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Wohlbefinden im Job: Fünf Dinge, die du wissen solltest (nicht bloß zum 1. Mai …)

Kann ich, soll ich, muss ich als Führungskraft für das Wohlbefinden meiner Mitarbeitenden verantwortlich sein? Der 1. Mai war mal wieder eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken. Hier gleich drei wissenschaftlich belegte und belegbare Antworten auf die drei obigen Fragen: Ja. Ja. Und: Ja.

Erstens: Ja, Führung hat einen enormen Einfluss auf das Wohlbefinden im Job. Ja, zweitens, das ist extrem relevant für Performance, Mitarbeiterbindung und andere Schlüsselindikatoren. Und ja, die Wissenschaft belegt, drittens: Führungskräfte können da enorm viel dran drehen.

Als Führungskraft gehörst du, vermute ich mal schwer, zur großen Mehrheit der ChefInnen, die prinzipiell das Beste für ihre Mitarbeitenden wollen – so erlebe ich das zumindest in meinen Coachings, Keynotes, Trainings etc. Aber wie? Dazu hier einige Impulse.

1. Warum Jobzufriedenheit als Führungskraft fördern?

Die wissenschaftliche Datenlage ist eindeutig: Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist nicht nur ein nettes Extra, sondern ein strategischer Erfolgsfaktor. Laut aktueller Studien stimmen 87% (HBR 2020) der Führungskräfte zu, dass die Verbesserung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz ihren Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann.

Was bringt es konkret?

  • Höhere Produktivität: Zufriedene Mitarbeitende sind nachweislich bis zu 13% produktiver (Bellet et al 2023);

  • Bessere Mitarbeiterbindung: Unzufriedene Mitarbeitende bewerben sich zu 60% häufiger auf eine neue Stelle (Ward 2024);

  • Einfachere Rekrutierung: Unternehmen mit höheren Wohlbefindens-Scores ziehen mehr Bewerber an (Ward 2022);

  • Stärkere finanzielle Performance: Firmen mit hoher Mitarbeiterzufriedenheit übertreffen den Markt nachweislich;

Der Business Case für Wohlbefinden ist klar:

  • Aktienrendite: Eine Investition von 1000 Dollar in Portfolio von den Mitarbeitenden top bewerteter Unternehmen hätte zwischen 2009 und 2019 5.530 Dollar eingebracht – eine Rendite von 553% (Chamberlain 2015, Chamberlain/Munyikwa2020), verglichen mit 358% bei einem Investment auf den S&P 500 im gleichen Zeitraum.

  • Kostenersparnis: Eine Analyse eines großen Technologieunternehmens ergab, dass geringe Jobzufriedenheit jährlich 92 Millionen Dollar durch Fehlzeiten kostet (Avey et al 2006);

  • Innovation: Glücklichere Teams sind nachweislich kreativer und entwickeln bessere Lösungen;

  • Kundenzufriedenheit: Zufriedene Mitarbeitende sorgen für zufriedenere Kunden und mehr Wiederholungsgeschäft;

Eine Steigerung des Wohlbefindens um 10% kann die Produktivität um bis zu 5% steigern und die Fluktuation um mehr als 25% senken. Die Investition in Mitarbeiterwohlbefinden ist also keine Wohlfühlmaßnahme, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit.

To be effective, companies need to attract and retain the very best people. And good luck doing that if you’re not putting their wellbeing at the center of what you do.
Alan Jope, Ex-CEO Unilever

2. Was Wohlbefinden im Job wirklich bedeutet

Workplace Wellbeing ist nicht einfach nur Spaß bei der Arbeit. Die Forscher Jan-Emmanuel de Neve und George Ward identifizieren in ihrem daten- und beispielsatten, sehr lesenswerten neuen Buch (2025) vier Dimensionen:

  1. Evaluatives Wohlbefinden: Wie wir über unseren Job denken – klassisch gemessen durch Jobzufriedenheit

  2. Affektives Wohlbefinden: Wie wir uns bei der Arbeit tatsächlich (momentan) fühlen – positive und negative Emotionen

  3. Eudämonisches Wohlbefinden: Wie viel Sinn und Zweck wir in unserer Arbeit sehen

  4. Stress-Level: Wie belastend wir unsere Arbeit empfinden

Diese vier Faktoren sind eigenständige Dimensionen, nicht bloß Gegenpole. Man kann also etwa gleichzeitig Sinn in seiner Arbeit finden und gestresst sein – nicht bloß LehrerInnen und Pflegekräfte können davon ein Lied singen...

3. Warum Yoga und individuelle Wellbeing-Programme nicht ausreichen

Ein häufiger Irrtum: Wohlbefinden im Job ist reine Privatsache. In großen Studien geben Mitarbeitende jedoch an, dass sie etwa 57% der Verantwortung für ihr Arbeitsglück bei den Firmenkräften sehen – und die Erwartungen scheinen zu steigen (Gafner 2025).

