Zahl der Batteriespeicher wächst rasant – Gesetzgeber soll eingreifen
Batteriespeicher helfen dabei, Phasen mit niedriger Stromerzeugung zumindest stundenweise zu überbrücken. Doch die enorme Marktdynamik bringt die Stromnetzbetreiber an ihre Belastungsgrenze.
Berlin. Die Betreiber von Stromnetzen müssen eine stark wachsende Zahl großer Batteriespeicher an ihre Netze anschließen. Sie sehen die Gefahr, dass sie andere potenzielle Netznutzer – etwa Industriebetriebe oder Rechenzentren – vertrösten müssen, weil die Anschlusskapazitäten weitgehend mit Batteriespeichern belegt werden.
Stefan Kapferer, Chef des Stromübertragungsnetzbetreibers 50Hertz, sagte dem Handelsblatt, Batteriespeicher spielten im Energiesystem der Zukunft eine wichtige Rolle. Sie müssten jedoch „in einem gesteuerten Prozess an den richtigen Standorten im Netz, mit der richtigen Betriebsweise und in der benötigten Größenordnung entstehen“, sagte Kapferer. Sein Unternehmen werde mit Netzanschlussanträgen für Großbatterie-Speicher überhäuft, sagte der 50Hertz-Chef.
Ähnlich bewertet Tim Meyerjürgens, Chef des Übertragungsnetzbetreibers Tennet Germany, die Lage: „Aktuell übersteigt die Zahl der Anschlussanfragen für Großbatteriespeicher den realistischen Bedarf und die verfügbaren Netzkapazitäten bei Weitem“, sagte Meyerjürgens dem Handelsblatt.
Nach Überzeugung der Übertragungsnetzbetreiber ist es dringend erforderlich, die Flut der Anträge einzudämmen. „Die stark steigende Zahl von Netzanschlussanfragen für Großbatteriespeicher steht in Konkurrenz zu anderen Verbrauchern und stellt uns als Netzbetreiber vor Herausforderungen“, sagte Meyerjürgens. „Künftig sollten Projekte stärker danach priorisiert werden, welchen Beitrag sie zur Systemsicherheit leisten und wie weit ihre Planungen bereits vorangeschritten sind“, empfiehlt Meyerjürgens.
Überbrückung von Engpässen
Batteriespeicher spielen im Stromversorgungssystem künftig eine tragende Rolle. Sie können wesentliche Beiträge zur Stabilisierung und Flexibilisierung leisten. Sie helfen dabei, Phasen mit niedriger Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen zumindest stundenweise zu überbrücken. Damit können sie auch Preisspitzen dämpfen, weil sie das Stromangebot in Knappheitsphasen vergrößern. Zusätzlich können Speicher auch Systemdienstleistungen für das Netz erbringen. Darunter sind Stromlieferungen für die Netzbetreiber zu verstehen, die der Sicherung des Netzbetriebs dienen.
Der Speicherboom lässt sich in Zahlen fassen: Nach Angaben der Stromübertragungsnetzbetreiber lagen bis April rund 530 Anträge mit einer Leistung von 204 Gigawatt (GW) vor. Zur Einordnung: Die Spitzenlast in Deutschland, also der Zeitpunkt mit der höchsten Stromnachfrage, beläuft sich auf 80 GW.
Antragsflut übersteigt Pläne um den Faktor vier
In der Systementwicklungsstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem vergangenen Jahr wird von einer Batteriespeicherleistung von mindestens 35 GW im Jahr 2035 und mindestens 50 GW im Jahr 2045 ausgegangen. Werden alle aktuell bei den Stromübertragungsnetzbetreibern beantragten Speicher ans Netz angeschlossen, wird der für das Jahr 2045 angepeilte Wert um den Faktor vier übertroffen.
Hinzu kommen die Batteriespeicher, die auf der Verteilnetzebene angeschlossen werden müssen. Hier handelt es sich meist um kleinere Speicher – bis hin zu Heimspeichern für Privathaushalte. Zahlen zu den entsprechenden Anträgen gibt es hier nicht.
Aber auch die Verteilnetzbetreiber berichten von einer stark wachsenden Zahl von Speichern. Die Verteilnetzbetreiber bringen den Strom auf regionaler und lokaler Ebene bis zum Hausanschluss des Endverbrauchers, die Übertragungsnetzbetreiber dagegen organisieren den Transport große Strommengen quer durchs Land.
Drei Ursachen für die Entwicklung
Es gibt im Wesentlichen drei Ursachen für den Batteriespeicher-Boom. So sind die Speicher in den vergangenen Jahren immer billiger geworden. Zugleich müssen die Betreiber seit 2023 keine Entgelte mehr für die Nutzung der Stromnetze bezahlen.
Diese Regelung gilt aber nur für Speicher, die spätestens im August 2029 ans Netz angeschlossen werden. Darum bemühen sich Speicherbetreiber, ihre Anlagen möglichst schnell ans Netz zu bekommen.
