Mit der Taschenlampe auf die blinden Flecken stoßen – das passiert durch Management by walking around - Christian Thiele | positiv-fuehren.com

Wieso du als Führungskraft gute Schuhe tragen – und abtragen solltest

„Aber die wissen doch, wo sie mich finden. Wieso soll ich denn laufend zu meinen Mitarbeitern gehen?“ Das hat vor einiger Zeit ein Seminarteilnehmer zu mir gesagt.

Falls du das auch denkst oder falls das deine Führungskräfte denken: Hier ein paar Dinge, die du über „Management by Walking around“ (MBWA) wissen solltest:

Die Wahrheit ist häufig da draußen. „Die effektivsten Manager verbringen einen bedeutenden Teil ihrer Zeit damit, direkt mit Mitarbeitern zu kommunizieren, anstatt sich auf formelle Kommunikationskanäle zu verlassen“, heißt es schon bei Mintzberg in einem Paper (1973, S. 97). Erfolgreiche Manager verbrachten demnach etwa 40 Prozent ihrer Zeit mit ungeplanten Rundgängen und informellen Gesprächen verbringen – und zwar, um

  • informelle Netzwerke aufzubauen,

  • wichtige Informationen zu sammeln,

  • ein ganzheitlicheres Verständnis der Organisation zu entwickeln,

  • (und, würde ich mal ergänzen: zu testen, wie eigentlich der Kaffee so bei den ITlerInnen, in der Produktentwicklung oder bei den Marketingleuten schmeckt …).

Bill Hewlett und Dave Packard, die Gründer von HP, sahen MBWA als fundamentalen Aspekt des Führungsstils ihrer Manager – der angeblich bis heute in der Unternehmenskultur verankert ist. Dave Packard schreibt über seine internationalen Werksausflüge: „Our visits always included a walk around the facilities, giving us the opportunity to meet and chat informally with our employees and see the work they were doing.“ Beide schreiben in ihrer Firmenbiographie (Hewlett & Packard, 1995), dass und wie sehr MBWA die Innovationskultur durch direkten Austausch zwischen Management und Entwicklern fördere; die Hierarchiebarrieren senke; und Mitarbeiterzufriedenheit und Engagement stärkten.

Das japanische Konzept des „Gemba“ (in etwa „der echte Ort“) ist der Gegenentwurf zu Tagen voller Mails, Excel-Sheets und Video-Calls. Es geht davon aus, dass ManagerInnen, die regelmäßig „am Ort des Geschehens“ sind, Verschwendung und Ineffizienzen besser erkennen und eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung durch direktes Beobachten und Hinterfragen stärken können. „Echtes Lean Management erfordert Führungskräfte, die dort Zeit verbringen, wo Wert geschaffen wird, und die Prozesse mit eigenen Augen sehen“, heißt es in einer Studie von Mann (2014, S. 67). Auch und gerade Automanager bei Toyota wurden stets darauf trainiert, direkt zu beobachten und sich nicht zu sehr auf Berichte oder Meetings in Konferenzräumen zu verlassen (Liker, 2004).

In der „Review of Accounting Studies“, zugegebenermaßen nicht mein übliches Jagdrevier für wissenschaftliche Erkenntnisse, erschien vor Kurzem eine Studie über MBWA-Experimente in den Filialen einer lateinamerikanischen Bank. Im Umfeld der Besuche von hochrangigen Führungskräften stiegen die Filialumsätze – das Hoch hielt rund einen Monat lang an (Casas-Arce et al. 2024). Allerdings ging es da auch um die Antrittsbesuche neuer Divisionsmanager – der Motivationsbooster könnte vielleicht beim zweiten oder dritten Mal in seiner Wirkkraft nachlassen, das müsste weitere Forschung überprüfen.

