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Wirtschaft und Gesellschaft zum Blühen bringen: Was wir von einem funktionierenden Ökosystem lernen können

Der Kirschbaum ist ein funktionierendes Ökosystem, das von vielen Wesen getragen, ernährt und vermehrt wird. Hier sind Intelligenz und Bildung dezentral organisiert, Wertstoffe fließen in den Kreislauf zurück, und Schwächephasen werden kollektiv überwunden. In seinem Buch „Der Weg des Kirschbaums“ analysiert der Unternehmer Erwin Thoma, wie bisher intakte Wirtschaftssysteme durch Marktgiganten zerschlagen wurden, und erzählt anhand seines positiven Modells, wie es auch anders geht. Der Kirschbaum dient ihm als Vorbild, als Analogie zu uns selbst und unserem Leben. Das Bild des üppig blühenden Kirschbaums mit seinem Überfluss an Schönheit und schneller Vergänglichkeit ist im Kontext der Nachhaltigkeit allerdings nicht neu. Er geht auf den Ansatz des Chemikers und Verfahrenstechnikers Prof. Michael Braungart zurück, der dabei das Cradle to Cradle-Denken („von der Wiege bis zur Wiege“) als Bezugssystem benutzt. Ein Baum produziert ununterbrochen positive Emissionen: „Ein Baum gibt, da er wachsen will, nicht nur Sauerstoff ab (und auch etwas CO2), er will auch größer werden. Er will mehr CO2 verbrauchen und mehr Sauerstoff abgeben. Immer mehr Emissionen! Emissionen, die andere Lebewesen fördern!“

In diesem Modell für industrielle Prozesse fließen alle Materialien in geschlossenen biologischen oder technischen Kreisläufen zusammen. Dabei kann das, was neu entsteht, etwas vollkommen anderes sein als das Alte. "Abfälle" existieren in diesem Sinne nicht. Wenn Produkte intelligent entworfen werden (und zwar so, dass sie entweder vollständig kompostierbar oder in wiederverwertbare Teile zerlegbar sind), kann das Streben nach (Öko)-Effizienz und dem begleitenden schlechten Gewissen endlich beendet werden. Es soll ein Zustand erreicht werden, wo die Dinge gleichermaßen nützlich sind für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt. In seinem Buch „Intelligente Verschwendung“ („The Upcycle“) entwirft er ein großes Bild der Zukunft sowie Lösungen durch genaues Beobachten und innovatives Denken. Während die Industrie heutzutage die Umwelt durch Schadstoffverminderung und sparsamen Rohstoffverbrauch schonen will, propagiert er das Gegenteil: Verschwendung, Konsum, Überfluss - mit den richtigen, unschädlichen Materialien. Braungart plädiert für Öko-Effektivität und nimmt die Natur als Vorbild: "Die Natur produziert seit Jahrmillionen völlig uneffizient, aber effektiv. Ein Kirschbaum bringt Tausende von Blüten und Früchten hervor, ohne die Umwelt zu belasten. Sobald Blüten und Früchte zu Boden fallen, werden sie zu Nährstoffen für Tiere, Pflanzen und Boden in der Umgebung."

„Abfall“ ist nie unbrauchbarer Müll, sondern immer Nahrung für etwas Neues. Cradle to Cradle unterscheidet zwischen dem biologischen Kreislauf (in dem Materialien zirkulieren, die gesundheitsverträglich und kompostierfähig sind) und dem technischen Kreislauf, dessen Rohstoffe (beispielsweise Kunststoffe oder Metalle) sortenrein und mit geringem Aufwand voneinander getrennt und neu verarbeitet werden können. Die Ressourcen für die Produkte werden den beiden Kreisläufen entnommen und nach der Nutzung zurückgegeben. Damit zusammenhängt auch das Thema Energie: Die moderne Gesellschaft und die meisten Designer betrachten sie nur als isoliertes Phänomen ohne Zusammenhang mit anderen Faktoren. „Sie sprechen von Energiebedarf, statt Energie als Mittel zum Zweck zu sehen.“ Schon beim Entwurf eines Produktes muss eingeplant werden, wo seine Bestandteile am Ende seines Zyklus neu eingesetzt werden. Solche Produkte gelten nach C2C als ökoeffektiv. Dagegen steht der Begriff der Ökoeffizienz. Ökoeffizient ist ein Produkt, wenn es mit dem Verbrauch von weniger Ressourcen bessere Ergebnisse erreicht und durch die Verminderung von Schadstoffen die negativen Umweltauswirkungen reduziert.

