©Philipp Westermeyer traf Martin Brudermüller in Stuttgart zur Aufnahme. Foto: OMR

„Wir müssen Chinas Autos ernst nehmen“: Mercedes-Aufsichtsratschef schlägt Alarm

Martin Brudermüller über den teilweisen Vorsprung chinesischer Marken, den Wandel, der jetzt in Deutschland nötig ist, und natürlich die Frage, wie viel ein Chemie-Absolvent vom Auto-Business versteht.

Es gibt wohl kaum einen deutschen Topmanager, der China so gut kennt wie Martin Brudermüller. Mehrere Jahre hat er für den Chemiekonzern BASF in Hongkong gelebt, immer wieder hat er das Land anschließend auch als Vorstandschef des weltgrößten Chemiekonzerns bereist und irgendwann sogar dafür gesorgt, dass die BASF dort ein komplett neues Werk aus dem Boden stampft. Rund 10 Milliarden Euro verschlingt das Investment, nie zuvor hatte der Konzern eine so große Summe in ein Einzelprojekt investiert. Und obwohl die Spannungen mit China zunehmen, das Land auch wirtschaftlich längst nicht mehr so rasant wächst wie vor einigen Jahren, ist er von der Entscheidung überzeugt – genauso wie davon, weiterhin am chinesischen Markt festzuhalten: „Es ist ein größeres Risiko, nicht in China zu sein, als dort zu sein.“

2024 hat er seine CEO-Karriere beendet. Sein Mandat als Aufsichtsratschef bei Mercedes-Benz sorgt aber dafür, dass ihm nicht langweilig wird. Im Gegenteil. Der studierte Chemiker musste sich für den Job zunächst viel neues Wissen aneignen. Denn Brudermüller weiß zwar genau, wie ein großer Konzern gesteuert wird, hat durch seine Chemie-Vergangenheit einen guten Zugang zum Thema Elektromobilität und durch seine Kenntnisse von China auch viel Erfahrung auf einem der wichtigsten Märkte von Mercedes. Dennoch: Das Geschäft der BASF sah in der Praxis dann doch etwas anders aus als das von Mercedes, was auch Martin Brudermüller einräumt: „Ein Fass Butandiol zu verkaufen war natürlich weniger spannend als einen Mercedes“, scherzt Brudermüller. B2B ist eben doch etwas anderes als B2C. Aber Rocket-Science ist es am Ende eben auch nicht.

Der Sparringspartner des Vorstandschefs

Als Kontrolleur und Sparringspartner von Mercedes-Vorstandschef Ola Källenius soll Martin Brudermüller darauf achten, dass die Transformation des Fahrzeuggiganten gelingt. Denn die Herausforderungen für die deutsche Automobilindustrie sind – nicht nur wegen chinesischer Konkurrenz – groß. Die Fahrzeuge müssen digitalisiert und elektrifiziert werden, sie sollen modern gedacht sein, aber gleichzeitig die Werte verkörpern, für die Mercedes steht. Wie groß diese Herausforderungen sind, erkennt man am Börsenkurs: Die Aktie hat im vergangenen Jahr zweistellig an Wert verloren, die Marktkapitalisierung liegt nur noch bei 50 Milliarden Euro – und das bei einem Vielfachen des Umsatzes und mehr als 2,4 Millionen verkauften Fahrzeugen.

Und Mercedes ist ja kein Einzelfall: Die gesamte deutsche Auto-Industrie leidet, speziell auch im Zulieferbereich, wo viele Betriebe jahrelang Teile für Verbrennungsmotoren entwickelt und produziert haben, die in Zukunft immer weniger gefragt sein dürften. Brudermüller betont, wie wichtig die Industrie für den Wohlstand in Deutschland ist. Dennoch ist er überzeugt, dass sich hier vieles verändern muss, wenn Deutschland weiterhin eine führende Rolle in der Welt einnehmen soll.

„Wir sind für das Allermeiste, was heute nicht funktioniert, selber verantwortlich“, sagt Martin Brudermüller. Doch seiner Ansicht nach habe noch nicht jeder begriffen, was auf dem Spiel steht. „Ich habe Zweifel, dass die Gesellschaft in Deutschland bereit ist, die nötigen Veränderungen zu machen.“

Die FAZ nannte ihn „John Wayne der BASF“

Rumms. Wer Brudermüller zuhört, erfährt auch etwas über seine Haltung zu Themen aus dem politischen Umfeld – zu denen sich viele CEOs öffentlich meistens nicht äußern wollen. Brudermüller jedoch sagt: „Man ist ein politischer CEO. Es gibt ja auch nicht so viele, die den Mund aufmachen.“ Martin Brudermüller schon. Auch deswegen haben ihm Medien verschiedene Spitznamen verpasst. Die „FAZ“ nannte ihn mal den „John Wayne der BASF“, die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb vom „Sheriff der deutschen Industrie“. 

Was aus Sicht von Martin Brudermüller in Deutschland passieren muss, wie er auf Angela Merkel blickt und inwiefern er als Markt auch Indien spannend findet, erfährst du im OMR Podcast.

OMR Podcast

Text: Florian Rinke

Philipp Westermeyer schreibt über Online Marketing, Medien, Marketing & Werbung

Philipp Westermeyer hat mit OMR die größte Anlaufstelle für Inhalte und Wissen rund um die digitale Wirtschaftswelt in Deutschland geschaffen. OMR gibt es einmal im Jahr als Festival in Hamburg (2022 70.000 Besucher) und ganzjährig in Form von Artikeln, Studien, Seminaren, Video-Dokus oder Podcasts.

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