Wo viel gelacht wird, da darf auch geweint werden – ein Plädoyer für mehr Emotionen am Arbeitsplatz
Emotionen zu zeigen ist eine Stärke, das haben wir inzwischen gelernt. Unser Umgang mit Emotionen offenbart jedoch das Gegenteil: Es ist immer noch mit Scham behaftet, wenn öffentlich die Tränen fließen.
Erinnern Sie sich an eine Situation, als Ihnen im Büro zum Weinen zumute war? Es wird sich vermutlich unangenehm angefühlt haben. Und vielleicht haben Sie die Tränen und Gefühle sogar unterdrückt, aus Angst, jemand könne es mitbekommen. Warum ist das so, wenn wir doch wissen, dass es eine Stärke ist, Emotionen zu zeigen?
Ein wesentlicher Grund ist, dass wir noch keine Kultur haben, die es erlaubt, Gefühle zu äußern. Deshalb unterdrücken wir sie lieber. Dabei sind es doch die Emotionen, die unser Leben lebendig machen. Tränen zum Beispiel sind sogar nützlich: Sie reduzieren Stresshormone, Puls und Atem normalisieren sich. Weinen setzt Endorphine und Oxytocin frei, was zu besserer Stimmung und Wohlbefinden führt. Emotionen sind vor allem einfach menschlich, ohne sie wären wir wie Roboter. Und sie sind ganz unterschiedlich: Wir sind traurig, etwas triggert uns, wir empfinden Wut oder Schmerz, wir sind von etwas betroffen, wir freuen uns, wir trauern.
Für Menschen mit Depressionen oder Burn-out gehört es meist mit zum Alltag, nach außen nicht zu zeigen, wie sie sich fühlen: Sie unterdrücken ihre Emotionen aus Scham oder Angst. Häufig passiert es dann, dass diese Kolleg*innen von einem auf den anderen Tag ausfallen, und alle wundern sich, weil niemand mitbekommen hat, dass es der Person mental nicht gut ging. Der Fußballer Robert Enke ist ein Beispiel dafür – er hat mit seinem Suizid viele Menschen berührt. Hätte er auch in der Öffentlichkeit zeigen können, wie es ihm wirklich geht, hätte er wahrscheinlich mehr Unterstützung von außen bekommen.
Es ist wichtig, dass in Unternehmen ein guter Umgang mit Emotionen gelernt wird. Auch, damit Belastungen von Kolleg*innen eher wahrgenommen werden. Es geht keinesfalls darum, am Arbeitsplatz einen Seelenstriptease hinzulegen oder seine Gefühle ungehemmt mit Kolleg*innen zu teilen. Sondern sich bewusst zu machen, dass Emotionen ganz normal sind und zum Leben dazu gehören – auch bei der Arbeit.
Wie können wir mit Traurigkeit und Tränen am Arbeitsplatz richtig umgehen?
Zunächst: Tränen sind keine pauschale Schwäche, sondern erstmal nur ein Ausdruck von Emotionen. Unser Umfeld sollte Tränen also als genau das wahrnehmen, was sie sind – eben ein Ausdruck von Emotionen. Und diese nicht überbewerten, nur, weil es erstmal ungewohnt ist. Eine Person, die weint, ist deshalb nicht gleich mental instabil oder muss größere Probleme haben. Vielleicht weint sie einfach, entlastet sich damit und später geht es ihr schon wieder ein bisschen besser. Meist ist es die Unsicherheit des Umfeldes, welches die unerwartete Situation nicht einordnen kann, was dazu führt, dass „Schlimmeres“ hinter den Tränen vermutet wird.
Doch wie können wir ganz konkret reagieren, wenn jemand während eines Meetings weint? Eins vorweg: Wir dürfen sie oder ihn erstmal weinen lassen, brauchen also nicht das Gefühl zu haben, den Emotionsausbruch sofort stoppen zu müssen. Es hilft meist, erstmal kurz innezuhalten, ein Taschentuch zu reichen und ruhig zu fragen: Was tut Dir jetzt gut? Möchtest Du kurz sprechen oder sollen wir dich einfach für einen Moment in Ruhe lassen? Je natürlicher wir uns verhalten, desto einfacher und besser geht es allen in der Situation.