1987 hat er die Environmental Protection Encouragement Agency (EPEA) Internationale Umweltforschung gegründet, davor baute er die Chemie-Abteilung von Greenpeace mit auf. Die NGO hat das Institut zunächst voll finanziert. Dann kamen der Sierra Club, Friends of the Earth und andere große Umweltorganisationen hinzu sowie Industrieunternehmen, die wissen wollten, wie es anders geht. Seine Hamburger EPEA-Zentrale vernetzte er mit eigenen Büros oder Kooperationen in London, Moskau, Sao Paulo und New York. Dort lernte er den ökologisch engagierten Architekten William McDonough kennen, mit dem er sich 1995 zur Firma McDonough Braungart Design Chemistry in Charlottesville, Virginia, zusammentat. So wurde beispielsweise ein Fernseher mit Philipps für Innenräume entwickelt. Hier ist die Luft oft „drei- bis achtmal schlechter als die schlechteste Hamburger Außenluft.“ Es wurden alle stark riechenden Plastikverbindungen durch Metall ersetzt. Gegenüber jedem anderen Fernseher gast er 30.000-mal weniger Stoffe aus. Die seltensten Elemente wurden durch komplett neue Techniken ersetzt. Auch in Architektur und Städtebau wird schon lange nach C2C-Prinzipien gearbeitet: Dabei wird neben der behutsamen Verwendung der Materialien immer eingeplant, wie als Nebeneffekt die Umwelt bereichert werden kann:

  • mit gesäubertem Wasser, das an einen See oder Bach abgegeben wird

  • mit Nistplätzen für Vögel, Schlupfwinkel für Fledermäuse

  • Blumenwiesen auf Dächern für Bienen

  • einem natürlicher Wasserfilter

  • Fassaden, die die Außenluft reinigen.

„Um Feinstaub aus der Luft zu filtern braucht, man Furchen und Rinnen, keine glatten Oberflächen. Und man braucht elektrostatische Aufladung, durch die der Staub aus der Luft angezogen wird. Wenn es dann regnet, wird der Staub abgewaschen und kann nicht mehr eingeatmet werden“, sagt Braungart. William Clay Ford jr., Chef der Ford Motor Company und Urenkel des Gründers Henry Ford, gab 1999 seinem Partner McDonough den Auftrag, eine große Produktionsanlage River Rouge in Dearborn, Michigan, umzubauen. "The Rouge" galt früher als Wunder der Arbeitsplanung und Wahrzeichen der modernen Industrie. Ziel war es nun, ein Unternehmensareal zu schaffen, auf dem die Kinder der Arbeiter gefahrlos spielen konnten. Am Beispiel des Regenwassermanagements zeigt sich die nachhaltige Umsetzung: Die gesetzlichen Bestimmungen zur Wasserreinhaltung verlangten neue Betonröhren und Aufarbeitungsanlagen, die das Unternehmen bis zu 48 Millionen Dollar gekostet hätten. McDonough entschied sich für eine öko-effektive Lösung. Die neue Anlage hat Gründächer, die bis zu 50 Millimeter Regenwasser speichern, auf den Parkplätzen gibt es viele Lochsteinen, die ebenfalls Wasser aufnehmen. Von dort sickert das Regenwasser in einen Sumpf, wo es durch Pflanzen, Mikroben, Pilze und andere Organismen gereinigt wird. Danach wird es durch Gräben, die viele heimische Pflanzen enthalten, in den Fluss geleitet. Drei Tage benötigt das Regenwasser für diesen Weg. Auf nachhaltige Weise wird Wasser wie Luft gereinigt, Lebensraum geschaffen und die Schönheit der Landschaft hervorgehoben.

Darauf verweisen auch Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen in ihrem Buchbeitrag „Klimaneutral – und dann?“: „Wir Menschen können Nützlinge sein, die durch ihr Handeln einen positiven Beitrag dazu leisten, ihre eigene Lebensgrundlage zu sichern oder sogar zu verbessern. Die in der Lage sind, biologische Systeme wieder aufzubauen, Produkte zu designen, die in der Herstellung und Nutzung gesund sind und deren Bestandteile in ewigen Materialkreisläufen zirkulieren können und somit niemals zu wertlosem Müll werden. Nützlinge, die damit für eine wachsende Weltbevölkerung soziale und wirtschaftliche Mehrwerte schaffen. Doch das gelingt nur, wenn wir uns positive Ziele setzen, Ressourcen- und Klimaschutz zusammendenken und ganzheitliche Lösungen für die komplexen und zusammenhängenden Probleme unserer Zeit finden. Dieses Umdenken ist Kern der Cradle to Cradle Denkschule.“

