Workaholic – oder schlicht ineffizient? Warum Mittelmanager so viele Überstunden machen
Viele Führungskräfte arbeiten mehr als vertraglich vereinbart. Liegt es an der Unfähigkeit zu führen – oder wollen sie so viel arbeiten?
Vier To-do-Listen, endlos scheinende Aufgaben und kaum Zeit für die eigentliche Arbeit. Zwischendurch klopfen Angestellte an und bitten um Rat. So sah Susanna Stengls stressigste Zeit aus. Seit zehn Jahren arbeitet sie in der Techbranche als Führungskraft – in Teilzeit.
32 Stunden pro Woche stehen in ihrem Vertrag. Freitags hat sie frei – eigentlich. Denn das klappt nicht immer. „In schlechten Wochen komme ich auf 40 Stunden. Das ist aber das Maximum – mehr geht nicht“, sagt die 41-Jährige. Sie ist alleinerziehend, kann deshalb keine weiteren Überstunden machen.
Überstunden gehören zur Führungsposition dazu. Eine Studie der Unternehmensberatung Compensation Partner zeigt: Mittelmanager arbeiten im Schnitt acht Stunden pro Woche mehr als vertraglich vereinbart. Laut dem Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) haben 23 Prozent der Führungskräfte sogar überlange Arbeitszeiten – das heißt, sie arbeiten mehr als 48 Stunden pro Woche.
Führungskräfte machen damit mehr als die Hälfte aller Beschäftigten mit überlangen Arbeitszeiten aus. Warum ist das so? Liegt es an ineffizienter Führung oder an schlechter Organisation in den Unternehmen?
ÜBERSTUNDEN AUS SPASS
Etwa jeder Dritte mit überlangen Arbeitszeiten macht die Überstunden aus persönlichen Gründen. Sie haben Spaß an der Arbeit, wollen mehr verdienen oder eben die Karriereleiter schneller erklimmen. Nur wenige Beschäftigte gaben bei der Arbeitszeiterhebung der BAuA an, dass es betrieblich angeordnete Überstunden beziehungsweise Überstunden gibt, die sich durch eine organisatorische Fehlplanung oder in Vertretung für Kollegen ergeben.
Mehr als 39 Prozent der Beschäftigten, die 40 Stunden oder mehr pro Woche arbeiten, gaben an, der Arbeit anders nicht hinterherzukommen. Woran liegt das?
„Führungskräfte haben meist zwei Rollen: Einerseits repräsentieren sie das Unternehmen nach außen, etwa im Kundenkontakt. Andererseits sind sie Ansprechpartner für ihre Mitarbeitenden, in Fragen der Personalentwicklung oder bei Konflikten“, erklärt Andrea Hammermann, Senior Economist für Arbeitsbedingungen und Personalpolitik am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW).
FÜHRUNGSKRÄFTE IN DER SANDWICH-FALLE
Hinzu kommen die anderen Aufgaben, die neben der Personalführung auf die Führungskräfte warten. Bewerbungsgespräche führen, Projekte planen, Zahlen und Daten überblicken und oft vieles mehr. Führung geschieht dann oft nur noch nebenbei, als Gipfel des Aufgabenbergs sozusagen.
Ist ineffiziente Führung dabei das Problem? Das lasse sich nicht pauschal sagen, meint Hammermann. „Von Mittelmanagern wird viel verlangt. Sie stehen unter Druck – von oben und unten“, erklärt sie. Unternehmen sollten für ihre Führungskräfte Freiräume schaffen, damit sie sich auf Führungsaufgaben wie Mitarbeitergespräche konzentrieren können.
Von Mittelmanagern wird viel verlangt. Sie stehen unter Druck – von oben und untenANDREA HAMMERMANN, Senior Economist am IW Köln
Auch Führungskraft-Coach Wladislaw Jachtchenko sieht einen großen Aspekt für die Überstunden in der sogenannten Sandwichposition der Führungskräfte. „Sie brauchen einen Perspektivwechsel. Es gibt immer Arbeit. Deshalb müssen Führungskräfte nicht immer alles sofort schaffen, sondern nur Prioritäten in der notwendigen Zeit abarbeiten“, sagt er.
Dafür benötigen Führungskräfte zwei Fähigkeiten: die Angestellten- und die Selbstführung. Die Selbstführung bezeichnet das eigene Zeitmanagement für Aufgaben und auch die Fähigkeit, To-dos an das Team zu delegieren. Bei der Führung des Teams geht es darum, wie der Vorgesetzte Aufgaben verteilt und mit den Angestellten umgeht. Nur wenn beides funktioniert, kann eine Führungskraft effizient arbeiten, erläutert der Management-Experte.