„Lizenz zum Gelddrucken“
Hinzu kommen die steigenden Schwankungen der kurzfristigen Strompreise, was insbesondere auf den starken Zubau von Photovoltaikanlagen zurückzuführen ist. An sonnigen Tagen sinken die Strompreise um die Mittagszeit gegen null oder rutschen immer häufiger sogar ins Negative. Das macht das Speichern von Strom in diesen Phasen besonders attraktiv. Wenige Stunden später, wenn der Strom knapper und teurer wird, kann man ihn dann mit einem erheblichen Aufschlag wieder verkaufen. Insider sprechen spöttisch von einer „Lizenz zum Gelddrucken“.
Aktuell müssen Netzbetreiber Anträge auf den Anschluss ans Stromnetz in der Reihenfolge des Antragseingangs abarbeiten, es gilt das „Windhundprinzip“. Eine Bewertung, ob die Speicher an den jeweiligen Standorten sinnvoll sind oder nicht, dürfen sie nicht vornehmen. Auch die Frage, wie weit ein Projekt fortgeschritten ist und wie die Realisierungswahrscheinlichkeit einzuschätzen ist, darf keine Rolle spielen.
Längst gelten einige Batteriespeicher-Vorhaben als „Zombie-Projekte“. Einigen Projektentwicklern gehe es nur darum, möglichst schnell einen Antrag zu stellen, ohne beispielsweise Finanzierungsfragen abschließend geklärt zu haben. Das wiederum gehe zulasten seriöser Interessenten oder auch anderer Projekte, etwa Rechenzentren, die sich „hinten in der Schlange anstellen“ müssten, klagen Insider.
Allein das Windhundprinzip zählt
Das Windhundprinzip ist in der Kraftwerksnetzanschlussverordnung (KraftNAV) aus dem Jahr 2007 geregelt. Sie soll sicherstellen, dass neue Kraftwerke einen schnellen Netzzugang bekommen. Die Verordnung sollte dazu beitragen, die Anbietervielfalt in der Stromerzeugung zu erhöhen. Wer ein Kraftwerk baut, soll sicher davon ausgehen können, dass seine Anlage ans Netz angeschlossen wird. Der Bundesgerichtshof hatte Ende 2024 festgestellt, Batteriespeicher seien als „Erzeugungsanlagen“ zu betrachten und wie Kraftwerke nach der KraftNAV zu behandeln.
Das muss aus Sicht von 50Hertz-Chef Kapferer geändert werden: Die Anwendung der KraftNAV sei „kontraproduktiv für alle Speicherprojekte, die tatsächlich einen hohen Reifegrad haben und Realisierungschancen hätten“. Die Anwendung der Verordnung bedeute auch: „Die von der neuen Bundesregierung geplanten neuen Gas-Back-up-Kraftwerke müssten sich beim Netzanschluss hintenanstellen. Das führt eine Kraftwerksstrategie, die in den kommenden fünf Jahren erste Ergebnisse zeigen soll, ad absurdum“, sagte Kapferer. 50Hertz fordert ein „rechtssicheres, transparentes und diskriminierungsfreies“ Netzanschlussverfahren.
Die Stiftung Klimaneutralität unterstützt diese Überlegung. Batteriespeicher sollten „explizit aus dem Anwendungsbereich der KraftNAV herausgenommen“ werden, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Papier des Thinktanks. Das bisherige Windhundverfahren müsse abgeschafft werden. Anzustreben sei ein „regelbasiertes Reservierungsverfahren, mit dem schnell zu verwirklichende Projekte priorisiert“ werden.
Die Bundesnetzagentur lässt die Netzbetreiber und auch Speicherbetreiber weitgehend allein mit der Situation.Urban Windelen, BVES-Geschäftsführer
Der Bundesverband Energiespeicher Systeme (BVES), in dem sich die Unternehmen der Speicherbranche zusammengeschlossen haben, sieht die Probleme. „Da gibt es tatsächlich aktuell eine große Arbeitsbelastung bei den Netzbetreibern, um die Netzanschlussbegehren zu bearbeiten. Das sind nicht nur Speicher, sondern auch viele sonstige Anlagen, die momentan ans Netz sollen, etwa Rechenzentren oder Ladeparks“, sagte BVES-Geschäftsführer Urban Windelen dem Handelsblatt.
Windelen sieht die Bundesnetzagentur am Zuge. „Die Bundesnetzagentur lässt die Netzbetreiber und auch Speicherbetreiber weitgehend allein mit der Situation. Schon längst hätten verlässliche Netzanschlussbedingungen gesetzt werden können, verbunden mit verlässlichen Kriterien, um Netzanschlussbegehren zu bewerten, zu priorisieren und zu sortieren“, sagte Windelen.
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