„Wir ziehen die Kinder an, spielen mit ihnen – und ab 7:30 Uhr übernehmen unsere Nannys“
Für Rebecca und ihren Mann waren die Geburten ihrer beiden Töchter kein Grund, im Job zurückzufahren. Wie sie ihren (Job-)Alltag mithilfe von zwei Nannys bändigen.
In unserer Interview-Reihe sprechen wir regelmäßig mit Berufstätigen, die Kinder haben. Sie berichten darüber, wie sie ihren Job und die Sorgearbeit miteinander vereinbaren, für welches Elternzeit- und Arbeitsmodell sie und ihr Partner sich entschieden haben und was ihnen dabei hilft, sich zu organisieren.
Rebecca ist 33 Jahre und arbeitet als Wagniskapitalgeberin. Ihr Mann Ben (35) ist Unternehmer und baut gerade sein viertes Unternehmen in der KI-Industrie. Gemeinsam mit ihren zwei Töchtern, 22 Monate und 3 Monate, leben die beiden auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern.
Rebecca, wie sieht eure Arbeitswoche aus?
Wir arbeiten beide zwischen 60 und 80 Stunden pro Woche. Wir leben in Mecklenburg-Vorpommern, ich arbeite aber aus London, mein Mann aus Berlin. Unsere Jobs sind sehr reiseintensiv. Ich bin wöchentlich bei Gründerinnen und Gründern oder auf Events, mein Mann muss häufig zu seinen Kunden reisen, das kann überall auf der Welt sein. Wir sind jeweils zwei bis drei Tage pro Woche unterwegs, ich meist von Dienstag bis Donnerstag, er von Montag bis Mittwoch. Die restlichen Tage arbeiten wir von zu Hause. So können wir unterwegs den Fokus voll auf die Arbeit legen, Abendtermine wahrnehmen und auch mal länger im Büro bleiben.
Wie organisiert ihr das mit den Kindern?
Wir versuchen unsere Reisen – wo es geht – so zu legen, dass einer von uns zu Hause ist. Morgens übernimmt die Person, die da ist, unsere große Tochter. Wann die Kleine wach wird, hängt von der vorherigen Nacht ab. Wir ziehen die Kinder an, spielen mit ihnen und ab 7:30 Uhr übernehmen dann unsere Nannys. Wir haben zwei Nannys in Vollzeit angestellt, die bei uns im Haus leben. Unsere große Tochter geht in den Kindergarten, die Kleine ist den ganzen Tag in deren Obhut. Abends übernehmen wir dann wieder, essen mit den Kindern zu Abend und bringen sie ins Bett.
Wie kam es dazu, dass ihr euch für Vollzeitnannys entschieden habt?
Das war früh klar. Schon vor der Schwangerschaft habe ich deutlich gemacht, dass ich meine Karriere fortsetzen will. Ich hatte damals schon viel Verantwortung im Unternehmen, die ich nicht einfach abgeben konnte. Ähnlich war es bei meinem Mann: Als Unternehmer hat er zeitweise Tausende Mitarbeitende geführt. Für uns beide war klar, dass wir unseren beruflichen Weg weitergehen wollen. Und wenn man sich im Freundeskreis umsieht – egal ob in Deutschland, den USA oder in England – dann ist das einzige Modell, das wirklich funktioniert, ohne dabei völlig den Verstand zu verlieren oder extreme berufliche Flexibilität zu brauchen, eine Nanny, die bei uns lebt. Für uns war wichtig, immer einen Backup-Plan zu haben. Ohne den gäbe es Streit darüber, wer diesmal zu Hause bleibt, wer das letzte Mal zurückgesteckt hat.
Wie ist es für dich, dass deine Töchter eine so enge Bindung zu den Nannys haben?
Meine Töchter haben eine zweite Frau in ihrem Leben, die sie wie eine Mutter wahrnehmen – zu der sie eine ähnlich enge Bindung haben wie zu mir. Ich versuche, das zu feiern. Es ist ein Geschenk, wenn jemand meinem Kind Nähe, Trost und Liebe geben kann – in Momenten, in denen ich es nicht kann. Wir wachsen mit dem Bild der Mutter als biblischer Marienfigur auf, die sich völlig aufopfert. Zu erkennen, wie tief diese Vorstellung im eigenen Denken verankert ist – und sich bewusst zu sagen, dass man keine schlechte Mutter ist, nur weil das Kind noch eine weitere Bezugsperson hat, ist ein Prozess, den ich erst mal durchleben musste.
