Zehn Mal höhere Ausgaben als für die Software: SAP geht das wohl größte Problem seiner Kunden an
Teuer, langwierig, komplex: Die Einführung von SAP-Produkten macht vielen Unternehmen Stress. Jetzt führt der Konzern einen „Werkzeugkasten“ ein und verspricht Abhilfe.
Orlando. Auf der Firmenkonferenz Sapphire hat der Softwarehersteller SAP diese Woche Produktivitätssprünge durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) versprochen. Für viele Kunden dürfte jedoch eine andere Botschaft mindestens genauso wichtig gewesen sein: Die Einführung der neuen Produktgeneration soll deutlich einfacher werden.
SAP wolle die Migration – also die Umstellung der Systeme – zu niedrigeren Kosten ermöglichen, versprach Vorstandschef Christian Klein. „Oft geben Kunden zehn Mal mehr für die Dienstleistungen rund um die Einführung aus als für die Software. Das wollen wir ändern.“ Im Auditorium nickten viele, einige lachten auch.
SAP und einfach – das hätte bislang als Witz gegolten. Dass Projekte mit Anwendungen aus diesem Hause lange dauern und teuer sind, ist eher Regel als Ausnahme. Nun sollen eine Art Werkzeugkasten für Berater und Programmierer sowie konkrete Vorgaben für die IT-Dienstleister die Migration für Unternehmen erleichtern.
Das SAP-Management geht damit das womöglich größte Problem des Softwareherstellers an.
Das Geschäft wächst zwar kräftig. Insbesondere Software zur Steuerung von Geschäftsprozessen, im Fachjargon Enterprise Resource Planning (ERP), ist gefragt. Das Programmpaket Cloud ERP, mit dem der Konzern mehrere Lösungen bündelt, wuchs im vergangenen Jahr um 33 Prozent auf 14,2 Milliarden Euro.
Was diese Zahl jedoch nicht zeigt: Viele der rund 35.000 Bestandskunden haben mit der Umstellung noch nicht angefangen. Laut einer Studie des Beratungshauses Gartner vom Jahreswechsel haben erst 39 Prozent der Unternehmen eine Lizenz für das neue ERP-System S/4 Hana gekauft. Man kann das als Chance für SAP sehen, auf Jahre gute Geschäfte zu machen. Aber auch als Problem, mit dem Produkt zu überzeugen.
Viele Projekte dauern länger und kosten mehr
Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Horváth unter 200 IT-Führungskräften dauern Projekte im Schnitt 30 Prozent länger als ursprünglich geplant. 65 Prozent der Unternehmen vermelden Überschreitungen des geplanten Budgets. Und ähnlich viele nennen Qualitätsdefizite.
Für SAP ist das ein Problem. Denn wegen der wirtschaftlich angespannten aktuellen Lage prüfen Unternehmen Ausgaben deutlich kritischer. „Unternehmen blicken seit einiger Zeit verstärkt auf den geschäftlichen Wert ihrer Technologieinvestments“, sagt Florian Bauer, Senior Partner beim Beratungsunternehmen McKinsey. Einerseits sei durch die wirtschaftliche Unsicherheit der Kostendruck groß, andererseits bestehe die Notwendigkeit, Trends mitzugehen, etwa Künstliche Intelligenz.
Der Berater betont: „Wenn man die verschiedenen Projekte vergleicht, fällt auf, dass ERP-Transformationen aufgrund ihrer Dimensionen und Komplexität häufig sehr investitionsintensiv sind.“ Umso wichtiger sei ein klar nachvollziehbarer wirtschaftlicher Nutzen.
Technologie kommt von neuen Tochterfirmen
SAP versucht, das Problem mit Software zu lösen. Der Konzern hat in den vergangenen Jahren mit Signavio und LeanIX zwei Anbieter übernommen, die Plattformen für die Optimierung von Geschäftsprozessen und IT-Systemen anbieten. Die Technologie der neuen Tochterfirma WalkMe wiederum soll die Einführung neuer Lösungen erleichtern.
Unter dem Namen „Transition Guidance“ will der Softwarehersteller diese und andere Lösungen nun bündeln, um Migrationsprojekte zu erleichtern. Einige der Versprechen sind:
Der digitale Assistent Joule for Consultants soll Beratern auf die Schnelle Informationen zu IT-Projekten liefern und Tests automatisieren – 90 Minuten Einsparung pro Tag stellt SAP in Aussicht.
Joule for Developers soll Softwareentwicklern bei der Programmierung von Erweiterungen in der Programmiersprache ABAP zur Hand gehen, die im SAP-Kontext häufig zum Einsatz kommt. Im internen Einsatz verzeichnet der Konzern 30 Prozent Effizienzgewinn.
Eine neue Funktion auf der Plattform Signavio soll eine Kalkulation ermöglichen, welchen finanziellen Wert die Verbesserung bestimmter Geschäftsprozesse hat, was es im besten Fall erleichtert, Migrationsprojekte zu rechtfertigen.
Die Plattform LeanIX integriert künftig Übersichten – Dashboards –, die die Betriebskosten von Systemen in einer IT-Landschaft aufzeigen.
Strikte Vorgaben für IT-Dienstleister
Kunden bewerteten die Ankündigung positiv. Die US-amerikanische Anwenderorganisation ASUG sprach von einem „willkommenen Schritt nach vorn“. Vorstandschef Geoff Scott: „Diese Verbesserungen reduzieren nicht nur die Komplexität und die Kosten, sondern ermöglichen es Unternehmen auch, intelligentere und schnellere Entscheidungen während ihrer Transformation zu treffen.“
SAP haben einen „bemerkenswerten“ Werkzeugkasten für Migrationsprojekte zusammengestellt, urteilt Joshua Greenbaum, Gründer und Chef der Beratungsfirma EA Consult. Kein anderer Softwarehersteller könne etwas Vergleichbares bieten.
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Allerdings habe der Konzern noch viel Arbeit zu leisten, sagte der Branchenkenner: Erste Funktionen sind für Ende 2025 angekündigt, weitere sollen 2026 folgen. Was die „Transition Guidance“ genau leistet und wie viel sie kostet, können Kunden und IT-Dienstleister also erst später prüfen.
Greenbaum hält eine weitere Neuerung aber für mindestens ebenso wichtig: SAP verpflichtet Systemintegratoren neuerdings, ein Training samt Zertifizierung zu absolvieren. Zugleich gibt der Softwarehersteller Standardmethoden für die Migrationsprojekte vor. Das erprobte Schema soll Verzögerungen und Budgetüberschreitungen verhindern, die es in Projekten immer wieder gibt. Für Greenbaum ist das ein zentraler Schritt, „um die Kunden besser zu bedienen“.
Auch die Systemintegratoren halten dies für notwendig. Die Umstellung auf die aktuelle Produktgeneration sei für SAP-Kunden eine „gewaltige Aufgabe“, sagte Rainer Wittwen, Chef des deutschen IT-Dienstleisters cbs. „Die Transformation muss werthaltig sein, in einer akzeptabel kurzen Zeit und zu vertretbaren Kosten erfolgen.“ Für die neuen Ansätze seien allerdings konkrete Hilfe und Beratung notwendig.
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