RICHTIG DELEGIEREN STATT NUR VERTEILEN
Wichtig dabei ist es vor allem, wie Führungskräfte Aufgaben delegieren. „Wenn ich eine Aufgabe mündlich verteile und einfach nur sage, du machst jetzt das und das, ist die Gefahr da, dass ich die Aufgabe mehrfach erklären muss“, erläutert Jachtchenko. Stattdessen empfiehlt er, dass Aufträge zusätzlich auch digital übermittelt werden.
Wichtig sei es zudem, vier Fragen beim Delegieren zu beantworten:
Was soll erledigt werden?
Wie soll es gemacht werden?
Bis wann soll es fertig werden?
Warum soll etwas gemacht werden?
„Mit diesen vier Ebenen wissen die Teammitglieder genau, was sie zu tun haben, und durch die letzte Frage wird ihnen auch erklärt, welchen Sinn die Aufgaben haben“, erklärt Jachtchenko. Das spare Zeit für beide Seiten.
Mal mehr zu arbeiten, sollte nicht als etwas Negatives angesehen werden. IW-Expertin Hammermann erklärt: „Überstunden sind per se nichts Schlechtes. Es gibt unterschiedliche betriebs- und arbeitnehmerseitige Motive für Überstunden. Nicht selten spielt auch die intrinsische Motivation der Beschäftigten eine Rolle“, sagt sie und fügt hinzu. „Wichtig ist es, zu verstehen, wann es eine sinnvolle Überstunde ist.“
Das heißt: Arbeitet man nur länger, weil man muss und sonst nicht hinterherkommt, oder, weil man Spaß daran hat? Dennoch sollten die Überstunden in einem Rahmen bleiben, der sich nicht negativ auf die Gesundheit auswirkt.
Oft stecken hinter den vielen Überstunden von Führungskräften strukturelle Probleme. „In vielen Unternehmen sind Entscheidungskompetenz und Verantwortung stark gebündelt und hängen an einzelnen Personen. Auch wenn es Stellvertreter gibt, sind diese häufig nicht ausreichend gebrieft, sodass die Führungskraft das Liegengebliebene nach der Abwesenheit abarbeitet“, berichtet die IW-Expertin.
Auch Susanna Stengl hat keinen Stellvertreter. Ist sie krank oder im Urlaub, übernimmt ihr Vorgesetzter die Führungsverantwortung für ihr Team. Fachliche Aufgaben bleiben liegen oder werden von Teammitgliedern übernommen.
FREIZEIT UND ARBEIT AUCH ALS FÜHRUNGSKRAFT TRENNEN
Nur mal eben am freien Tag Mails checken oder eine Teams-Nachricht beantworten – und schon sitzt die 41-Jährige an doch plötzlich vor dem Rechner.
Um das zu vermeiden, rät Führungskraft-Coach Jachtchenko, diese Apps vom privaten Handy zu verbannen. „Falls wirklich mal ein Notfall eintritt, dann vereinbart man mit dem Team, dass ein Anruf oder eine kurze SMS im Notfall okay ist. So ist man nicht dazu verleitet, andauernd in die Mails zu schauen“, schlägt er vor.
Wenn mein Team ein Problem hat, dann klappe ich natürlich nicht den Laptop zu, sondern unterstützeSUSANNA STENGL, Führungskraft
Stengl arbeitet gerne mal länger, vor allem, wenn sie gebraucht wird: „Wenn mein Team ein Problem hat, dann klappe ich natürlich nicht den Laptop zu, sondern unterstütze“, sagt die Führungskraft und fügt hinzu: „Als Führungskraft bin ich eine Art Dienstleisterin für mein Team und muss für sie da sein.“
Wenn es ihr dann doch mal zu viel wird, schreibt sie sich keine vier To-do-Listen mehr wie früher. Stattdessen geht sie die Aufgaben und Fristen durch und priorisiert sie nach Dringlichkeit. Wenn das nicht ausreicht, dann fragt sie ihre Führungskraft um Rat.
Denn Stengl will auch für ihre Teammitglieder ein Vorbild sein. Überstunden gehören zum Job dazu, sagt sie. Doch wenn mal weniger los ist, dann gleicht sie das mit Freizeit aus. Und so soll es auch ihr Team handhaben.