Wie viel kosten euch die zwei Nannys?
Etwa 7.000 Euro im Monat. Das ist zwar viel Geld – aber andere Menschen geben dasselbe Geld für Designer-Handtaschen, exklusive Urlaube und teure Autos aus. Wir müssen unsere Prioritäten neu setzen. Ich habe in meinem Leben nie tausende Euro für eine Handtasche ausgegeben. Ich würde jederzeit lieber in verlässliche Kinderbetreuung investieren. Investitionen in Care-Arbeit sind Investitionen in die eigene Zukunft. Wir müssen uns ehrlich fragen: Was ist uns unsere Karriere wirklich wert? Und wie setzen wir unser Haushaltsbudget sinnvoll ein? Wenn wir diese Entscheidungen bewusster treffen, hätten viele am Ende mehr Spielraum, als sie glauben.
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Habt ihr nach den Geburten eurer Töchter Elternzeit genommen?
Mein Mann hat keine Auszeit genommen – er hat sogar im Kreißsaal noch gearbeitet. Ich hatte beim ersten Kind die üblichen acht Wochen Mutterschutz, beim zweiten kamen zwei Wochen Elternzeit dazu.
Wusstest du schon immer, dass du so schnell zurück ins Berufsleben kommen möchtest?
Ich wusste schon immer, dass ich relativ schnell wieder arbeiten möchte – habe mir aber bewusst die Freiheit gelassen, nach der Geburt intuitiv zu entscheiden. Nach dem ersten Kind war für mich schnell klar: Ich will bald wieder zurück in den Job. Ich liebe meine Kinder über alles. Es gibt Momente, in denen ich denke: Wow – mit Kindern erschließt sich eine ganz neue Dimension des Menschseins, die man ohne eigene Kinder kaum erfassen kann. Aber ich bin auch jemand, der zwei Stunden nach der Geburt, als die PDA nachgelassen hatte, im Kreißsaal das Handy gezückt und E-Mails gecheckt hat. Nicht aus Druck, sondern aus echtem Interesse daran, was in der Welt passiert. Das mache ich mit dem Baby auf dem Bauch. Mutter zu sein, hat diesen Teil meiner Identität nicht verändert. Der schwierigste Aspekt ist die Zeit. Ich möchte unendlich viel mit meinen Kindern verbringen – und gleichzeitig unendlich viel arbeiten. Aber der Tag hat nun mal nur 24 Stunden. Und irgendwann muss man auch schlafen.
Hat das Muttersein deine Karriere beeinflusst?
Im Großen und Ganzen geht meine Karriere genauso weiter wie zuvor. Der Unterschied ist: Ich bin deutlich erschöpfter. Mit Kindern bekommt das Wort „ausgelaugt“ eine neue Dimension – vor allem, wenn man im Job weiterhin Vollgas geben will.
Auf welche Reaktionen stößt du, wenn du anderen von eurem Modell erzählst?
Gesellschaftlich ist es noch nicht überall akzeptiert, dass eine Mutter so viel arbeitet. Das Schöne ist: Die meisten sagen es mir inzwischen nicht mehr direkt ins Gesicht. Manche halten kurz inne oder schauen irritiert. Das größte Verständnis erlebe ich aus asiatischen Kulturkreisen. Freundinnen aus Singapur oder Indonesien sind oft selbst mit einer Nanny aufgewachsen oder hatten Hilfe zu Hause. Ich musste mir aber auch schon einiges in der Familie anhören: Meine Mutter ist Erzieherin und hat eine klare Haltung. Für sie brauchen Kinder ihre Mutter – und die soll drei Jahre zu Hause bleiben.
Sollten wir das also normalisieren?
Absolut. Die größte Lüge ist, dass wir alles unter einen Hut bekommen können – wenn wir uns nur genug an Kita-Zeiten und Büroalltag anpassen. In meinem Job funktioniert das nicht. Meine Tochter ist jede zweite Woche krank. Wenn ich sie jedes Mal selbst abholen müsste, würde man mich im Team zu Recht nicht als verlässlich ansehen. Ich wäre nicht belastbar, nicht voll verfügbar und kaum in der Lage, ein Team zu führen. Ich verstehe auch, wenn Frauen sich bewusst dafür entscheiden, mit den Kindern zu Hause zu bleiben. Diese Entscheidung bekommt gesellschaftlich oft zu wenig Anerkennung. Aber der Druck, Karriere und Muttersein gleichzeitig in Perfektion leisten zu müssen, ist Blödsinn. Ein Kind ist ein Fulltime-Job. Und irgendjemand muss diesen Job übernehmen. Wer glaubt, zwei Vollzeit-Jobs gleichzeitig bewältigen zu können – Kind und Karriere –, hat entweder ein anderes Verständnis von Zeit oder ignoriert die Realität: 24 Stunden reichen dafür nicht.
