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Wohnformen der Zukunft: Warum Tiny Houses immer beliebter werden

Wir leiden heute unter einer nahezu umfassenden Vergötterung des Gigantischen. Daher müssen wir auf die Vorzüge der Kleinheit dringen.
Ernst Friedrich Schumacher, „Small is beautiful“

Die Menschen sind heute weniger sesshaft und möchten sich mehr auf das Wesentliche konzentrieren – das hat auch Auswirkungen auf die Architektur. Der Trend geht zur winzigen Wohnung. Wenn New Yorker Stadtplaner Recht behalten, wird das urbane Wohnen in Zukunft auf kleinstem Raum stattfinden, denn die Zahl der Weltbevölkerung wächst stetig: Heute sind es mehr als sieben Milliarden Menschen, 2050 werden es neun Milliarden sein. Das bedeutet, dass weltweit wöchentlich 400.000 neue Wohnungen gebraucht werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen wird die Zahl der Großstädter weiterhin stark steigen (auf mehr als sechs Milliarden im Jahr 2045).

Der moderne Lebenswandel zwingt die Städte, nachhaltig etwas für die Zukunft des Wohnens zu tun. Miniwohnungen machen vor allem dort Sinn, wo Mietpreise in die Höhe gehen. Tiny oder Small House Movement entstand in den USA als Gegenbewegung zum Wachstumsglauben. Lebte eine US-amerikanische Familie in den 1970er Jahren noch durchschnittlich auf 165 m², stieg die Größe des Wohnraums innerhalb von nur 30 Jahren auf 230 m² an. Gerade in den USA, in denen die meisten Häuser nicht aus Stein und Zement oder Beton, sondern aus Pressholzplatten mit ein bisschen Isolierung gebaut werden, ist ein Investment keines für die Ewigkeit. Während in Deutschland mehrere Generationen über ein bis zwei Jahrhunderte ein Haus bewohnen können, beläuft sich die Lebenshaltung für ein nordamerikanisches Haus häufig auf wenige Jahrzehnte.

1997 veröffentlichte die Amerikanerin Sarah Susankanka ein Buch mit dem Titel „The Not So Big House – A Blueprint For the Way We Really Live“. Darin geht es um Minimalismus und das allgemeine Bewusstsein für ein selbstbestimmteres, erfüllteres Leben. Viele Menschen, darunter, auch namhafte Architekten aus bevölkerungsstarken Ländern, ließen sich davon inspirieren und kreierten ihre eigene Version davon. Inzwischen ist die Tiny House Bewegung auch in Deutschland angekommen. Ihre Anhänger schätzen vor allem die Mobilität und die Möglichkeit des nomadischen Lebensstils. In Berlin hat der Architekt und Erfinder der einfach nachzubauenden Hartz-IV-Möbel Van Bo Le-Mentzel 2015 die Tinyhouse University gegründet. 2017/18 organisierte sie eine Ausstellung mit mehr als zehn Tiny Houses beim Bauhaus-Archiv in Berlin.

Der Vorreiter des „tiny house movement“ war der Architekt Werner Aisslinger, der 2002 den Loftcube entwarf. Die Südtiroler Firma Fincube hat ihn weiterentwickelt. In einem Tiny House entspannt zu leben, ist günstig, umweltfreundlich und idyllisch. Häufig werden die Häuschen von ihren Bewohnern selbst gebaut. Für einige ist bereits alles unter 90 m² ein kleines Haus, andere ziehen die Grenze bei einer Apartmentgröße von unter 50 m². Die verbreitetste Maximalgröße liegt bei unter 20 qm². Ein durchschnittliches Tiny House besteht in der Regel aus einem Raum mit einer zweiten Etage, die etwa ein Drittel des Raumes überdacht. Hier befindet sich das Schlafzimmer, das über eine kleine Leiter zu erreichen ist und Platz für ein bis maximal vier schlafende Menschen bietet. Darunter befinden sich häufig die Küchenzeile und ein kleines Badezimmer. Die restlichen Quadratmeter dienen als Wohnraum.

Das Hauptbaumaterial ist (im Idealfall) nachhaltig angebautes – Holz. In Deutschland kann dies Fichte, Buche, Kiefer oder Eiche sein. In den USA ist Zedernholz besonders gefragt. Die Isolierung kann aus Glaswolle, Hanfwolle, Steinwolle oder einer Holzfaserdämmung bestehen. Die Strom- und Wasserversorgung findet in Kombination mit auf dem Dach angebrachten Solarzellen statt.

Nachhaltig wohnen bedeutet auch, Platz zu sparen. Im Internet wächst die Beliebtheit von Begriffen wie „minimalist“. In der analogen Welt zeugt auch Car- oder Wohnungssharing vom schrumpfenden Interesse am Besitz. Die beiden Amerikaner Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus haben sich von fast all ihrem Besitz getrennt, um ein einfacheres, minimalistisches Leben zu führen. Ihre Erfahrungen dokumentieren sie in ihrem Film "Minimalism", der 2016 als bester Indiefilm ausgezeichnet wurde.

