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Wie sich Nachhaltigkeit und digitale Transformation in Einklang bringen lassen

Nachhaltige Potenziale der Digitalisierung

Bei der Digitalisierung handelt es sich um den derzeit für alle etablierten Industriestaaten wichtigsten Megatrend. Doch in der aktuellen Digitaldebatte scheint die Politik auf hektischen Aktionismus zu setzen. Hervorgebracht werden vor allem zahlreiche Kommissionen und Gremien zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Sie sollen den Eindruck vermitteln, dass im Grunde ganz genau gewusst wird, wohin die Entwicklung geht und welche technologiepolitischen Schlussfolgerungen aus dem dynamischen Digitalisierungstrend zu ziehen wären.

Die entgegengesetzte Position vertreten Felix Sühlmann-Faul und Stephan Rammler in ihrem Buch „Der blinde Fleck der Digitalisierung“: „Wir erleben mit der sogenannten Digitalisierung aller Lebensbereiche einen gigantischen ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Öffnungsprozess ins Ungewisse, von dem KEINER im Augenblick sicher sagen kann, wohin die darin sichtbar werdende komplexe und äußerst facettenreiche Überlagerung der vielfältigen Teilentwicklungen, Synergien, Widersprüche und Gefahren der digitalen Transformation unsere Gesellschaft führen wird…“

In ihrem Buch beschäftigen sie sich mit der Frage, wie sich Nachhaltigkeit und digitale Transformation in Einklang bringen und wie sich die Potenziale zu mehr Nachhaltigkeit nutzen lassen. Digitale Transformation ist kein technologisches Phänomen - jedenfalls nicht in erster Linie, sondern vor allem ein sozialer Prozess und eine Reaktion darauf, dass nicht mehr nur Menschen kommunizieren, sondern zunehmend auch Maschinen.

Felix Sühlmann-Faul, der aktuell über das Thema Plattformkapitalismus promoviert, ist freier Techniksoziologe. Er studierte Soziologe, Germanistik und Politikwissenschaftler und war drei Jahre Versuchsleiter in der Daimler Kundenforschung. Dort verfasste er auch seine Magisterarbeit über ökologisches Mobilitätsverhalten. Danach war er sechs Jahre Projektleiter für sozialwissenschaftliche Begleitforschung am Institut für Transportation Design in Braunschweig zu Themen wie alternativer Energieerzeugung, autonomem Fahren und intermodalen Verkehrskonzepten. Zuletzt verfasste er eine Studie zu den Nachhaltigkeitsdefiziten der Digitalisierung und möglichen Handlungsempfehlungen im Auftrag des WWF Deutschland und der Robert Bosch Stiftung. Hier wurde nachgewiesen, dass sich Digitalisierung und Nachhaltigkeit in den meisten Teilbereichen äußerst antagonistisch zueinander verhalten.

Diese Studie ist auch ein wichtiges Fundament des Buches, in dem sie nach den unmittelbaren Herausforderungen fragen: Wohin führt das alles? Mit welchen Methoden und Perspektiven ist eine Erforschung der digitalen Lebenswelt der Zukunft möglich? Worin bestehen die Nachhaltigkeitsdefizite der Digitalisierung in den Bereichen Politik, Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft? Welche Maßnahmen gilt es für die Ebenen Politik, Ökonomie und Gesellschaft zu ergreifen, um die erzeugten Nachhaltigkeitsdefizite auszugleichen? Worin bestehen die Möglichkeiten, durch die Digitalisierung ein höheres Maß an Nachhaltigkeit zu erreichen?

Nachgewiesen wird, dass wir Heutigen den gleichen Fehler begehen wie schon viele Zivilisationen vor uns: Wir haben unsere Daseinsgrundlage auf die Ausbeutung von Ressourcen gegründet. Und wir haben unsere Bevölkerung und unseren Konsum weit über die Ertragskapazität unserer Erde aufgebläht. Auch wir sind mit Veränderungen des Klimas konfrontiert und haben diese sogar selbst herbeigeführt. Sobald Bedingungen schwanken, zeigt sich, wie brüchig Zivilisationen sind.