Wie teilt ihr euch die Care-Arbeit auf, wenn ihr beide zu Hause seid? Wenn du meinen Mann fragst, sagt er „50/50“. Ich würde „70/30“ sagen. Wenn es um die tatsächliche Zeit mit den Kindern geht, erbringen wir die Zeit im Verhältnis 60 zu 40, ich mache etwas mehr. Ich übernehme auch deutlich mehr vom Mental Load: Klamotten besorgen, Termine im Kindergarten, Geburtstagsgeschenke, die ganze Organisation. Ich habe da schlicht höhere Ansprüche als mein Mann.
Und wer macht den Haushalt?
Unter der Woche übernehmen die Nannys die Essensplanung. Zusätzlich haben wir eine Haushaltshilfe. Alles andere teilen wir uns etwa zu gleichen Teilen auf.
Habt ihr dann auch mal Zeit für euch selbst?
Um ehrlich zu sein: aktuell nicht. Unsere jüngere Tochter ist drei Monate alt, wir arbeiten beide in Vollzeit – da bleibt kaum Raum für uns. Abends, wenn unsere Große ins Bett geht, beginnt so etwas wie ein Downtime-Modus. Aber selbst dann haben wir selten Zeit, ein Buch zu lesen oder einfach abzuschalten. Meistens sitze ich noch in Calls, beantworte E-Mails oder höre Podcasts, die für meine Branche relevant sind. Der Sonntag ist unser Familientag – da versuchen wir, Laptops und Handys konsequent auszulassen und etwas gemeinsam als Familie zu erleben. Ich sehe das als eine Phase. Unsere Kinder sind noch sehr klein, und wir stehen beide mitten in der Karriere. Wir haben bewusst entschieden, jetzt zurückzustecken – bei Urlaub, Hobbys und auch bei Freundschaften.
Und das ist für euch in Ordnung?
Ja. Wir ziehen beide viel Energie aus unserer Arbeit, und unsere Jobs machen uns großen Spaß. Außerdem können wir von dem „Fettpolster“ zehren, das wir als Paar aufgebaut haben – wir sind seit zehn Jahren zusammen, seit fünf Jahren verheiratet, und hatten auch lange Zeit ohne Kinder. Diese gemeinsame Basis trägt uns jetzt durch eine Phase, in der kaum Zeit bleibt, weder als Paar noch als Individuen. Wir hoffen, dass sich das ändert, wenn die Kinder älter werden.
Gibt es etwas, das ihr heute anders macht, als ihr es euch vorgestellt hattet, bevor ihr Kinder bekommen habt?
Nicht viel – außer, dass wir aufs Land gezogen sind. Vorher haben wir zusammen in Berlin gelebt. Dann haben wir gemerkt: Das Leben auf dem Land ist kinderfreundlicher und schöner. Ich hatte früher immer gedacht, ich würde einmal in einem Penthouse in New York City leben.
Woran müsstet ihr noch arbeiten?
Unsere oberste Priorität ist im Moment, wieder mehr Zeit als Paar zu finden. Wir wollen eine eigene Identität als Ehepaar entwickeln – losgelöst von der Rolle als Mutter, Vater oder Geschäftspartner.
Was wünschst du dir für unsere Gesellschaft – insbesondere für das Muttersein?
Ein großes Problem ist, dass Kinderbetreuung nicht als Arbeit gilt. Sie wird eher als emotionale Zusatzleistung gesehen, die Frauen einfach zu erbringen haben. Wir sind zwar in Sachen Emanzipation weitergekommen, aber die zugrunde liegenden Mutterbilder stammen im Kern noch immer aus früheren Jahrhunderten. Das führt zu einem Widerspruch: Wir fordern von jungen Frauen, dass sie top ausgebildet sind, sobald sie aber in ihrer Karriere vorankommen, zieht uns die Gesellschaft plötzlich zurück in ein Rollenbild, das eher an die 1950er erinnert. Die einzige Lösung, die ich aktuell sehe, ist professionelle Unterstützung und die Investition in Care-Arbeit.
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