In der Wirtschaft scheinen Firmenchefs vermehrt auf autoritäre Führungsstile zu setzen. - Foto: Dpa, Getty Images, J. Brauckmann (M)
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„Wir brauchen keine raumfüllenden Führungskräfte“

Aus dem Handelsblatt-Archiv: Der Berater Reinhard Sprenger findet: Die Zeit der Wellnessführung ist vorbei. Wie Manager jetzt führen sollten – und wie Unternehmen Führungskräfte optimal unterstützen.

Düsseldorf. Herr Sprenger, wir hören aus immer mehr Konzernen, dass an mehr Präsenz, einer härteren Leistungskultur, klareren Hierarchien gearbeitet wird. Ist New Work, also das Versprechen einer flexiblen und agilen Arbeitswelt, schon wieder am Ende?

Unternehmen waren schon immer Pendelveranstaltungen.

Das heißt?

Die Umwelten der Unternehmen verändern sich permanent. Da ist es klug, immer neu zu balancieren. Etwa zwischen Zentral und Dezentral, Global und Lokal. Dieses Oszillieren sichert die Elastizität des Unternehmens. Manche Unternehmen machen auch nur Moden mit – insbesondere wenn sie von Managern geführt werden und nicht von Eigentümern. Wenn man es bei diesem Pendeln zu weit treibt, bekommt man von den Märkten eins auf die Nase – und dann schwingt das Pendel wieder zurück.

Wollen Sie damit sagen, dass es die Unternehmen mit der New-Work-Kultur übertrieben haben und jetzt wieder straffe Führung gefragt ist?

Mehr Freiraum für das Individuum, agiler sein, das ist ja alles nicht falsch. Aber das funktioniert vor allem bei Sonnenschein. Sobald es regnet, kommen doch wieder die nützlichen Seiten der Hierarchien zum Tragen.

Also jetzt, weil viele Unternehmen mit Problemen kämpfen?

Die Volatilität der Märkte, der Fachkräftemangel sowie geopolitische Krisen fordern eine neue Unschärfe. Das Entweder-oder muss durch ein Sowohl-als-auch ergänzt werden. So kann es klug sein, partiell die klassische Rolle der Führungskraft aufzugeben und auf selbst organisierende Teamstrukturen zu setzen. Dann existieren Hierarchie und Start-up-Arbeitsweise nebeneinander. Letztlich aber muss Hierarchie die Entscheidbarkeit von Konflikten und Krisen sichern.

So führen Sie richtig in der Transformation

In einem Schwerpunkt wendet sich das Handelsblatt an Führungskräfte, die vor der Frage stehen: Wie klappt Führung und Change Management in Zeiten der Transformation? Lesen Sie hier das Programm im Überblick.

Eine Welt der Stapelkrisen

Also zwingt die herausfordernde Lage die Menschen zurück in die Hierarchie?

Wir leben in einer Welt der sogenannten Stapelkrisen ...

... also mit Kriegen, Wirtschaftsabschwung, Transformationsdruck.

... und haben eine Situation, die für die heutige Managergeneration vergleichsweise neu ist. Wir reden nicht mehr von Unsicherheit, sondern Ungewissheit. Die Zukunft ist kaum noch prognostizierbar. Die Frage ist, wie Führung damit umgeht.

Sagen Sie es uns!

Bis zu Covid und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine lebten wir in einer goldenen Normalität stetig aufsteigender Linie. In dieser Zeit brauchten wir eigentlich keine Führung. Effizienzorientiertes Management reichte weitgehend aus. Diese Zeit der Wellnessführung ist Vergangenheit. Jetzt haben wir eine Situation, in welcher der anthropologische Kern von Führung wieder freigelegt wird.

Klingt ein wenig nach: Schwierige Zeiten erfordern eine starke Hand.

Nein, ich will sagen: Wir brauchen Führung nur in Krisen. Führung muss einsteigen, wenn Ziel- und Wertkonflikte zu entscheiden sind. Ihr Einsatzgebiet liegt also jenseits der Routinen. Insofern ist Führung eine Art Lückenbüßer für alles, was nicht vorhersehbar ist und nicht organisiert werden kann. Deshalb brauchen wir eine Führung, die die Krise als ihren Normalzustand begreift.

Finden viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter es nicht auch angenehm, wenn wieder klare Ansagen gemacht werden?

Es gibt eine Sehnsucht nach dem Ende der Mehrdeutigkeit. Auch wenn klare Ansagen erwiesenermaßen einseitig und wirklichkeitsfremd sind. Die weiterreichende Frage ist doch: Gewinnen wir mit diesen Menschen den Wettbewerb der Zukunft? Da habe ich Zweifel. Wir müssen den Menschen schon ein höheres Maß an Selbstverantwortung und unternehmerischer Initiative zumuten. Was letztlich bedeutet: sich den Dilemmata stellen und selbst entscheiden.