Die Autoren plädieren dafür, gerade durch eine politische und kulturelle Einbettung der digitalen Transformation einen Weg zu ermöglichen, den sozialen und ökologischen Schaden, den sie mit sich bringt, zu reduzieren. Betrachtet werden Nachhaltigkeitsdefizite bzw. die Auswirkungen mangelhafter Nachhaltigkeitsüberlegungen auf die Umwelt (Energieverbrauch und die damit verbundene Freisetzung von Emissionen durch Rechenzentren, die Produktion und Zusammensetzung von Smartphones, die umweltschädliche Entsorgung elektronischer Komponenten). Die Autoren zeigen aber auch, dass Nachhaltigkeit nichts Abstraktes ist, sondern bei jedem einzelnen Menschen beginnt: „Sich zurückzulehnen und auf politische Maßnahmen zu warten verschiebt die Verantwortung. Gezeigt wird, dass auch kleine Maßnahmen helfen.“

Wie Digitalisierung gestaltet sein muss

Um die Herausforderungen der Zukunft richtig zu meistern, ist es wichtig, die Ergebnisse aktueller Publikationen, Aktivitäten, Initiativen und Veranstaltungen miteinander zu verbinden, denn vieles läuft noch nebeneinander her. Das zeigte auch die Konferenz Bits & Bäume. an der Technischen Universität Berlin Ende 2018. Zu dieser internationalen Konferenz zu Digitalisierung & Nachhaltigkeit – der bisher "erfolgreichste Versuch der Vernetzung von Nerds und Ökos", wie das Linux-Magazin befand – kamen mehr als 1.300 Besucher(innen). Hier wurden auch Forderungen für digitale Nachhaltigkeit vorgetragen (viele Aspekte davon finden sich auch im Herausgeberband „CSR und Digitalisierung“).

Aus der Umwelt- und Entwicklungspolitik haben sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Brot für die Welt, Germanwatch, das Konzeptwerk Neue Ökonomie und der Deutsche Naturschutzring, gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung sowie den eher technisch orientierten Organisationen Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) und Open Knowledge Foundation (OKF) auf folgende politische Forderungen geeinigt. Auch der Chaos Computer Club (CCC) hat sich ihnen angeschlossen.

Die Digitalisierung muss so gestaltet werden, dass sie dem Gemeinwohl und Frieden dient, Datenschutz ernst nimmt und soziale und ökologische Ziele gleichermaßen fördert. Marie-Charlotte Matthes hat die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst https://netzpolitik.org/2018/bits-baeume-forderungen-fuer-mehr-digitale-nachhaltigkeit/, die hier gekürzt wiedergegeben werden:

Demokratie

Die Digitalisierung muss in sich demokratischer gestaltet werden und gleichzeitig demokratische Prozesse unterstützen, statt diesen entgegenzuwirken. Sie muss konsequent darauf ausgerichtet werden, „emanzipatorische Potenziale, dezentrale Teilhabe, offene Innovationen und zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern.“

Datenschutz und Kontrolle von Monopolen

Datenschutz, Manipulationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung sollen als Grundlage von freien, demokratischen, friedlichen und langfristig souveränen Gesellschaften national und global vorangetrieben werden. Es müssen Rahmenbedingungen zur Kontrolle digitaler Monopole geschaffen werden, damit sich im Norden und globalen Süden eine eigene, selbstbestimmte digitale Wirtschaft entwickeln kann. „Bestehende Monopole von Betreiber*innen kommerzieller Plattformen müssen gebrochen werden, indem beispielsweise eine definierte Schnittstelle zum Austausch zwischen Social-Media-Diensten verpflichtend eingeführt wird.“

Bildung

Politische Regulierung muss auch Informationen und Bildungsangebote zu Technik und Wirkungsweisen als einen Teil des öffentlichen Gemeinguts begreifen, sie müssen elementarer Bestandteil des öffentlichen Wissens sein. „Ein kritischer und emanzipatorischer Umgang mit digitaler Technik soll Teil von digitaler Bildung sein.

