Wie sicher ist meine Arbeit vor KI? Was aktuelle Daten zeigen
Eine Datenanalyse des Handelsblatts zeigt: Erste Berufsgruppen merken bereits jetzt Effekte der KI-Revolution. Einige betroffene Jobs überraschen dabei selbst Expertinnen.
Berlin, Düsseldorf. Die Zukunftsfragen könnten größer nicht sein. Stehen in Deutschland wegen Künstlicher Intelligenz (KI) drei Millionen Berufstätige vor einem Jobwechsel? Welche Jobs werden sich durch KI massiv verändern? Und welche sogar ganz wegfallen?
Forschungsinstitute, Beratungsagenturen und selbst ernannte Jobmarktexperten versuchen herauszufinden, welche Auswirkungen KI auf den Jobmarkt hat und haben wird. Der CEO des KI-Start-ups Anthropic, Dario Amodei, wagte Ende Mai eine düstere Prognose: KI würde in den nächsten Jahren die Hälfte aller Bürojobs auf Einstiegslevel vernichten. Wo passiert das womöglich jetzt schon?
Aktuelle Daten zum deutschen Arbeitsmarkt und weitere Datensätze zeigen, welche Jobs sich schon jetzt durch Künstliche Intelligenz verändern – oder sogar ganz verschwinden.
Das Handelsblatt hat die Berufsgruppen untersucht, in denen die Arbeitslosigkeit zuletzt überdurchschnittlich gestiegen ist. Zudem wurde ein Vergleich mit dem US-Arbeitsmarkt angestellt, der sich im Gegensatz zum deutschen Markt besser entwickelt hat. Dabei wurde analysiert, in welchen Berufen in den USA die Arbeitslosigkeit ebenfalls überproportional zugenommen hat.
Die Idee dahinter: So verschieden die USA und Deutschland auch sind und so unterschiedlich die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre ablief, KI kennt wenig regionale Besonderheiten. Entsprechend könnten in den USA und in Deutschland ähnliche Jobs von KI beeinflusst werden.
Wo aktuell in Deutschland schon Jobs wegen KI wegfallen
Basierend auf diesem Vergleich lässt sich für Deutschland eine Liste von Berufsgruppen erstellen, bei denen in den USA und in Deutschland der Anstieg der Arbeitslosigkeit über dem Durchschnitt lag.
Verglichen mit anderen Analysen, zum Beispiel von der „Financial Times“, zeigt sich, dass im oft diskutierten Bereich Software und Informatik die Arbeitslosigkeit steigt, was nahelegen könnte, dass KI hier den Arbeitsmarkt verändert. In den Daten zeichnet sich aber auch eine überproportionale Arbeitslosigkeit in einigen weiteren Bereichen ab.
Das sind zum einen die Naturwissenschaften Mathematik und Biologie und zum anderen der Verkauf und der Handel. Außerdem kommen Berufsgruppen hinzu, die man weitestgehend zur Logistikbranche zählen kann (Güterumschlag und Transportgerätführung) – und der Bereich technische Mediengestaltung, zu dem etwa Grafikdesign gehört. Doch ist wirklich KI der Grund für diese Trends in den Arbeitslosenquoten?
Anja Warning forscht am IAB zu Arbeitsmarktveränderungen durch Digitalisierung und KI. Sie sagt, natürlich gebe es Berufsgruppen, bei denen repetitive, analytische und administrative Aufgaben besser mit KI gelöst werden könnten. Das betreffe beispielsweise Berufe in der Finanzberatung oder auch die klassische Sachbearbeitung. Dennoch ist Warning vorsichtig: Deutsche Arbeitgeber hätten KI noch nicht so flächendeckend eingesetzt, dass sie einen klaren Effekt auf die Arbeitslosigkeit vermute.
Wo Expertinnen einen KI-Effekt vermuten
Ähnlich sieht es Virginia Sondergeld. Sie ist Ökonomin bei der Jobplattform Indeed und untersucht als Expertin für Arbeitsmarktforschung nationale und internationale Arbeitsmarkttrends. Sie weist darauf hin, dass es sowohl in der deutschen als auch in der amerikanischen Wirtschaft Branchen gebe, die zuletzt eine Flaute durchlebt hätten, unabhängig von KI. „Gerade in der Bauwirtschaft gab es in den letzten Jahren teils Krisen, die wenig mit KI zu tun hatten“, so Sondergeld.
Freelancer sind oft die Ersten, die es trifft.Virginia Sondergeld, Ökonomin bei Indeed
Laut den Expertinnen steckt also kein KI-Effekt in allen hervorstechenden Berufsgruppen nieder. Dennoch gibt es laut Sondergeld weitere Indizien, die zeigen, wie KI die Arbeitslosigkeit in manchen Bereichen jetzt schon verstärken kann. „Freelancer sind oft die Ersten, die es trifft“, sagt sie.