Trotzdem haben Sie sich gerade für mehr Hierarchie ausgesprochen.

Das ist es doch gerade, um das es geht! Intelligenz fliegt auf zwei Flügeln. Hierarchie sollte nur dann nach vorn treten, wenn sie wirklich gebraucht wird. Aber wenn sie klug ist, dann muss sie sich auch angemessen und überlegt zurückhalten. Wir brauchen keine raumfüllenden Führungskräfte, wir brauchen raumöffnende.

Wie lässt sich der Bedarf an hierarchischer Führung mit dem Bedürfnis der Mitarbeiter nach Handlungsspielräumen am besten kombinieren?

Das einzige legitime Ziel von Führung ist die Selbstführung der Mitarbeiter. Mitarbeiter sollten im Alltag also weitgehend ohne Führung auskommen. Sie wissen selbst, was sie zu tun haben. Führung muss erst dann in die Verantwortung gehen, wenn die Paralyse droht. Dann muss Führung in Bewegung bringen, wo sonst Stillstand und Schmerz ist.

Und was braucht eine Führungskraft in dieser Situation?

Sie muss anerkennen, dass sie als Führungskraft eine hochgradig dilemmatische Aufgabe gewählt hat. Darin wird sie permanent verhauen.

Die allermeisten Führungskräfte haben das gar nicht verstanden. Sie sind gern Vorgesetzte, bekommen mehr Geld und ein größeres Auto. Aber dass sie automatisch Widerstand erzeugen, wenn sie ihren Job machen, blenden die meisten aus. Einsicht in die Ambivalenz der Dinge, das ist der erste und wichtigste Punkt.

Reinhard Sprenger ist einer der renommiertesten deutschen Managementberater zu Führungsthemen. - Foto: DVA / Foto: Stefan Kröger (M)
Reinhard Sprenger ist einer der renommiertesten deutschen Managementberater zu Führungsthemen. - Foto: DVA / Foto: Stefan Kröger (M)

Und der zweite?

Sie brauchen eine gewisse innere Unabhängigkeit. Ich würde Führungskräfte zum Beispiel nicht mit einem 360-Grad-Feedback überziehen. Damit erzeugt man nur Konformitätsruinen.

Wenn eine Führungskraft entscheidet, macht sie sich in der Sache schuldig und bei einigen Menschen unbeliebt. Dann hat sie automatisch alle zum Gegner, die aus der anderen Alternative ihre Vorteile gezogen hätten. Und die sollen später im 360-Grad-Feedback über das Fortkommen entscheiden? Das führt nur dazu, dass nicht entschieden wird und McKinsey den Job bekommt.

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„Hierarchie ist die heilige Ordnung“

Braucht es neben strukturellen Voraussetzungen nicht vor allem auch Mut und die Stärke, diesem Druck standzuhalten?

Das zielt mir zu sehr auf die Person. Wenn ich eine Organisation baue, dann muss ich sie so bauen, dass die Strukturen vernünftige Verhaltensweisen begünstigen. Und da sind wir wieder beim Thema Hierarchie. Wenn die Hierarchien klar sind, sind auch Konflikte strukturell vorentschieden. Hierarchie ist die heilige Ordnung, weil sie Entscheidungen nicht rechtfertigen muss.

Also kommt es in Krisensituationen vor allem darauf an zu entscheiden, egal wie?

Verkürzt gesagt: ja. Wir haben in dieser unsicheren, von Krisen geschüttelten Welt häufig eine Situation, in der wir keine belastbaren Daten haben. Das erfordert dann eben Entscheidungen. Und dazu muss ich dann jemand haben, der in die Verantwortung geht und sagt: Ich weiß auch nicht, was richtig ist, aber wir machen das jetzt so.

Klingt nach viel situativer Logik.

Na ja, Führung lebt ja auch von der Lizenz zur Nachträglichkeit. Das heißt, wenn eine Entscheidung nicht offensichtlich falsch war, wird sie rückblickend zur Strategie erklärt. Dabei wissen wir doch, dass ein winziger Parameter eine ausgefeilte Großprognose über den Haufen werfen kann. Genau dann müssen wir schnell reagieren können.

Reinhard Sprenger ist einer der renommiertesten deutschen Managementberater zu Führungsthemen. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Gehirnwäsche trage ich nicht – Selbstbestimmt leben und arbeiten“ im Campus-Verlag.

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