Wohnen und arbeiten im Kleinen: Wie nachhaltig sind Tiny Häuser?
Die Tiny-House-Bewegung, die in den USA als Gegenbewegung zum Wachstumsglauben entstand, ist auch in Deutschland sehr beliebt. Ihre Anhänger schätzen vor allem die Mobilität und die Möglichkeit des nomadischen Lebensstils. Allerdings gehört das Tiny House auch für einige zum festen Wohnsitz, andere erfüllen sich damit den Traum vom Ferienhaus oder vom mobilen Büro im Grünen. Die Häuschen stehen auf Campingplätzen, in Hofgemeinschaften oder in Gärten. In Berlin hat der Architekt und Erfinder der einfach nachzubauenden Hartz-IV-Möbel Van Bo Le-Mentzel 2015 sogar die Tinyhouse University gegründet. Wer in Deutschland ein Tiny House kaufen oder bauen möchte, sollte sich allerdings detaillierte Fragen stellen, denn die Bauvorschriften sind streng und umfangreich. So wird grundsätzlich zwischen einer „baulichen Anlage“ und einem Haus auf Rädern unterschieden. Ein Tiny House auf einem Fahrgestell wird als Wohnmobil gewertet (unterliegt nicht dem Baurecht). Alles andere gilt als „bauliche Anlage“. In Deutschland gibt es die Regel, dass standortgebundene Tiny Houses an die Infrastruktur (Strom, Wasser, Straße und Kanalisation) angeschlossen sein müssen. In der Stadt dürfen Tiny Houses nur auf Grundstücken mit bereits existierendem Baurecht stehen. Hinzu kommen die hohen Kosten für Genehmigung und Erschließung, die von Bebauungsplänen, Flächennutzungsvorschriften und den Vorgaben des Bauamtes abhängen. Mit diesen Fragen sollte man sich deshalb auseinandersetzen:
Wer soll das Tiny House bauen? Oder sollte es ein Fertighaus samt Anhänger sein?
Wie sehen die Baugenehmigungen für die favorisierte Variante aus?
Wie schnell verwittern die verwendeten Baustoffe?
Wie wird das Haus bezahlt? Wird ein Kredit benötigt oder kann es bar bezahlt werden?
Soll das gesamte Leben umstrukturiert werden?
Welcher Standort soll das Tiny House gewählt werden?
Was ist bei der Wahl von Heizquellen, Lüftung und Dämmung zu beachten?
Welche Wohnform erscheint persönlich am vorteilhaftesten?
Ein Haus lässt sich entweder auf einem Campingplatz, auf einem dafür ausgewiesenen Grundstück oder in einer Siedlung aufstellen. Weiterführende Informationen dazu bietet die Website https://www.tiny-houses.online.
Für einige ist bereits alles unter 90 m² ein kleines Haus, andere ziehen die Grenze bei einer Apartmentgröße von unter 50 m². Die verbreitetste Maximalgröße liegt bei unter 20 qm². Ein durchschnittliches Tiny House besteht in der Regel aus einem Raum mit einer zweiten Etage, die etwa ein Drittel des Raumes überdacht. Hier befindet sich in der Regel das Schlafzimmer, das über eine kleine Leiter zu erreichen ist und Platz für ein bis vier schlafende Menschen bietet. Darunter befinden sich häufig die Küchenzeile und ein kleines Badezimmer. Die restlichen Quadratmeter dienen als Wohnraum. Die Autorin Anne Weiss hat in den vergangenen Jahren verschiedene Tiny House-Varianten getestet: Sie war in Lilleby, einem kleinen Tiny-House-Dorf, das zwischen Mölln und Ratzeburg liegt, im Naturpark Lauenburgische Seen. Gegründet wurde es von Oliver Victor, der in der Nähe die Erlebnisbahn betreibt, wo Gäste in ausgebauten Eisenbahnwaggons schlafen und Touren in die Umgebung unternehmen können. Zu Besuch war sie auch bei einem Ehepaar, das auf seinem Hof in Mecklenburg-Vorpommern ein Tiny House vermietet und auf Selbstversorgung als Gegenbewegung zum Massenkonsum und Materialismus setzt. Auf dem Dach des Hauses befinden sich Photovoltaikanlagen. Hinter dem Haus gibt es eine Zisterne, das Brauchwasser wird auch für die Toilette verwendet. Zudem ist ein eigener Brunnen fürs Trinkwasser vorhanden.