Nachhaltigkeit hat also nichts mit Verzicht zu tun, sondern mit Verschwendung, Genuss und Schönheit. Leider geht es Nachhaltigkeitskontext meistens um sparen, verzichten, vermeiden und reduzieren. Aber global gesehen ist Verschwendung gut und richtig, wenn die Dinge in Kreisläufe zurückgehen. Auch ein Kirschbaum spart nicht, vermeidet nicht und reduziert nicht. Leider drückt sich dieser Ansatz nicht in unserer Umweltsprache aus, die vor allem eine Schuldsprache ist. Braungart ist schon als Zivildienstleistender in Altersheimen aufgefallen, wie sehr in unserer Gesellschaft mit schlechtem Gewissen, mit Schuldzuweisungen Menschen kontrolliert und gebrochen werden. Vor allem die Umweltdebatte läuft moralisierend ab. Der ökologische Fußabdruck, den der Mensch hinterlässt, solle möglichst klein sein – Braungart möchte das Gegenteil: „Mein Fußabdruck soll möglichst groß sein, denn ich möchte wichtig genommen werden. Nur soll dieser Fußabdruck bitteschön in einem Feuchtgebiet sein." Das gelingt jedoch nur in einem partnerschaftlichen Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, mit "ökologisch intelligenten Produkten", die, anstatt die Welt ein bisschen weniger zu zerstören, der Umwelt wohl tun. Alles ist ständig in Bewegung: Es ist wie bei einem Gewässer: Wenn es steht, wird es trüb. Ein fließendes Gewässer hat immer Klarheit.

Das gilt auch für den Holzbauunternehmer Erwin Thoma, der sich auf Häuser spezialisiert hat, die energieautark sind und ohne Technik und Dämmstoffe auskommen. Er wurde zunächst Bergführer, dann Revierförster. In seinen Büchern beschäftigt er sich unter anderem mit Strategien der Natur, der geheimen Sprache der Bäume und Holzwundern. Der Kirschbaum sagt uns, dass das Leben nicht durch erstarrende Anhäufung gelingt, sondern durch Fließen, durch Geben und Nehmen, Tauschen und Teilen. Er zeigt uns seiner Meinung nach „die wertvollste Investition und die besten Zinsen auf Erden: echte Freunde und Menschen, die mit uns inniges Vertrauen teilen. Der Kirschbaum lebt uns vor, wie einsam und eng maximaler Besitz im Vergleich zu geteilter Freude und wertschätzender Kooperation sind.“ „Wenn du einen Freund willst, so zähme mich…!“ Diesen weisen Rat gibt der Wüstenfuchs dem Kleinen Prinzen mit auf den Weg. Freundschaft geschieht nicht einfach nur, sie muss wachsen und ist nur im Prozess einer langsamen Annäherung zu haben, in der gemeinsamen Entdeckung, im Austausch von Geben und Nehmen, wie auch Thoma in seinem Buch beispielhaft zeigt:

„Gemeinsam können die Freunde dem Leben Sinn geben, und doch hängt nie aller Sinn vom Gelingen einer einzigen Beziehung ab.“ Der Begriff „Freund“ stammt von der althochdeutschen Wurzel „fuint“ ab, die so viel bedeutet wie „Friede“ oder „frei“ - gleichzeitig aber die indogermanische Silbe „fri“ in sich trägt, mit der die Tätigkeit des „Liebens bzw. Hegens“ gemeint ist. Es ist auch mit dem Bild des irdischen Gartens verbunden, der bestellt und gehegt werden muss. Seine Pflege wird damit auch zu einem Symbol von Freundschaft und Nachhaltigkeit. Was wirklich zählt, hat immer damit zu tun, weil es eine Investition von Zeit und Leidenschaft ist, verbunden mit dem Wunsch, dass es flüchtige Momente überdauert. Das bedeutet auch, sich um etwas zu kümmern, im Hier und Jetzt zu sein. Doch je weniger Zeit wir bewusst nutzen, desto weniger können wir uns Menschen und Dingen widmen, die uns etwas bedeuten. Wenn sie uns fehlt, hören wir auch auf, das uns Liebgewordene ernst zu nehmen.

  • Erwin Thoma: Der Weg des Kirschbaums. Wie wir gemeinschaftlich leben und arbeiten können. ecoWing Verlag, Salzburg-Wien 2023.

  • Michael Braungart und William McDonough: Intelligente Verschwendung. Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft. München 2013.

  • Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen: Klimaneutral – und dann? In: Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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