In ihren Studien zu psychologischer Sicherheit spricht Amy Edmondsond zwar nicht explizit von MBWA. Sie betont jedoch, wie wichtig die physische Präsenz von Führungskräften für den Aufbau von Vertrauen und für ein Klima sicherer Zusammenarbeit sei. Und sie ermutigt Führungskräfte dazu, „dass sie sich eingehend und regelmäßig mit den operativen Abläufen über alle Ebenen und Abteilungen hinweg beschäftigen. Die Leute vor Ort, die Produkte und Dienstleistungen schaffen und liefern, haben Zugang zu den wichtigsten strategischen Daten, die das Unternehmen besitzt. Sie wissen, was die Kunden wollen, was die Konkurrenten tun und was die neueste Technologie erlaubt“ (2020, S. 129).

Je mehr MBWA, desto besser, immer und überall? Nicht unbedingt: Wichtiger als die Zeit, die du als Führungskraft mit den Rundgängen durch die Büros, Produktionsstätten, Stationen oder ähnliches verbringst – oder die Zahl der Schritte, die deine Uhr dabei aufzeichnet... –, ist die Art und Qualität der Interaktionen mit den Mitarbeitenden, die dabei entstehen. Detert & Burris zeigen in einer Studie (2007), dass Manager, die regelmäßig zugänglich sind, mehr konstruktive Verbesserungsvorschläge von Mitarbeitern erhalten. MBWA schafft dabei ein Umfeld, in dem die Mitarbeitenden eher Probleme ansprechen, als wenn das im Eckbüro bei dir passiert.

Mögliche Probleme und Herausforderungen für MBWA konnten Tucker & Singer (2015) in einer Studie mit mehr als 4000 Führungskräften im Gesundheitswesen identifizieren. Sie stellten fest, dass

  • MBWA zwar die Patientensicherheit verbessert,

  • Rundgänge mit konkreten Aktionen und Verbesserungen verbunden sein müssen, um Wirkung zu zeigen,

  • MBWA negative Folgen haben kann, wenn Manager Probleme nur identifizieren, aber nicht beheben.

„Management-Rundgänge allein reichen nicht aus; sie müssen von organisatorischen Systemen begleitet werden, die identifizierte Probleme tatsächlich beheben“, so das Fazit (Tucker & Singer 2015, S. 1448). Dabei könnten dann wiederum nachfolgende Zoom-Calls helfen – oder, noch besser, bequemes Schuhwerk.

❓Wie regelmäßig bist du als Führungskraft vor Ort bei deinen Leuten?

PS: Du machst, ihr macht, Sie machen das gut!

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LITERATUR

Casas-Arce, P., Martínez-Jerez, F. A., & Moran, J. (2024). Motivating from the heights: a field experiment on top managers visiting the front-line. Review of Accounting Studies, 1-37.

Detert, J. R., & Burris, E. R. (2007). Leadership behavior and employee voice: Is the door really open? Academy of Management Journal, 50(4), 869-884.

Edmondson, A. (2020). Die angstfreie Organisation: Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. Vahlen.

Hewlett, W., & Packard, D. (1995). The HP way: How Bill Hewlett and I built our company. HarperBusiness.

Liker, J. K. (2004). The Toyota way: 14 management principles from the world's greatest manufacturer. McGraw-Hill.

Mann, D. (2014). Creating a lean culture: Tools to sustain lean conversions (3rd ed.). Productivity Press.

Tucker, A. L., & Singer, S. J. (2015). The effectiveness of management-by-walking-around: A randomized field study. Production and Operations Management, 24(2), 1339-1355.

Christian Thiele schreibt über Positive Leadership, Positive Psychologie, Führung, Wirtschaft & Management

Christian Thiele, 48, ist Vortragsredner, Coach, Teamentwickler und Trainer für Positive Leadership. Sein Podcast „Positiv Führen“ ist auf 🎧 positiv-fuehren.com/podcast zu hören, sein Buch "Positiv Führen" ist bei Wiley erschienen. (Ski-)Bergsteiger, (meist) zuversichtlicher Patchworkvater. 

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