Yes, we camp! Warum wir in der Natur Handlungsfreiheit finden
In Zeiten zunehmender Ökonomisierung und Digitalisierung aller Lebensbereiche fühlen sich immer mehr Menschen „draußen zuhause“, weil sie in der Natur ihr inneres Gepäck ablegen können und eigene Freiheit zurückgewinnen. Viele sind aber auch der Hotelzimmer überdrüssig geworden – vor allem jene, die geschäftlich viel unterwegs sind. Beim Campen finden sie zu sich selbst zurück. Hier wird alles Überflüssige reduziert und das Bewusstsein für die wesentlichen Dinge des Lebens geschärft. Reduktion ist zugleich ein Zeitgeschenk, weil die Tage nicht mehr von einer Vielzahl von Dingen und gewohnten Reizen dominiert werden. Beides sind Zugeständnisse an die Langsamkeit in einer viel zu schnellen Welt, in der auch Stille eine Ressource ist, die immer knapper zu werden droht. Damit verbunden ist der Verzicht auf eine maximale Wahl- und Entscheidungsfreiheit. Mit der gewonnenen Handlungsfreiheit ist das Gefühl verbunden, wieder Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen und zu einem nachhaltigen Umgang mit unseren eigenen körperlichen und geistigen Ressourcen beizutragen.
Heute hier, morgen dort
In Deutschland werden heute weniger Caravans, aber mehr höherpreisige Wohnmobile gekauft. Nachhaltige, autarke Mobilheime sind zwar noch eine Nische im Caravan-Markt, aber eine, die boomt. Die Wiener Unternehmer Theresia Steininger und Christian Frantal haben ihr Konzept des nachhaltigen Wohnens auf einen Caravan übertragen: Autark wohnen auf 25 Quadratmetern. Die innovative Energieversorgung liefert ausreichend Strom, um zwei Laptops, Bildschirm, Wasserkocher, WLAN-Router, Radio, Beleuchtung, Waschmaschine sowie Wasserpumpe und Handy ein Jahr lang mit Energie zu versorgen. Solarpanels laden Batterien im Wagenboden, deren Energie vier Tage reicht. Wer mehr Strom benötigt, kann ein leistungsstärkeres System nutzen. Auch das Wassersystem ist unabhängig von öffentlichen Anschlüssen: Benutztes Wasser wird zurück zum Dach transportiert und in der Kläranlage gereinigt. Grauwasser wiederum wird zur Pflege der Pflanzen verwendet. Die Biotoilette stellt Dünger her und ist ebenfalls unabhängig von der Kanalisation -wohnen in einem geschlossenen Kreislauf mit individuellen Gestaltungsmöglichkeiten.
Auch das Ökoei aus Bratislava (Ecocapsule) vom slowakischen Architekturbüros Nice Architects ermöglicht den Nutzern, über einen längeren Zeitraum autark zu leben: Das Windrad am Heck und die Solarzellen auf dem Dach liefern Energie. Die Heizung im Wassertank fängt Regen auf und filtert ihn, sobald er an der stromlinienförmigen Außenhülle herabläuft. Die „Seelenkiste“ ist ein Projekt des Designbüros Allergutendinge. Weitere Ideen für minimales und mobiles Wohnen finden sich im Buch „The New Nomands“ (Gestalten-Verlag), das zeigt, dass Mobile heute vielfach nicht nur als Wohnraum, sondern auch als zeitsparendes fahrbares Office genutzt werden. Die mobilen Hütten sollen ein Zuhause auf Zeit sein und dort abgestellt werden können, wo es einem gefällt. Damit verbunden ist der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben und der Möglichkeit, die Welt nach eigenen Idealen nachhaltig mit- und umzugestalten.
Weiterführende Informationen:
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Julia Rothhaas: Leben to go. In: Süddeutsche Zeitung (30./31.5.2015).