So lässt sich der Song „Irgendwas" auf dem Album „Guten Morgen Freiheit" von Yvonne Catterfeld zusammenfassen. Lebensqualität heißt für die Sängerin und Schauspielerin, sich auf Qualität zurückbeziehen. Ein älterer Schauspielkollege (erzählte sie in einem Interview) lebt nach dem Prinzip der Reduktion - und das in sämtlichen Lebensbereichen. Auch Fotos habe er nur wenige aufgehoben, deshalb die Zeile im Song: „Sammeln Fotos, aber uns fehlt die Erinnerung." Beim Minimalismus 21.0 geht es nicht darum, möglichst viele Dinge zu besitzen und zu zählen, sondern darum, für die wesentlichen Dinge Platz im Leben zu schaffen, die uns wirklich wichtig sind. Der durchschnittliche Europäer besitzt etwa 10.000 Gegenstände. Ob sie wirklich alle notwendig sind, ist fraglich. „Immer mehr Menschen überdenken ihre Konsumgewohnheiten und wollen ein bewussteres Leben führen. Für die einen ist weniger mehr. Die anderen achten gezielter auf das, was sie kaufen, wie und wo es hergestellt wurde und welche Folgen der tägliche Gebrauch hat", sagt die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, die bei der memo AG die Unternehmenskommunikation leitet.

Für viele Menschen ist Minimalismus heute eine Chance, das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen, Überblick und Kontrolle darüber zu gewinnen. Damit verbunden sind folgende Fragen: Wie, mit wem und womit möchte ich leben? Macht mich das glücklich? Womit verbringe ich meine Zeit? Wie viel Geld gebe ich dafür aus? Wie kann ich mein Leben entrümpeln und mich von Überflüssigem befreien, um mich wieder fokussieren und innere Autonomie erlangen zu können?

Unternehmen haben sich auf diese Entwicklung eingestellt. So bietet der nachhaltige Versandhändler memo "Küchenminis" von WMF an oder Balkonklappgarnituren für einen kleinen Küchenbereich, aber auch Vertikalbeete und Stapelboxen, die im Onlineshop memolife www.memolife.de erhältlich sind. In der Broschüre „Ordnung ist das halbe Leben“ nimmt auch Häcker Küchen das Thema auf und zeigt Stauraumwunder statt Kramschubladen. Das über 120 Jahre alte Traditionsunternehmen produziert in Rödinghausen moderne Einbauküchen. Derzeit werden über 60 Länder auf allen Kontinenten mit Küchen „Made in Germany“ beliefert. Da das Unternehmen gut aufgestellt ist, kann es flexibel und effizient auf Veränderungen reagieren – dazu gehören auch Tiny Houses.

Für einige steht beim Leben im Tiny House die Ideologie des Downsizing im Vordergrund: Sie besinnen sich auf das Wesentliche. Viele Tiny House-Bewohner verbinden die wohnliche Reduktion mit einem naturnahen Leben: Je nach Wetterlage verbringen sie die meiste Zeit draußen und erweitern dadurch ihren inneren wie äußeren Lebensraum. Viele der Tiny Houses ähneln in ihrem Aufbau dem klassischen Wohnwagen. Wer in Deutschland ein Tiny House kaufen oder bauen möchte, sollte sich detaillierte Fragen stellen, denn die Bauvorschriften sind streng und umfangreich:

  • Soll das gesamte Leben umstrukturiert werden?

  • Wo soll das Tiny House stehen?

  • Wie sehen die Baugenehmigungen für die favorisierte Variante aus?

  • Soll das Tiny House selbst gebaut werden, oder sollte ein Fertighaus samt Anhänger gekauft werden?

  • Wird ein Kredit benötigt oder kann das Haus bar bezahlt werden?

Auf der Website www.tiny-houses.de ist alles Wissenswerte zum Thema Tiny Houses und das Wohnen und Leben auf kleinem Raum zu finden.

Weiterführende Informationen:

Anna Dreher: My Home is my Schachtel. In: Süddeutsche Zeitung (16./17.9.2017), S. 76.

Dirk Engelhardt: Minis mit Chic. In: Süddeutsche Zeitung (6.7.2016), S. 45.

Claudia Fromme: Bauhäuschen. In: Süddeutsche Zeitung 821./22.10.2017), S. 55.

Daniel Fuhrhop: Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte. Oekom Verlag 2018.

Anna Hoben: Raum ist in der kleinsten Hütte. In: Süddeutsche Zeitung (5.4.2018), S. 40.

Ordnung ist das halbe Leben. Herausgegeben von Häcker Küchen, Rödinghausen 2018.

Ernst Friedrich Schumacher: Small is beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Aus dem Englischen von Karl A. Klewer. Oekom Verlag 2013.

Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Kathrin Werner: Mikro in Manhattan. In: Süddeutsche Zeitung (23./24./25.5.2015); S. 34.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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