Entwicklungs- und handelspolitische Aspekte

Länder des globalen Südens müssen die Möglichkeit haben, eine eigene auf die lokalen und nationalen Bedürfnisse ausgerichtete Digitalisierung zu entwickeln. „Die negativen Seiten wie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung, Gesundheitsschäden und Elektroschrott dürfen nicht einseitig auf den globalen Süden abgewälzt werden.“

Bilaterale und multilaterale Handelsabkommen dürfen keine Verbote und Einschränkungen in den Bereichen Besteuerung (Taxation), Offenlegung des Quellcodes (Open Source) und Ort der Datenverarbeitung (Localisation) enthalten.

Die Technologie-Branche muss verpflichtet werden, in Fragen der Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit die Prinzipien menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfaltspflichten in den Abbau- und Produktionsländern konsequent anzuwenden.

IT-Sicherheit

IT-Sicherheit ist die Grundlage einer nachhaltigen digitalen Gesellschaft. Die Wandlungsfähigkeit von Unternehmen betrifft heute vor allem die IT, die im Spannungsfeld traditioneller Anforderungen steht, aber auch eines wachsenden „Digital Demands“ hinsichtlich des Einsatzes neuer Technologien, einer hohen Flexibilität und Agilität sowie einer kurzen „Time-to-market“. Wo intelligente IT-Systeme menschenähnliche Eigenschaften entwickeln, entstehen viele Chancen - es lauern allerdings auch zahlreiche Gefahren: Schon heute ist absehbar, dass die aktuellen Entwicklungen die Menschheit nachhaltig verändern werden.

Mangelhafte Software hat negative Folgen für deren Nutzer*innen, die Sicherheit ihrer Daten und die digitale Infrastruktur insgesamt. Es bedarf deshalb einer Softwarehaftung, damit Software-Hersteller die Verantwortung für die entstehenden Risiken tragen, statt die Qualität ihrer Software dem Profit zu unterwerfen.

Langlebigkeit von Software und Hardware

Software muss selbstbestimmt nutzbar und reparierbar sein und langfristig instandgehalten werden können, so wie es Open-Source-Software bereits verwirklicht. Elektronische Geräte müssen reparierbar und recyclebar sein (keine geplante Obsoleszenz). Dafür müssen Garantiefristen massiv ausgeweitet werden; Hersteller müssen Ersatzteile, Reparaturwerkzeug und Know-how für alle anbieten und langfristig vorhalten. Öffentliches Forschungsgeld darf es nur für Open-Source-Produkte geben.

Nachhaltige Digitalisierung erfordert aber auch die Änderung von Denkmodellen. Für Unternehmen und Organisationen bedeutet das eine radikale Prüfung von grundsätzlichen Sichtweisen und die Betrachtung bisheriger Geschäftsmodelle. Mit diesem Thema beschäftigen sich derzeit auch Fachexperten der Arbeitsgruppe „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ des DIHK-Projekts „Nachhaltig Erfolgreich Führen. IHK Management Training“, zu denen neben Felix Sühlmann-Faul auch Dr. Alexandra Hildebrandt, Wolfgang Keck, Florian Pröbsting, Peter Uhlig, Andreas Kröhling, Sabine Nixtatis und Mathias Wrede gehören.

Weiterführende Literatur:

Felix Sühlmann-Faul, Stephan Rammler (Hrsg.): Der blinde Fleck der Digitalisierung. Wie sich Nachhaltigkeit und digitale Transformation in Einklang bringen lassen. Oekom Verlag, München 2018.

CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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