Führungskräfte können das Thema „Umgang mit Emotionen“ in einem Teammeeting auch einfach mal auf die Agenda setzen. Und sich klar positionieren, indem sie sich dafür aussprechen, dass Tränen sein dürfen und lediglich ein Ausdruck von Traurigkeit oder Betroffenheit sind. Weinen an sich ist immer erstmal in Ordnung. Niemand weint, weil er es gerne möchte, sondern weil er traurige Gefühle hat, die die Tränen auslösen. Und Weinen darf auch einfach mal erwünscht sein. Genauso wie Führungskräfte und Mitarbeitende immer die Möglichkeit haben sollten, zu sagen: „Heute geht es mir gar nicht gut.“ Schließlich sind ja auch Emotionen wie Freude erwünscht – und wo gelacht wird, sollte auch geweint werden dürfen.
In unseren Beratungen bekommen wir in diesem Zusammenhang sehr oft mit, dass Menschen, die erschöpft und oft traurig sind, sich lange zurückgenommen haben, um zu funktionieren. Besonders Männer tun sich noch mal schwerer. Ein Rat an Mitarbeitende ist deshalb auch immer, der Führungskraft die eigenen emotionalen Grenzen frühzeitig aufzuzeigen und offen mit ihnen umzugehen. So kann die Führungskraft rechtzeitig reagieren. Denn oft zeigen Mitarbeitende bei Druck und Stress nicht, wenn das Maß voll ist, was verheerende Folgen haben kann.
Am Beispiel „Trauer“ hingegen lässt sich gut erklären, wie wir mit Emotionen schon besser umgehen. Denn hier ist es andersrum: Wenn wir wissen, dass am Arbeitsplatz jemand trauert, dann unterstützen wir automatisch und alles fühlt sich viel natürlicher und einfacher für uns an. Wir wissen: Die betroffene Person darf und muss auch mal weinen und sich Zeit zum Trauern nehmen. Aber auch: Es wird irgendwann wieder besser – und solange helfen wir und sind füreinander da.
Was können wir für trauernde Kolleg*innen und Mitarbeitende tun?
• Einer Person, die trauert, hilft ein behutsamer aber eben auch natürlicher Umgang. Zeigen Sie als Führungskraft oder Mitarbeitende*r: Wir sehen dich in deiner Trauer – und sind für Dich da. • Ist die Person nach einem Trauerfall gerade erst an den Arbeitsplatz zurückgekehrt, kann man zum Beispiel fragen, ob man sich dazu setzen darf oder die Mittagspause miteinander verbringt. Auch hier gilt es, sensibel zu sein und auf die Bedürfnisse und Signale des Gegenübers zu achten – auch mit körperlichen Berührungen. • Tränen sind wichtig! Nehmen Sie sich Zeit, warten Sie ab und hören Sie zunächst zu, bevor Sie selber sprechen. Bieten Sie Taschentücher an oder etwas zu trinken. Das beruhigt. • Fragen Sie ganz konkret: Was hilft Dir jetzt? Was tut Dir gut? Möchtest Du kurz nach draußen gehen? Oder soll ich einfach noch bei Dir sitzen bleiben? • Auch, wenn wir selber im größten Stress sind und sich die Projekte stapeln: Zehn Minuten Zeit und aufrichtige Anteilnahme und Aufmerksamkeit sind immer drin. • Führungskräfte sollten vor allem in der ersten Zeit Verständnis aufbringen und signalisieren: Wenn es Dir nicht gut geht, kannst Du jederzeit Pausen machen oder auch nach Hause gehen, um durchzuatmen. Wenn Dir das Arbeiten hilft, vielleicht auch um dich abzulenken, freuen wir uns, Dich im Büro oder digital aus dem Homeoffice zu sehen. Zeigen Sie: Wir gehen mit der Trauer mit. Das gibt der Person ein gutes Gefühl und stärkt auch die Bindung im Team und ans Unternehmen. • Bieten Sie als Führungskraft neben den gesetzlichen, freien Tagen auch ausreichend Zeit und Pausen für die Organisation von Beerdigungen an. Bei einem Todesfall Ihrer Mitarbeitenden: Denken Sie an den ersten Jahrestag.
Eine Frau, die zu uns in die Beratung kam, erzählte einmal, dass einer ihrer Geschäftsführer, der sonst eher kontrolliert und unemotional wirkte, auf einer großen Betriebsversammlung während seiner eigenen Rede anfing zu weinen. Ihm war es sichtlich unangenehm, er entschuldigte sich, konnte zunächst nicht mehr weitersprechen – es war Stille im großen Saal. Die Kolleg*innen waren gerührt und betroffen, alle schwiegen, viele fühlten mit ihrem Chef. Diese besondere Situation habe neue Verbindungen im Unternehmen geschaffen und viele Kolleginnen bewundern ihren Chef noch heute für seinen emotionalen Mut – auch wenn er selbst sich in diesem Moment sicher alles andere als mutig gefühlt hat.