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Ziehende Wolken: Warum uns das Flüchtige und Ewige gleichermaßen anzieht

„Ich bewundere, was über mir ist, ich beurteile es nicht.“ (Goethe)

Atmosphäre in Bewegung

Wolken sind Ausdruck des Zufalls, der Zeitlosigkeit und Mehrdeutigkeit, des Schönen und der Freiheit: Sie knäueln und türmen sich - und lösen sich auf. Als scheinbar Ewiges sind sie flüchtig und umgekehrt. Sie sind ein Symbol für alles, was erreichbar scheint, doch wenn es greifbar werden soll, entzieht es sich und erweist sich als Rätsel. Die rätselhafte Schönheit der Wolken hat Künstler zu allen Zeiten fasziniert und inspiriert. Davon legen die Wolkengemälde von John Constable und Johan Christian Clausen Dahl ebenso Zeugnis ab wie das Bild „Ziehende Wolken“ von Caspar David Friedrich. Wenn er einen Himmel malte, durfte niemand in sein Atelier kommen, denn ein Firmament zu malen war für ihn „Gottesdienst“. Auch der junge John Constable malte um 1820 Wolken: Täglich zog er mit Papier, Pappe und Ölfarbe hinaus ins Freie und erfand das Wort „skying“.

Goethe schrieb 1821 sein Gedicht auf den Londoner Apotheker und Wolkenforscher Luke Howard („Godfather oft he cloud“), der 1803 als Erster die scheinbare Unbegreiflichkeit der Wolken klassifizierte: „…was sich nicht halten, nicht erreichen lässt / Er fasst es an, er hält zuerst es fest.“ Die Wolkenforscher der Goethezeit haben vor allem eine Klassifizierung des Beobachteten versucht (Cirrus, Stratus, Cumulus, Nimbus). Ende des 19. Jahrhundert wurde dann eine Art Wolkenatlas erstellt: 1893 erschien der offizielle „Cloud Atlas“, in dem Abbildungen von möglichst vielen Wolkenformationen gesammelt wurden.

Für Goethe waren die Wolken eine „merkwürdige Lufterscheinung“, die als Gäste betrachtet werden, „als Streichvögel, die unter einem anderen Himmel geboren“. Das haben sie mit außergewöhnlichen Künstlern gemeinsam. Und so ist es kein Zufall, dass auf der CD „Der perfekte Moment... wird heut verpennt“ der Sänger und Mitbegründer sowie Leiter des Palast Orchesters in Berlin, Max Raabe, vor einer Wolkenkulisse in tierischer Begleitung zu sehen ist. Im gleichnamigen Lied heißt es denn auch:

Die Sonne scheint, Wolken ziehen

Der perfekte Moment

Wird heut' verpennt.

In dieser Freiheit liegt ein tieferer Sinn. Denn immer mehr Menschen sehnen sich heute nach Muße.

Das zeigt sich auch in gesellschaftlichen Trends: Auf Möbelmessen findet man beispielsweise Wolkenmeere aus Stoffen und Drapeterien sowie ausladende watteweiche Sitzlandschaften. Die Polstergarnitur erlebt gerade eine Renaissance. Je härter die Realität, desto ausgeprägter ist die Sehnsucht nach Leichtigkeit, nach dem Schwebenden, das man wie Wolken festhalten möchte, aber doch nicht wirklich fassen kann. So tauchen seit einigen Jahren auch Wolkenmotive auf Textilien, Handyhüllen, Schneidbrettern und Sitzmöbeln auf. Sogar Anbieter von nachhaltigen Heim- und Wohntextilien werben verstärkt mit der „Gemütlichkeit in den eigenen vier Wänden“: „Eine Decke, die über das Sofa drapiert wird, kann ein dekorativer Blickfang sein – am Abend, beim Lesen eines guten Buchs oder beim Fernsehvergnügen, ist sie ideal, um sich einzukuscheln.“ (Quelle: memolife) Wird die äußere Welt als besonders unsicher und kalt empfunden, wächst die Sehnsucht nach dem Rückzug ins Private.

Das bestätigt auch die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, die bei der memo AG die Unternehmenskommunikation leitet: „Nicht nur in der kalten Jahreszeit, sondern auch in besonders instabilen Zeiten ziehen wir uns gern zu Hause zurück. Wir sorgen gerade dann für ein angenehmes Umfeld.“ Sich etwas Gutes tun bedeutet, den Tag bzw. den „den perfekten Moment“ im Sinne von Max Raabe zu nutzen. Seine Lieder sind wie Wolken, die uns durch die Zeit tragen und für Augenblicke die Schwere der Gegenwart nehmen.

Weiterführende Literatur:

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Springer Gabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2018.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.

Johann Wolfgang Goethe: Italienische Reise. Textkritisch durchgesehen von Erich Trunz. Kommentiert von Herbert von Einem. Verlag C. H. Beck oHG, München 1981.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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