Das Tiny House, in dem Anne Weiss wohnte, hat etwa rund 30 000 Euro gekostet – allerdings nur, weil die Eigentümer einen Großteil selbst gebaut haben. Viele Dinge haben hier mehrere Verwendungen: „Die Stufen, die hinauf zur Empore führen, sind gleichzeitig Schubladen. Den Esstisch neben der Küche kann ich hochklappen, er ist an der Wand befestigt und das einzelne Bein schwenkbar… Und selbst den Boden kann ich teilweise hochklappen und könnte etwas darunter lagern …“ Das Tiny House kommt ihr zuweilen wie eine Mogelpackung vor, „denn der Strom läuft im Sommer zwar über Solarkraft, davon gibt es im Winter aber weniger.“ Zudem ist das Haus schon einige Jahre alt und muss möglicherweise in naher Zukunft grundsaniert werden müssen. Um es zu bauen, wurden viele Werkstoffe genutzt, die nicht umweltfreundlich sind. „Alles ist verleimt und zusammengenagelt, zur Dämmung haben sie Mineralwolle verwendet, weil diese am günstigsten war. Leider wird sie mit hohem Energieaufwand hergestellt und ist auch schlecht recycelbar.“, schreibt sie in ihrem Buch „Der beste Platz zum Leben. Wie ich loszog, ein Zuhause zu finden, das zukunftstauglich ist und glücklich macht“. Nach ihrem Tiny-House-Experiment war ihr klar, dass es keine billige Lösung sein darf, und es viel zu bedenken gibt (z.B. Energieversorgung, Baumaterialien, Verarbeitung und Produktion, Wärmeverlust).
Siebzig Prozent leben mit den Tiny Houses in kleinen Gemeinschaften. Diese Art des Wohnens ist eher für ein Wohnen auf dem Land geeignet. „Auch auf dem Land ist es wichtig, dass wir verdichteter bauen, Leerstände nutzen und vor allem nachverdichten, um nicht weiter so viel Fläche zu versiegeln. Mit Tiny Houses wird das möglich“, sagt die Unternehmerin. Anne Weiss schaute gezielt nach Stadtprojekten in Deutschland. Ihr Fazit: „Städte und Dörfer, die das Problem der Wohnungsnot sehen, sind inzwischen offener dafür, Stellplätze zu genehmigen oder eigene Vorschläge für Tiny-House-Siedlungen zu entwickeln.“ In Berlin wurde das Aufstellen von Winzhäusern an der Bethanienkirche in Weißensee (als Zwischenlösung) vom Eigentümer genehmigt. Die Künstlerin Pia Grüter gründete hier zusammen mit anderen die „Insel Weißensee“, wo Nachhaltigkeit, Kunst, Kultur und nachbarschaftlichem Austausch miteinander verschmolzen sind. In Schorndorf bei Stuttgart stellte die Stadt Grünflächen parzellenweise zur Verfügung (erstmals durfte hier auch der Wohnsitz angemeldet werden). Die Städte Bremerhaven und Dortmund planen ebenfalls Tiny-House-Siedlungen. 2020 startete das Projekt „Tiny PopUp München“ - zuerst im Stadtteil Pasing, inzwischen in Pullach: Dort wird in der teuersten Stadt der Republik bezahlbares und flexibles Wohnen getestet. Der Gedanke dahinter: „Städtischer Raum lässt sich durch das Kleinstwohnen einfach nachverdichten, indem Stellflächen in Gärten, auf Industriebrachland oder sogar auf einem Flachdach eingerichtet werden. Ungenutzte Flächen, die zu klein für den klassischen Hausbau sind, könnten verpachtet werden, um solche Zwischenwohnorte einzurichten.“
Auf die nachhaltigen Vorzüge der Kleinheit verwies bereits der Ökonom Ernst Friedrich Schumacher in seinem Klassiker der Nachhaltigkeit, „Small is beautiful“ aus dem Jahr 1973. Er plädierte damals schon für eine Rückkehr zum menschlichen Maß in Wirtschaft und Gesellschaft, denn Menschen können nur in kleinen, überschaubaren Gruppen, in einer gleichgesinnten Gemeinschaft sie selbst sein. Unsere heutigen Probleme und Herausforderungen können durch Einzelmaßnahmen nicht gelöst werden, aber sie sind der erste Schritt auf dem Weg zu einer besseren Welt, der mit der Frage nach den Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen verbunden ist, wie es auch in SDG 11 seinen Ausdruck findet.
Anna Dreher: My Home is my Schachtel. In: Süddeutsche Zeitung (16./17.9.2017), S. 76.
Claudia Fromme: Bauhäuschen. In: Süddeutsche Zeitung 821./22.10.2017), S. 55.
Daniel Fuhrhop: Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte. Oekom Verlag 2018.
Anna Hoben: Raum ist in der kleinsten Hütte. In: Süddeutsche Zeitung (5.4.2018), S. 40.
Ernst Friedrich Schumacher: Small is beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Aus dem Englischen von Karl A. Klewer. Oekom Verlag 2013.
Anne Weiss: Der beste Platz zum Leben. Wie ich loszog, ein Zuhause zu finden, das zukunftstauglich ist und glücklich macht. Sieben nachhaltige Wohn-Experimente. Knaur Verlag, München 2023.
Anne Weiss: Mein Leben in drei Kisten. Wie ich den Krempel rauswarf und das Glück reinließ. Droemer Knaur, München 2019.
Anne Weiss und Stefan Bonner: Nachhaltigkeit ist die Jutetasche des 21. Jahrhunderts. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2020.