Das zeigt auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). 2024 untersuchte das DIW, ob Ausschreibungen für freiberufliche Tätigkeiten seit der Einführung von ChatGPT abgenommen haben. Schreibtätigkeiten waren mit einem Minus von 30 Prozent in den ersten acht Monaten am deutlichsten zurückgegangen, Software-, Web- und App-Entwicklung um 20 Prozent, und im Bereich Grafikdesign sanken die Aufträge um 17 Prozent. Zwei der Branchen, die auch in der Handelsblatt-Analyse auffällig starke Anstiege in der Arbeitslosigkeit verzeichnen.
Auch Einsteiger in diesen Branchen dürften es künftig schwerer haben. Gerade in der Tech-Branche wird darauf verwiesen, dass durch KI, die Programmiercode schreiben kann, verstärkt Senior-Programmierer und deutlich weniger Junior-Programmierer gesucht würden.
Für welche Jobs heute schon KI-Skills nötig sind
Neben dem Blick auf die aktuelle Arbeitslosigkeit gibt es eine weitere Möglichkeit, den Einfluss von KI auf den Arbeitsmarkt abzuschätzen: Jobanzeigen. Das Arbeitsrecht schützt Arbeitnehmer zwar in vielen Fällen vor KI-bedingten Kündigungen, allerdings ist denkbar, dass Arbeitssuchende nur schwer eine neue Stelle finden, wenn sie keine KI-Fähigkeiten nachweisen können.
Die Jobbörse Indeed verzeichnet zum Beispiel aktuell einen Anstieg der Anzeigen mit klarem KI-Bezug.
Das Handelsblatt selbst hat ebenfalls über 760.000 Jobanzeigen der Agentur für Arbeit nach Erwähnungen das Wort „KI“ oder „Künstliche Intelligenz“ gescannt.
Die so verbliebenen 2008 Anzeigen wurden dann gemäß ihren Berufsgruppen zugeordnet und jene Berufsgruppen weiter betrachtet, bei denen:
mindestens in fünf Anzeigen das Wort „KI“ oder „Künstliche Intelligenz“ vorkam,
mindestens in einer Anzeige zu der Berufsgruppe das Wort „Künstliche Intelligenz“ genannt wurde, um Falschtreffer des Suchalgorithmus nur basierend auf den beiden Buchstaben „KI“ auszuschließen.
Am Ende entstand so eine Liste von 61 Berufen, in denen heute schon KI-Skills häufiger nachgefragt werden.
Wenig überraschend finden sich in dieser Liste Berufe, die mit Informatik zu tun haben. Das deckt sich auch mit den Daten, die Virginia Sondergeld bei Indeed beobachtet. Zudem entstehen neue Jobs wie der des KI-Managers.
Account-Manager und Produkt-Manager müssen KI womöglich eher anwenden können, als sie selbst zu entwickeln. Und bei Indeed zeigt sich die wachsende Nachfrage vor allem in Berufen im Personal- oder im juristischen Bereich sowie in der Kommunikation. Sondergeld sagt: „Diese Gruppen sind bei uns derzeit noch kleiner, wachsen aber deutlich.“
Es gibt auch Überraschungen in der Analyse des Handelsblatts. So befindet sich die Berufsgruppe der Bürokaufleute weit oben in den Stellenanzeigen mit häufigem KI-Bezug. Warum, das wird deutlich, wenn man sich einzelne Stellenanzeigen wie diese genauer anschaut:
„Wir sind ein kleiner, familiärer Betrieb mit 13 Mitarbeitern. Niedrige Hierarchie, direkte Kommunikation, familiärer Umgang miteinander kennzeichnen uns. (...)
Deine Aufgabenschwerpunkte: allgemeine Büroorganisation, administrative Tätigkeiten, (...) Arbeiten mit moderner Branchensoftware und KI.“
Auch in Jobs mit Dokumentationspflichten, die zunächst vielleicht technikferner wirken, nimmt KI also eine zunehmend größere Rolle ein. Anja Warning vom IAB überrascht das nicht. In der gesamten Büroorganisation sowie in der Steuerberatung und im Finanzsektor könne KI viele Aufgaben übernehmen, so die Expertin.
Die Erfahrung aus den letzten Jahrzehnten der Digitalisierung sei aber, dass sich Tätigkeiten eher verändern, als komplett wegzufallen. „Es gab Studien, auch aus den USA, über mögliche Automatisierung durch Digitalisierung“, sagt Warning. Die großen Sorgen über massive Jobverluste hätten sich aber nicht bestätigt: „Wir sehen deutliche Veränderungen in vielen Arbeitsbereichen. Der Arbeitsmarkt an sich verändert sich schneller. Aber in Summe beobachten wir keine Beschäftigungsverluste.“
Warning meint, die Frage sei in den meisten Fällen nicht, ob KI den eigenen Job vollends obsolet mache. Die Frage, die sich stelle, laute vielmehr: Inwiefern kann KI zeitaufwendige Aufgabenbereiche viel zeitsparender erledigen? Das könne zu Stellenabbau führen, weil es für gewisse Aufgaben zum Beispiel nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Personen brauche. Diejenigen, die sich früh mit KI auseinandersetzten, könnten am Ende genau diese Jobs behalten.
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