Unternehmen investieren oft in individuelle Wellbeing-Programme wie Yoga, Achtsamkeits-Apps oder Fitnessstudio-Mitgliedschaften. Die Forschung zeigt jedoch: Diese Ansätze allein bringen wenig. Eine Studie der Universität Chicago fand heraus, dass Wellness-Programme praktisch keinen Effekt auf Wohlbefinden oder Produktivität hatten (Jones et al 2019). Warum? Corporate-Yoga machen vor allem jene, die es sowieso schon Yoga machen – und die, die es am dringendsten bräuchten, machen es in der Regel dennoch nicht. Trotz des Firmenangebotes.

Aus strukturellen Problemen und Herausforderungen am Arbeitsplatz kann man sich nicht heraus-ohmen. Ohne die grundlegenden Arbeitsbedingungen zu verbessern, sind individuelle Wellbeing-Angebote bestenfalls Kosmetik – und erzeugen oder fördern schlimmstenfalls Zynismus.

4. Die sechs Treiber des Wohlbefindens am Arbeitsplatz

Basierend auf Daten der Job-Datenbank Indeed, die in über 53 Ländern auf sechs Kontinenten erhoben wurden, haben De Neve und Ward sechs zentrale Faktoren identifiziert, die für sie zusammen das Wohlbefinden am Arbeitsplatz ausmachen – das DRIVER-Framework:

D - Development and Security (Entwicklung und Sicherheit)

R - Relationships (Beziehungen)

I - Independence and Flexibility (Unabhängigkeit und Flexibilität)

V - Variety and Fulfillment (Vielfalt und Erfüllung)

E - Earnings and Benefits (Einkommen und Zusatzleistungen)

R - Risk, Health, and Safety (Risiko, Gesundheit und Sicherheit)

Ach, und übrigens, falls das untergegangen sein sollte: Entgegen der verbreiteten Annahme ist Gehalt kein irrelevanter, aber bei Weitem nicht der wichtigste Faktor für das Wohlbefinden im Job. Dazu gleich …

5. Konkrete Impulse zur Förderung von Job-Happiness

Für jeden DRIVER gibt es wirksame, wissenschaftlich fundierte Maßnahmen, die du als Führungskraft unternehmen, einführen, verstärken kannst:

Entwicklung/Sicherheit

  • Regelmäßige Entwicklungsgespräche mit klaren Karrierepfaden

  • Transparente Kommunikation zur Unternehmensentwicklung

  • Mentoring-Programme etablieren, die nachweislich Wohlbefinden steigern

Soziale Beziehungen

  • In Führungskräfte-Training investieren (schlechte Führung ist der Hauptgrund für Kündigungen)

  • Team-Building nicht als einmalige Events, sondern als kontinuierlichen Prozess gestalten

  • „Prosoziales Verhalten“ durch Vorbildfunktion fördern

Unabhängigkeit und Flexibilität

  • Flexible Arbeitszeitmodelle anbieten – ein Experiment etwa legt nahe, dass flexible Arbeitszeiten einem Gehaltszuschlag von 20 Prozent entsprechen (Mas/Pallais 2017)

  • Selbstbestimmung bei der Aufgabengestaltung ermöglichen

  • Bei Remote-Arbeit klare Erwartungen setzen und Überarbeitung vermeiden

Abwechslung und Erfüllung

  • Mitarbeitenden die Bedeutung ihrer Arbeit verdeutlichen

  • „Job Crafting„ ermöglichen (dazu habe ich übrigens hier 🎧 einen Audiokurs 🎧 auf LinkedIn for Learning erstellt)

  • Kontakt zu internen/externen „Kunden“ herstellen, um Bedeutung der Arbeit erlebbar zu machen

Bezüge und Benefits

  • Faire Vergütung sicherstellen – besonders wichtig bei niedrigeren Gehaltsstufen

  • Transparente Gehaltsstrukturen schaffen, da wahrgenommene Ungerechtigkeit stark demotiviert (Breza et al 2018)

  • Gewinnbeteiligungen erwägen – denn tendenziell liegen sowohl Performance als auch Mitarbeitendenwohlbefinden in Firmen mit irgendeiner Form von finanzieller Belegschaftsbeteiligung höher (Perez-Truglia 2020)

Gefahren und Sicherheit

  • Nicht nur physische, sondern auch psychische Sicherheit gewährleisten

  • Nulltoleranz gegenüber Belästigung und Diskriminierung durchsetzen

  • Mentale Gesundheitsangebote bereitstellen, die wirklich niedrigschwellig zugänglich sind

Und jetzt? Messen und Verbessern als Schlüssel zum Erfolg

Der Dreischritt zur nachhaltigen Verbesserung:

  1. Messen: Regelmäßige kurze Umfragen zu allen vier Dimensionen des Wohlbefindens durchführen;

  2. Verstehen: Daten analysieren und erkennen, welche DRIVER in deinem Team/Unternehmen besonders relevant sind;

  3. Handeln: Zielgerichtete Maßnahmen für Führungskräfte und Mitarbeitende umsetzen und deren Wirksamkeit kontinuierlich evaluieren.

