verkürzt, so der Marketingleiter von Gerolsteiner.

Deshalb sei es umso wichtiger, wirklich einzigartige Marken- und Marketingkonzepte zu entwickeln, die nicht bei einem Prompt nach drei Minuten bei ChatGPT als Ergebnis rauskämen. Dafür brauche man echte Top-Consumer-Insights. "Man muss auf diese Consumer-Insights eingehen, sie verstehen, die Stimmung fühlen, um ein tiefes Verständnis der Kaufentscheidungen und des Verhaltens der Verbraucher zu bekommen", rät Marketingmanager Macioszek.

Das sieht auch Uwe Storch so. Der Head of Media des Süßwarenkonzerns Ferrero Deutschland und langjährige Vorsitzende der OWM beurteilt den KI-Einsatz im Marketing und Media mit gemischten Gefühlen und warnt vor einer "ungeprüften Effizienz-Euphorie und algorithmischer Austauschbarkeit von Kampagnen". Dagegen helfe eine starke Marke, ein tiefes Gefühl für die Käuferstimmung und eine "einzigartige, unverwechselbare Idee", so Storch – echte Kreativität eben.

Marketer sehen Vorteile

Marketingverantwortliche mögen Künstliche Intelligenz-Tools, ihre Kunden dagegen weniger: 96 Prozent der Marketingprofis nutzen bereits KI, 68 Prozent wollen ihre Investitionen sogar intensivieren, zeigt der dritte "AI in Retail Report" von SAP Emarsys laut einer Pressemitteilung.

Doch 40 Prozent der Verbraucher haben wenig bis gar kein Vertrauen in die Technologie, speziell dem KI-Datenschutz misstrauen 64 Prozent – ein Sprung um 15 Prozentpunkte seit 2024. Lediglich 25 Prozent der Kunden sehen einen angemessenen Gegenwert für ihre Daten. Auf der anderen Seite empfinden 54 Prozent der KI-freundlichen Käufer die Technologie durchaus als Erleichterung beim Shopping.

SAP Emarsys, Berlin, ist eine Omnichannel-Plattform für Customer Engagement. Das Unternehmen kann auf Erkenntnisse von 2000 deutschen Verbrauchern und 250 Marketingfachleuten zurückgreifen.

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