Fazit

Als Führungskraft hast du einen enormen Einfluss auf das Wohlbefinden deiner Mitarbeitenden – und damit auf den Unternehmenserfolg. Die gute Nachricht: Selbst in schwierigen Branchen gibt es Unternehmen, die es schaffen, ein deutlich höheres Maß an Wohlbefinden zu erreichen als andere (De Neve/Ward 2025, 117ff.)

Mit dem richtigen Ansatz kannst du einen Arbeitsplatz schaffen, an dem Menschen nicht nur produktiv sind, sondern auch gerne arbeiten.

❓Was ist dein nächster Schritt, vielleicht sogar zum Tag der Arbeit? Viel Gaudi und Gelingen dabei!

PS: Du machst, Ihr macht, Sie machen das gut!


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💪 Um das regelmäßige Erkennen, Ausbauen und Anerkennen von Stärken – ein Aspekt von Wohlbefinden im Job – geht es in meinem nächsten Online-Impulstag „Stärkenorientiert(er) Führen“ für Personal- und Führungskräfte am 15.5.2025. Es ist noch Platz – ich freue mich! Anmeldung und Infos unter positiv-fuehren.com/termine


LITERATUR

Avey, J. B., Patera, J. L., & West, B. J. (2006). The implications of positive psychological capital on employee absenteeism. Journal of Leadership & Organizational Studies, 13(2), 42-60.

Bellet, C., De Neve, J. E., & Ward, G. (2023). Does employee happiness have an impact on productivity? Management Science, 70(3), 1656-79.

Breza, E., Kaur, S., & Shamdasani, Y. (2018). The morale effects of pay inequality. Quarterly Journal of Economics, 133(2), 611-63.

Chamberlain, A. (2015). Does company culture pay off? Analyzing stock performance of 'Best Places to Work' companies. Glassdoor Economic Research. https://research.glassdoor.com/site-us/wp-content/uploads/sites/2/2015/05/GD_Report_1.pdf

Chamberlain, A., & Munyikwa, Z. (2020, May 1). What's culture worth? Stock performance of Glassdoor's Best Places to Work 2009 to 2019. Glassdoor Economic Research. https://www.glassdoor.com/research/stock-returns-bptw-2020/

De Neve, J. E., & Ward, G. (2025). Why workplace wellbeing matters: The science behind employee happiness and organizational performance. Harvard Business Press.

Gafner, J. (2025, January 29). The impact of workplace wellbeing and how to foster it. Indeed. https://www.indeed.com/career-advice/career-development/workplace-wellbeing

Giacumo, L. A., Chen, J., & Seguinot-Cruz, A. (2020). Evidence on the use of mentoring programs and practices to support workplace learning: A systematic multiple-studies review. Performance Improvement Quarterly, 33(3), 259-303.

HBR Analytic Services. (2020). Cultivating workforce well-being to drive business value. Harvard Business Review. https://hbr.org/resources/pdfs/comm/workplacewellbeing.pdf

Jones, D., Molitor, D., & Reif, J. (2019). What do workplace wellness programs do? Evidence from the Illinois Workplace Wellness Study. Quarterly Journal of Economics, 134(4), 1747-91.

Mas, A., & Pallais, A. (2017). Valuing alternative work arrangements. American Economic Review, 107(12), 3722-59.

Perez-Truglia, R. (2020). The effects of income transparency on well-being: Evidence from a natural experiment. American Economic Review, 110(4), 1019-54.

Ward, G. (2022). Workplace happiness and job search behavior: Evidence from a field experiment. MIT Sloan School Of Management.

Ward, G. (2024). Workplace wellbeing and employee turnover [Working paper]. University of Oxford.

Christian Thiele schreibt über Positive Leadership, Positive Psychologie, Führung, Wirtschaft & Management

Christian Thiele, 48, ist Vortragsredner, Coach, Teamentwickler und Trainer für Positive Leadership. Sein Podcast „Positiv Führen“ ist auf 🎧 positiv-fuehren.com/podcast zu hören, sein Buch "Positiv Führen" ist bei Wiley erschienen. (Ski-)Bergsteiger, (meist) zuversichtlicher Patchworkvater. 

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